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Digitalisierung in Schulen: Bildungsfortschritt oder Risiko?


Fortschritt oder Rückschritt?
Streit ums Klassenzimmer 2.0

MeinungEine Kolumne von Bob Blume

Aktualisiert am 02.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Schüler vor einer Tafel mit digitalem Whiteboard (Symbolbild): Eine Initiative fordert die Rückkehr zu alten Lernmitteln.Vergrößern des Bildes
Schüler vor einer Tafel mit digitalem Whiteboard (Symbolbild): Eine Initiative fordert die Rückkehr zu alten Lernmitteln. (Quelle: Sebastian Gollnow/dpa)

Digitalisierung im Klassenzimmer – Fortschritt oder Rückschritt? In der Bildungspolitik ist ein bizarrer Streit über die Zukunft der Schule entbrannt, findet Lehrer Bob Blume.

Als über 40 Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im November 2023 forderten, die Digitalisierung an Schulen und vorschulischen Bildungseinrichtungen wie Kitas vorübergehend zu stoppen, war das mediale Echo gewaltig. "Tablets und Laptops machen die Kinder dümmer" hieß es pauschal wie irreführend in diesem Manifest. Längst ist ein Gegenpapier veröffentlicht, das mehr Differenzierung anmahnt. Einmal mehr zeigt die Diskussion, dass Angst mehr zieht als ernsthafte Auseinandersetzung.

Bob Blume ist Lehrer und Autor.
Bob Blume ist Lehrer und Autor. (Quelle: privat)

Zur Person

Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.

Bei solchen Konflikten erinnere ich mich oft an Anekdoten aus meiner Kindheit. So war es für mich immer eine aufregende Sache, mit meinen Eltern in den Urlaub zu fahren. Die sich verändernde Landschaft, die Vorfreude, die immer wärmer werdende Sonne. Nur ganz bestimmte Phasen der Reise wühlten mich auf: Wenn einmal wieder die Landkarte aufgeklappt wurde und es zu Streit kam. In meiner Erinnerung wurde dies so extrem, dass man am Ende von Glück sprechen konnte, dass wir überhaupt noch gemeinsam in den Urlaub gefahren sind.

An diese Episode musste ich denken, als ich den Bestseller "Digitale Demenz" von Manfred Spitzer las. Ein Buch, das der Diskussion über die Digitalisierung in Schulen und dem Bildungssystem insgesamt einen Bärendienst erwiesen hat. Darin erklärt Spitzer an der betreffenden Stelle, dass Navigationssysteme das Gehirn an der Stelle verkümmern ließen, an der man zuvor noch eine exzellente Fähigkeit hatte, Karten zu lesen.

Jene Synapsen meiner Eltern waren vielleicht in den 80er-Jahren auch schon ohne Digitalisierung verkümmert. In jedem Fall werden Diskussionen rund um die sogenannte Digitalisierung oft wenig differenziert geführt.

Digitalisierung als Fähigkeitskiller?

Die Fundamentalkritiker argumentieren immer mit der gleichen Leier: Die Digitalisierung ließe Fähigkeiten so verkümmern, dass der Mensch ohne die Instrumente nicht mehr alleine weiterkomme. Zugegeben: Ohne mein Navigationssystem bin ich aufgeschmissen, wenn ich Auto fahre. Aber es ist auch nicht so, dass ich vor der Digitalisierung meinen Motor hätte auswechseln können. Oder dass ich wüsste, wie ich ein Feuer ohne Streichhölzer mache.

Das Argument dürfte klar sein: In dem Maße, in dem sich die Gesellschaft ändert, muss sich auch das ändern, was der Mensch braucht, um sich in ihr zu orientieren. Zumindest dann, wenn man Bildung nicht als fein geölte Holzschatulle voller Artefakte aus einer guten alten Zeit betrachtet.

