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Kaufrausch an Black Friday: "Rabatte tricksen uns emotional aus"


Kaufrausch an Black Friday
"Mit Rabattschlachten laufen wir auf eine Katastrophe zu"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 26.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Ein Schaufenster in der Stuttgarter Innenstadt wirbt für Sonderangebote (Symbolbild): Jedes Jahr steigen die Umsätze der deutschen Einzel- und Onlinehändler am Black Friday weiter.Vergrößern des Bildes
Ein Schaufenster in der Stuttgarter Innenstadt wirbt für Sonderangebote (Symbolbild): Jedes Jahr steigen die Umsätze der deutschen Einzel- und Onlinehändler am Black Friday weiter. (Quelle: imago-images-bilder)

Wer am Black Friday richtig kalkuliert, kann wahre Schnäppchen machen. Den größten Preis zahlt die Umwelt. Dabei ist der nachhaltige Konsum sogar oft günstiger als jeder Rabatt.

Knapp 5 Milliarden Euro wechseln in diesen Tagen den Besitzer. So viel Geld wollen die Verbraucher in Deutschland rund um den Black Friday und Cyber Monday in echte – und vermeintliche – Sonderangebote investieren, prognostiziert der Handelsverband. So viel wie noch nie.

Den wahren Preis für die einst ausschließlich amerikanische Rabattschlacht zahlen aber nicht die Käufer. Im Interview erzählt Konsumforscherin Kathleen Jacobs, wieso Schnäppchen so unwiderstehlich sind, warum sie der Umwelt schaden und wie man nachhaltiger lebt, ohne zu verzichten.

t-online: Frau Jacobs, würden Sie sich an Kaufrauschtagen wie dem Black Friday am liebsten unter Ihrem Schreibtisch verkriechen?

Kathleen Jacobs: Das würde nicht helfen! Selbst zu Hause habe ich die Diskussion über die Schnäppchen. Am Ende bestellen wir doch immer etwas. Es ist oft nicht einfach zu widerstehen.

Woran liegt das?

Wir werden da emotional ausgetrickst. Diese extremen Rabattschlachten sind das Ergebnis einer absolut auf Konsum trainierten Gesellschaft. Und die Händler wissen das: Mit einer perfektionierten Marketingstrategie sprechen sie ganz gezielt die Psyche der Verbraucherinnen und Verbraucher an.

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Aber warum fallen wir jedes Jahr wieder auf diese Tricks rein?

Da geht es vor allem um die sogenannte fear of missing out: unsere Angst davor, etwas zu verpassen. Rabatte lösen spontane Impulse in uns aus. Das führt dazu, dass wir Sachen tun, die wir eigentlich nicht geplant hatten – etwa ein neues Handy kaufen, das wir gar nicht wollten. In den vergangenen Jahren hat das massiv zugenommen. Amazon hat aus dem Black Friday inzwischen ein wochenlanges Event gemacht – ein täglicher Schnäppchenhagel.

Und Geld zu sparen ist ein Problem?

Ja, mit solchen Rabattschlachten laufen wir auf eine riesige Katastrophe zu. Da ist sich die Wissenschaft einig. Der Überkonsum ist eines der dringendsten Themen, die wir als Gesellschaft angehen müssen. Unser Kaufverhalten trägt stark zur Klimakrise bei. Es spielt eine Rolle bei der Überschwemmung der Meere mit Plastik, für die Vermüllung unserer Natur. Die Botschaft ist klar: Wir müssen unser Verhalten grundlegend ändern.

Also kann ich ein reines Gewissen nur beim neuen Pulli aus recycelten PET-Flaschen haben?

Nein, ein gutes Gewissen können Sie sich nicht mehr so leicht erkaufen. Das sind zwar kleine Schritte in die richtige Richtung, aber es reicht nicht mehr, auf umweltfreundlichere und sozialverträglichere Alternativen zu setzen. Wir müssen vor allem weniger konsumieren.

Dr. Kathleen Jacobs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn. Dort forscht sie zu nachhaltigem Konsum, vor allem zu Einflüssen auf Kaufentscheidungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Ganz schön radikal.

Nein, ich predige keinen Konsumverzicht. Es geht viel eher um Suffizienz.

Das heißt?

