Giganten knicken ein Auch er wird in die Knie gezwungen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Es ist etwas Unerhörtes passiert: Elon Musk hat angekündigt, sich an geltendes Recht zu halten. Wer wirklich will, zwingt auch Social-Media-Giganten in die Knie.
Haben Sie das von Elon Musk gehört? Musk hat versprochen, sich künftig an geltendes Recht zu halten. Ja, das ist eine Nachricht. Keine Selbstverständlichkeit. Und genau deshalb eben eine Nachricht. Weil nämlich alles, was nicht selbstverständlich ist, unsere Aufmerksamkeit erregt. Auf diesem Prinzip beruht seit Jahrhunderten unter anderem der Nachrichtenjournalismus.
Das ist nicht unumstritten, weil es uns natürlich nicht zu fröhlicheren Menschen macht, wenn wir in ohnehin schon schwierigen Zeiten auch noch ständig umgeben sind von Katastrophenmeldungen. Aus diesem Grund vermeiden auch immer mehr Menschen den Nachrichtenkonsum oder schränken ihn zumindest ein.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Und trotzdem: Etliche Versuche, gegenzusteuern, zum Beispiel mit positiven Nachrichtenformaten, scheitern. (Ich schreibe das aus eigener Erfahrung; als Host eines Podcasts mit ausschließlich positiven Nachrichten muss ich mich schon sehr ins Zeug legen für meine Abozahlen.)
Entgleisungen sind kein Problem mehr
Die Faustformel lautet also ebenso desillusionierend wie aber nun mal unumstößlich: je aufregender, je schlimmer, je lauter, je emotional packender – desto höher der Nachrichtenwert.
Das gilt auch für soziale Netzwerke. Und das weiß auch Elon Musk. Er nutzt das schamlos aus. Sein Kurznachrichtendienst X lässt so circa alles zu, was irgendwie verspricht, die Leute zu fesseln. Alles, was unsere niedersten Instinkte so glücklich macht wie Heroin einen Junkie. Rechtsextremismus? Auf X gar kein Problem. Wüsteste Beschimpfungen? Auf X gar kein Problem. Die Verbreitung von Homophobie, Frauenhass und Antisemitismus? Auf X gar kein Problem. Wer sich danebenbenimmt, darf trotzdem bleiben. Und wer sich vor Musks Balla-Balla-Einverleibung von X danebenbenommen hatte und verbannt worden war, darf heimkehren ins Reich des unbegrenzten Hasses.
Richterfehde mit Musk
Was Musk nämlich auch weiß: Zeitungen, Fernsehsender, Radiostationen werden beaufsichtigt. Dort gilt die Gleichung: Reichweite bedeutet auch Verantwortung. In Deutschland gibt es dafür zum Beispiel Medienanstalten und Medienstaatsverträge.
Die beschäftigen sich auch mit Social Media – aber das Netz als weitgehend rechtsfreier Raum ist ja nun mal immer noch Realität. Die Bereitschaft von Musk und anderen, mit Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten, ist ausbaufähig. Freundlich formuliert. Denn der Druck ist quasi nicht existent. Immer wieder zucken politisch Verantwortliche entweder zusammen, weil sie sich ertappt fühlen, oder lapidar mit den Schultern: Die Konzerne hinter Facebook, Instagram oder eben X seien einfach zu groß und mächtig, was will man da machen? Und auch das ist Teil der Wahrheit: Elon Musk hat in Brandenburg ein Tesla-Werk gebaut und Arbeitsplätze geschaffen. Wer will da schon Streit vom Zaun brechen?
Brasilien will das. Genauer: ein offenbar zu allem entschlossener Richter. Monatelang hat sich der Mann eine Fehde mit Musk geliefert, darauf gedrungen, dass X einen Rechtsvertreter im Land benennt. Jedes ausländische Unternehmen muss dies laut brasilianischem Recht tun. Der Vertreter übernimmt die rechtliche Verantwortung für das Unternehmen vor Ort. So jemanden gab es auch bei X – bis man sich Mitte August dazu entschloss, das Büro in Brasilien zu schließen.
Ich kürze das ab: Es ging hin und her, es wurde zum Teil kindisch und unappetitlich (ich spare mir hier weitere Details vom Niveau, das Elon Musk anscheinend immer wieder zu unterbieten bereit ist), Brasilien schaltete X dann halt ab (sechstgrößter Markt) – und nun hat der Richter in sehr weiten Teilen gewonnen. X hat einen neuen Rechtsvertreter für Brasilien benannt.
Man kann als Sieger hervorgehen
Es ist also möglich, einen Elon Musk in die Knie zu zwingen. Man muss es nur wollen und nicht nur bei halbherzigen Drohungen belassen. Wenn überhaupt. Über das unfassbar peinliche und sehr nachdenklich stimmende Selfie mit Musk, das unser Digitalminister Volker Wissing (FDP) einst postete, wollen wir mal nicht reden. Ich hab' auch nicht unendlich Puls.
Man muss Musk also nicht die Füße küssen, sondern man kann aus einer Machtprobe durchaus als Sieger hervorgehen. Und nicht nur aus einer mit Musk.
Auch Telegram lässt in diesen Tagen aufhorchen, und zwar ausnahmsweise mal im guten Sinne – wenn auch nicht freiwillig.
Wesenskern aufgegeben
Falls Sie Telegram nicht kennen: Das ist kein Grund, sich zu schämen. Eher im Gegenteil. Bei dem Kurznachrichten- und Messengerdienst Telegram tummeln sich viele, deren Interessen, Absichten und Umgangsformen zu schäbig sind für X. Denn Telegram ging ganz offen damit um, nicht mit Strafverfolgern zusammenzuarbeiten. Damit warb das Unternehmen sogar für sich. Bis zur zeitweisen Festnahme des Gründers Pawel Durow in Frankreich. Die Ermittler dort warfen ihm vor, sich durch seine so gut wie nicht vorhandene Kooperation mit Behörden möglicherweise des Drogenhandels, der Geldwäsche, des Betrugs und mehrerer Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch mitschuldig gemacht zu haben. Nun heißt es vonseiten Telegrams, in Zukunft werde man Nutzerdaten wie Telefonnummern und IP-Adressen im Verdachtsfall weitergeben.
Bisher ist das eine bloße Ankündigung. Aber es ist eine. Und zwar eine, die den bisherigen Wesenskern von Telegram komplett konterkariert.
Es geht also. Wenn man denn will. Wenn man es denn auch wirklich versucht. Wenn man ein Risiko eingeht. Und vielleicht ist es eine Blaupause für den Umgang mit TikTok. Noch vergangene Woche hätte das wie die Idee einer Verrückten geklungen. Jetzt aber haben die Mutigen gesiegt. Alles scheint möglich. Und das ist eine gute Nachricht.
- Eigene Meinung