Differenzierter Umgang mit Studien

Insofern ist es in der Tat eine entscheidende Frage, welche Rolle das Digitale in den Schulen spielen kann. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Bildungsforscher und -praktiker (!) den von Skandinavien ausgehend geforderten Digitalisierungsstopp im Bildungswesen kritisieren und einen differenzierten Umgang mit vorliegenden Studien fordern. "Richtig eingesetzt können digitale Medien das Lernen und Lehren unterstützen", heißt es da. Und weiter: "Digitale Medien sind dort lernwirksam, wo spezifische Potenziale der Technologie ausgeschöpft werden." Nicht Digitalisierung um jeden Preis also, sondern eine intensive Auseinandersetzung mit den Potenzialen der Technologie und ihren Auswirkungen.

Um diese Potenziale zu erkennen und zielsicher einsetzen zu können, braucht es Forschung, aber auch einen gesellschaftlichen Diskurs, der sich nicht mit Polemik oder Pauschalurteilen begnügt. Mit einem solchen Urteil gibt sich aber gleich der erste Satz des Manifests zufrieden: "Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemäße Lösung von Bildungsfragen", heißt es da.

Als jemand, der täglich im Diskurs und Austausch mit allen möglichen Verantwortlichen und Experten ist, die sich mit der Digitalisierung befassen, ist mir eine solche Annahme noch nicht untergekommen. Vielmehr ist die Diskussion geprägt von der Frage, wie digitale Medien und die vernetzte Gesellschaft, in der wir leben, einer Bildung zugutekommen kann, die alle Kinder und Jugendliche mitnimmt. An der Beantwortung der Frage arbeiten viele Menschen, und es wäre sicherlich wichtig, auch jene kritischen Köpfe einzubinden. Das bedürfte aber mehr als die Formulierung eines Manifests, mit dem man zwar in die Medien, aber im Kern nicht weiterkommt.

Digitale Mündigkeit fördern

Eine wichtige Forderung an jede Form der Bildung im 21. Jahrhundert muss ja lauten: Lasst uns Gedanken darüber machen, wie Kinder und Jugendliche einen Umgang mit der digitalen Welt lernen, der ihr Potenzial ausschöpft, aber auch die Gefahren erkennt. In der digitalen Welt mündig zu sein, bedeutet auch, digitale Geräte zur Seite zu legen, sie nicht zu nutzen oder andere Wege zu finden. Lernen im 21. Jahrhundert ist ein Lernen mit, über und durch Medien. Und ja, auch trotz Medien.

Und das ist der springende Punkt: Keiner fordert digital erweitertes Lernen um jeden Preis. Und dass wir uns darüber Gedanken machen müssen, wie viel Bildschirmzeit richtig ist, wie Kinder vor übermäßigem Konsum geschützt werden und wie digitale Medien lernwirksam eingesetzt werden können, das ist absolut nötig. Aber dies kann doch nur durch einen angeleiteten Umgang geschehen, nicht dadurch, den Rotstift anzusetzen.

Abkehr von der Verbotskultur

Anstatt sich an der deutschen Verbotskultur zu orientieren, wie sie sich erst jüngst wieder im Gender-Verbot des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zeigte, wäre ein offener Umgang mit dem (für viele immer noch) Neuen nötig. Und das bedeutet nicht, nach Verboten zu schreien, sondern Formen für den effizienten, sicheren und nachhaltigen Umgang zu finden.

Was wir dafür brauchen, ist eine pragmatische Haltung zur Kultur, in der wir leben. Es darf weder darum gehen, wie wir möglichst alles so machen können, wie es angeblich früher immer war. Noch darum, alles anders, nur eben digital zu machen (wie gesagt: Eine Forderung, die ich noch nie so gehört habe).

Meine Eltern sind übrigens nicht mehr zusammen. Ich bin mir unsicher, wie sehr die Streitigkeiten rund um die Landkarte damit zu tun haben. Zu behaupten, ein digitales Navigationssystem hätte die Ehe gerettet, wäre wohl zu hoch gegriffen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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