t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeKlimaLeben & Umwelt

Klimawandel: Es wird drastischer als erwartet | Studie


Massive Kritik
Studie: Stehen wir bereits näher am Hitzeabgrund als gedacht?


Aktualisiert am 06.02.2024Lesedauer: 3 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Verschiedene Schwämme und Korallen im karibischen Meer (Archivbild): Eine neue Studie hat anhand der Schwämme die Entwicklung der Meerestemperatur nachvollzogen.Vergrößern des Bildes
Verschiedene Schwämme und Korallen im Karibischen Meer (Archivbild): Eine neue Studie hat anhand der Schwämme die Entwicklung der Meerestemperatur nachvollzogen. (Quelle: imageBROKER/Norbert Probst/imago-images-bilder)

Ist das 1,5-Grad-Ziel bereits verloren? Eine Studie geht davon aus, dass wir es bereits überschritten haben.

Forschung über Schwämme in der Karibischen See stellt die Berechnungsgrundlage des Weltklimarats IPCC für die Erderwärmung infrage. Das zumindest ergibt eine neue Studie, an der Forschende aus Australien, den USA und Puerto Rico beteiligt waren. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse erstmalig im Fachmagazin "Nature". t-online erhielt vorab Zugang. Laut der Studie könnte die 2-Grad-Marke bereits viel früher erreicht werden, als vom Weltklimarat prognostiziert.

Während der IPCC derzeit von einer Erderwärmung von rund 1,2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter ausgeht, kommen die Forschenden in der aktuellen Veröffentlichung bereits auf rund 1,7 Grad. Ihr Hauptkritikpunkt: der Referenzzeitpunkt, der vom Weltklimarat als vorindustriell bezeichnet wird. Das Problem sei aus Sicht der Forschenden, dass sich die Erde bereits zwischen 1850 und 1900 erwärmt habe, heißt es in der Studie. Diese These wiederum erregt ebenfalls Kritik. Andere unabhängige Forschende bewerten Teile des Fazits als "unhaltbar".

Das können Schwämme über unser Weltklima aussagen

Für die Studie wurden die Skelette von Skleroschwämmen aus dem Karibischen Meer gesammelt. Die Schwämme wurden aus Tiefen zwischen 33 und 91 Metern entnommen. In dieser Tiefe seien die Temperaturschwankungen weniger ausgeprägt als an der Meeresoberfläche, so die Forschenden.

Skelette von Schwämmen

Schwämme haben ein Skelett, das aus Kalk, Karbonaten und anderen Verbindungen besteht. Nach dem Absterben des Schwammes bleibt es zurück. Mit verschiedenen Methoden lassen sich mithilfe dieser Skelette Aussagen über frühere klimatische Verhältnisse ableiten, ähnlich wie bei Sedimentbohrungen in der Antarktis.

Mit verschiedenen Methoden untersuchten die Wissenschaftler laut der Studie die zwischen 2007 und 2017 gesammelten Proben. Neben Alter und Wachstumsraten erlaubten Untersuchungen der Strontium- und Calciumwerte demnach Rückschlüsse auf die Entwicklung der Meerestemperaturen.

Die Ergebnisse erscheinen drastisch: Anders als der Weltklimarat gehen die Forschenden davon aus, dass die Erderwärmung bereits in den späten 2020er-Jahren die 2-Grad-Marke überschreiten wird – fast zwanzig Jahre vor der Schätzung des IPCC. "Wenn die Erwärmungsraten so weitergehen, werden wir bereits im Jahr 2035 eine Erderwärmung von rund 2,5 Grad haben", heißt es in der Studie, die ein Forscherteam um Malcolm T. McCulloch durchgeführt hat.

Mit dieser Interpretation sind jedoch bei Weitem nicht alle einverstanden. Gleich eine ganze Gruppe von Forschenden hat sich zu der vorliegenden Studie geäußert.

Kritik aus den Reihen der Wissenschaft

Prof. Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, verweist darauf, dass die Daten, die die Grundlage der Studie bilden, mit einer gewissen Unsicherheit behaftet seien. Er betont, dass der gewählte Referenzzeitraum eine "natürliche Variabilität" aufweisen sollte, um der "chaotischen Natur des Klimas" gerecht zu werden. "Meiner Meinung nach ist es auf der Erde bereits viel zu warm, egal ob wir nun 'offiziell‘ noch unter oder doch schon über 1,5 Grad Celsius stehen", fügt Latif hinzu.

Die Diskussion um den vorindustriellen Zeitraum sei keine neue, nur die Methode sei eine andere. "Es wäre vernünftiger, für politische Ziele den Zeitraum herzunehmen, für den man sehr gute Daten hat, und das sind ungefähr die vergangenen 50 Jahre, in denen ohnehin die größte Erwärmung stattgefunden hat."

Video | Erderwärmung unproblematisch? Klimaforscher widerspricht vehement
Player wird geladen
Quelle: t-online

Prof. Dr. Bernd Schöne von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz merkt an, dass unklar bleibe, ob die Strontium-/Kalzium-Daten, auf denen das Ergebnis der Studie beruht, "wirklich konstant und unverändert geblieben sind". Außerdem fehlten bisher "zeitlich hochaufgelöste Langzeitbeobachtungen".

Wissenschaftler uneins

Positiv hervorgehoben wird die Verwendung der korallinen Schwämme, etwa von Prof. Dr. Anton Eisenhauer vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Will man Langzeittrends sehen, sind die korallinen Schwämme viel besser geeignet (Anm. d. Red. – als die normalerweise verwendeten Korallen)." Eisenhauer sieht in der Studie weniger Problematiken als seine Kollegen, sie sei in vielen Teilen valide: "Bevor jedoch endgültige Schlüsse gezogen werden können, müssen diese Ergebnisse durch Messungen aus anderen Meeresgebieten und Arbeitsgruppen bestätigt werden."

Das 1,5-Grad-Ziel

Die Weltgemeinschaft hatte sich 2015 bei der Klimakonferenz in Paris darauf geeinigt, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad, auf jeden Fall aber auf 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Die 1,5 Grad gelten dabei als Grenze, um die sich schon jetzt verschärfenden Naturkatastrophen infolge der Klimakrise – zum Beispiel Dürren, Hitzewellen oder Überschwemmungen – in einem Rahmen zu halten, den die Menschheit bewältigen kann.

Dass von Daten aus nur einem Gebiet auf die globale Entwicklung geschlossen wird, sieht Prof. Dr. Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie kritisch. "Die Arbeit liefert keinerlei schlüssigen Belege dafür, dass die Schwammskelette an einem einzigen Ort etwas über die globale Mitteltemperatur aussagen." Marotzke macht weitreichende Fehler in der Studie aus. So würde darin etwa fälschlicherweise argumentiert, dass die Erwärmung über Land mit der über Ozeanen gleichzusetzen sei.

"Die Schlussfolgerung, die Welt habe sich bereits um 1,7 Grad erwärmt, ist unhaltbar." Die Daten des Weltklimarates seien aus seiner Sicht weitaus valider, da sie auf globalen Schiffsmessungen in Kombination mit "ausgefeilten statistischen Verfahren" erhoben worden seien. "Mein Fazit bezüglich dieser Arbeit: Bitte so schnell wie möglich den Mantel des Vergessens darüber legen", schließt Marotzke.

Verwendete Quellen
  • nature climate change: "300 years of sclerosponge thermometry shows global warming has exceeded 1.5 °C" (PDF)
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website