Damit ist einfach das richtige Maß gemeint. Qualität statt Fast Fashion. Investieren Sie lieber mehr Geld in ein hochwertiges Produkt, das länger hält. So kaufen Sie nicht jedes Jahr fünf Pullover, sondern vielleicht nur einen. Diesen Weg gehen auch immer mehr progressive Unternehmen. Die Outdoor-Marke Patagonia hatte schon vor mehreren Jahren eine Werbekampagne, bei der sie auf das Foto einer Jacke den Schriftzug "Don't buy this jacket" gedruckt haben. Da ging es nicht darum, dass niemand mehr irgendetwas kaufen sollte, aber erst einmal Produkte, die man schon hat, länger nutzt. Und das Beste: Mit einem nachhaltigen Kaufverhalten sparen Sie tatsächlich Geld – anders als bei Schnäppchenjagden.

Was hilft bei dieser Entscheidung?

Die beste Frage ist vor dem Kaufen immer: Brauche ich das überhaupt?

Und wenn die Antwort "Ja" ist?

Muss es dann neu sein? Für fast jede Art von Produkt gibt es Secondhandbörsen: eBay Kleinanzeigen, Vinted, Momox und viele andere. Da bekommt man oft noch deutlich günstigere Angebote als bei den Aktionstagen der Geschäfte und Onlineshops. Es entwickeln sich auch noch Konzepte: Geräte mieten oder leihen. Müssen wir alles immer besitzen? Es gibt inzwischen auch Geschäfte, die umweltfreundliche Mode verleihen, statt sie zu verkaufen.

Tipps für nachhaltigeren Konsum von Kathleen Jacobs:

  • Immer fragen: Brauche ich das wirklich?
  • Kaputtes möglichst reparieren
  • Aus zweiter Hand kaufen
  • Seltener kaufen, dafür auf bessere Qualität achten (z.B. Kennzeichnung)
  • Der Preis für nachweislich Hochwertiges lohnt oft, da die Produkte länger halten
  • Die sozial-ökologischere Variante eines Produkts auswählen
  • Keine Spontankäufe
  • Onlineshopping besser am Computer statt nebenbei am Handy
  • Gekauftes so lange nutzen wie möglich
  • Abgelegtes weitergeben oder recyceln

Schön und gut. Aber Gewinn lässt sich mit diesen Konzepten nur schwer machen.

Ab einem gewissen Punkt stellt sich hier natürlich die Systemfrage. Aber es muss gar nicht so radikal sein: Alternative Geschäftsmodelle verbreiten sich auch so immer mehr – weil sie funktionieren. Die Firma Fairphone etwa stellt ein Smartphone her, das komplett repariert werden kann und Ressourcen schont. Seit 2020 ist das Unternehmen jetzt auch profitabel.

Dafür kostet das neue Fairphone-Modell allerdings auch rund 650 Euro. Funktioniert der nachhaltige Kaufanreiz nur über den eigenen Idealismus?

Es ist ein Problem, dass Wegwerfgeräte deutlich billiger sind. Denn die Umwelt- und Sozialkosten der Produktion sind nicht eingepreist. Hier muss die Politik ran. Auf lange Sicht sind die nachhaltigen Produkte schon jetzt günstiger, wenn man es mal durchrechnet: Ein Fairphone hat ein deutlich längeres Produktleben als ein herkömmliches Smartphone. Da gleichen sich die Kosten über die Jahre wieder aus.

Die Verantwortung für nachhaltigeren Konsum darf doch aber nicht nur bei den Verbrauchern liegen. Was muss auf Unternehmensseite passieren?

Momentan springen viele Firmen auf diesen Zug auf, weil die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten steigt. Aber: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen immer noch ganz genau hinschauen, wie ein Hersteller Nachhaltigkeit definiert. Produktkennzeichnungen könnten helfen, vor allem wenn es um die Langlebigkeit von Elektrogeräten geht. Denn viele Hersteller entscheiden sich immer noch für Gewinn statt für wirkliche Nachhaltigkeit. Der Verschleiß ist in die Verkaufsprognose mit eingeplant. Geräte sollen nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen, damit sie mehr Produkte verkaufen können.

Die meisten Kabel gehen nun einmal nach ein paar Jahren kaputt. Ist das nicht normal?

Früher war das zumindest nicht der Fall. Meine Mutter benutzt immer noch ein Rührgerät aus der DDR, das ist jetzt rund 40 Jahre alt und funktioniert ohne Probleme. Wir wissen also, wie man Waschmaschinen, Kühlschränke und Haartrockner baut, die 20 Jahre halten – und entscheiden uns absichtlich dagegen. Ich finde das faszinierend. Aber vor allem wahnsinnig.

Frau Jacobs, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Dr. Kathleen Jacobs, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn
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