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Massentourismus: Forscher analysiert Strategien gegen Übertourismus


Forscher analysiert Touristenströme
Wenn Sehnsuchtsbilder zur Last werden


03.08.2025 - 06:01 UhrLesedauer: 3 Min.
Menschen überall: Auf Santorini gibt es zu bestimmten Tageszeiten kaum eine Möglichkeit, in Ruhe die Straßen entlangzulaufen.Vergrößern des Bildes
Menschen überall: Auf Santorini gibt es zu bestimmten Tageszeiten kaum eine Möglichkeit, in Ruhe die Treppen hinaufzusteigen. (Quelle: imago stock&people)
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Einige Orte auf der Welt wecken die Sehnsucht der Menschen. Wenn diese dann auch noch leicht und billig zu erreichen sind, geht der Ansturm los. Wie kann man das Phänomen wieder stoppen?

Die Menschen träumen von einsamen Stränden, einem entspannten Bummel durch verwinkelte Altstadtgassen oder davon, weltberühmte Sehenswürdigkeiten in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen. Doch in der Realität endet der Traum oft in Warteschlangen.

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Das Phänomen dahinter heißt Übertourismus, und es betrifft nicht nur Venedig, Barcelona oder die griechischen Kykladen. Wie entsteht diese Form des Massentourismus und ist sie aufzuhalten? t-online hat darüber mit dem Tourismusforscher Harald Friedl gesprochen.

t-online: Herr Friedel, Tourismus ist Ihr Geschäft, allerdings aus Sicht des Forschers aus. Wohin geht die Reise für Sie in diesem Sommer?

Harald Friedl: Ich komme gerade von einer Reise nach Auschwitz-Birkenau und Krakau zurück, ein Ort, der 2024 von 1,9 Millionen Besuchern frequentiert wurde. Im August bin ich auf einem Forschungsaufenthalt in Kasachstan, und für September ist eine kleine Studienreise zur Übertourismus-Destination Dubrovnik geplant.

Tatsächlich empfängt Dubrovnik in dieser Jahreszeit täglich fast 20.000 Touristen, dabei hat die Stadt nur 42.000 Einwohner. Meiden Sie privat Gegenden mit großem Urlauberandrang?

Massenansammlungen zu vermeiden, ist tatsächlich ein roter Faden in meiner Reisebiografie. Privat bevorzuge ich Destinationen abseits des Mainstreams, wie die Sahara, Süd- und Osteuropa, Ostafrika oder Arabien. Als Forscher und auch als Privatperson interessieren mich vor allem kulturelle Entwicklungen, die sich trotz globaler Kommerzialisierung gewisse Freiräume bewahren konnten. Das nennt man wohl "Authentizität". Der Besuch einer Gedenkstätte wie Auschwitz ist dabei ein Sonderfall.

Video | Video zeigt: So massiv ist der Andrang auf Südtirols Berge
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Quelle: t-online

Übertourismus ist eine Sonderform des Massentourismus. Die Kanaren haben damit zu kämpfen, Südtirol und auch Inseln wie Santorini und Mykonos. Welche Faktoren haben zu seiner Entstehung beigetragen?

Tourismus lässt sich zusammenfassend als mobile Konsumkultur begreifen. Sämtliche Entwicklungen der Modernisierung, die unsere Lebens- und Wirtschaftsweise ins Heute getrieben haben, finden sich im Tourismus wieder. Dazu gehören immer schnellere, komfortablere und billigere Transportmittel und immer mehr Angebote an Unterkünften und sonstigen touristischen Services. Außerdem ein wachsender Wohlstand bei zunehmender Freizeit. Die immer geringeren Reisebarrieren, wie Kontrollen und Visapflichten, tun ihr Übriges.

Wie sehen Sie dabei die Rolle der sozialen Medien?

Die sozialen Medien und überhaupt alle Medien vervielfachen und verbreiten Sehnsuchtsbilder. Sie wecken bei vielen den Wunsch, auch einmal dorthin reisen zu können. Dabei darf man aber eines nicht vergessen: Der Tourismus ist für viele Staaten eine Wachstumsstrategie und damit gewünscht. Angesichts dieser sich selbst verstärkenden Prozesse ist die Richtung klar: Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf touristische Ziele bis hin zum Übertourismus – nur vorübergehend unterbrochen von Zwischenfällen wie Pandemien, Kriegen oder anderen Katastrophen.

Harald Friedl
Harald Friedl

Zur Person

Professor Harald Friedl ist Jurist und Philosoph. Er forscht seit den späten Neunzigerjahren zu den breiten Zusammenhängen und Widersprüchen zwischen Tourismus und gesellschaftlicher Entwicklung. Der langjährige Reiseleiter lehrt seit 2003 am Institut Gesundheits- und Tourismusmanagement der FH Joanneum in Bad Gleichenberg (Österreich) Tourismussoziologie, Ethik und Nachhaltigkeit im Tourismus, Changemanagement sowie Naturtourismus.

Halten Sie Maßnahmen zur Regulierung, wie die Eintrittsgebühr für Tagesausflügler in Venedig, für hilfreich?

Die Grundlage des Tourismus ist ein attraktiver Raum und somit ein knappes Gut. Es gibt ein starkes Bedürfnis, an symbolisch aufgeladenen Räumen teilzuhaben. Besucht wird, was Gleichgesinnte für attraktiv halten. Will man den Wert solcher Attraktionen bewahren und die Lebensqualität der umliegenden Anrainer schützen, so führt an einer fairen, intelligenten Reglementierung des Zugangs zu überlaufenen Attraktionen kein Weg vorbei.

Was wäre Ihrer Meinung nach als Strategie zur Regulierung erfolgversprechend?

Übertourismus ist ein höchst komplexer Prozess, der nicht einfach per Knopfdruck "weggemacht" werden kann. Überlaufene Destinationen zu regulieren, ist darum unvermeidlich, jedoch nur dann erfolgreich, wenn sie – erstens – unter professioneller Beteiligung aller betroffenen Bevölkerungsgruppen entwickelt und entschieden werden. Und wenn es – zweitens – begleitende Maßnahmen gibt wie Monitoring, Demarketing, wenn Informations-, Lenkungs- und Reservierungssysteme eingerichtet sowie alternative Attraktionen angeboten werden und die nötige bauliche Infrastruktur angepasst wird.

Was ist Demarketing?

Demarketing, auch bekannt als Reduktionsmarketing oder Kundenausgrenzung, ist eine Marketingstrategie, bei der ein Unternehmen gezielt versucht, die Nachfrage nach seinen Produkten oder Dienstleistungen zu reduzieren oder Kundenbeziehungen zu beenden.

Mancherorts liegen die Nerven der Einheimischen blank, die Lage droht gar in Gewalt gegenüber Touristen zu münden. Wie lässt sich so etwas vermeiden?

Eskalierende Gewalt von Protestierenden ist aus kulturanthropologischer Sicht ein Ausdruck von Überforderung und Perspektivlosigkeit, von der Eigendynamik von Gruppenprozessen mal abgesehen. Wer keine Chance auf Verbesserung einer als unerträglich empfundenen Entwicklung erkennen kann, läuft zunehmend Gefahr, "aus der Rolle zu fallen". Darum sollte fair reguliert werden, sodass knappe Güter nachhaltig bewirtschaftet und Verteilungskonflikte verhindert werden können.

Wir danken für das Gespräch.

Verwendete Quellen
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