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Zum journalistischen Leitbild von t-online.China und Putins Krieg Trump prallt ab

Donald Trump hat Wladimir Putin eine Frist von 50 Tagen gesetzt, um sich im Ukraine-Krieg verhandlungsbereit zu zeigen. China und Russland reagieren auf die US-Drohungen mit einem Schulterschluss. Folgt nun die Eskalation?
50 Tage, das ist die neue Deadline für Wladimir Putin. Bis dahin soll der russische Präsident einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zustimmen oder sich zumindest verhandlungsbereit zeigen. Andernfalls möchte US-Präsident Donald Trump Russland und seine Verbündeten mit Zöllen von 100 Prozent belegen.
Beobachter sind sich einig: eine US-Drohung mit Schlagkraft, wenn sie denn ernst gemeint ist. Immerhin stünden damit erstmals Staaten wie China, Brasilien oder Indien am Pranger, die weiterhin in großem Umfang Rohstoffdeals mit Russland machen und damit Putins Krieg mitfinanzieren. Sollte Trump also Ernst machen, hätten Sekundärsanktionen durchaus das Potenzial, diesen Staaten massiv wirtschaftlich zu schaden.
Aber ist Trump wirklich zu einem derartigen Schritt bereit? Daran gibt es erhebliche Zweifel. Bislang blieb der US-Präsident seit seiner Amtsübernahme immer hinter den Erwartungen der westlichen Verbündeten der Ukraine zurück. Er ließ Putin auf Zeit spielen, ohne den Kremlchef zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Auch deswegen ist es fraglich, ob Trumps Ankündigung vom Montag, die Ukraine mit mehr Waffen und Munition zu versorgen, wirklich einen nachhaltigen Kurswechsel der US-Regierung markiert.
- Kommentar zu Trumps Ukraine-Wende: Zwischen Härte und Hinhaltetaktik
Fest steht: Es könnte am Ende wieder eine leere Drohung aus Washington sein. Denn bislang haben die Amerikaner ihre Unterstützung für die Ukraine in Trumps Präsidentschaft kontinuierlich zurückgefahren.
Auch deswegen scheint die Drohung Russland und China bislang wenig zu beeindrucken. Peking und Moskau demonstrieren zwar öffentlich einen Schulterschluss, setzen aber offenbar darauf, dass der Mann im Weißen Haus am Ende zurückrudert. So, wie er es in den vergangenen Monaten schon oft getan hat – etwa bei seinen Zöllen oder eben bei der Unterstützung der Ukraine. In ihren Augen lässt das Trump schwach aussehen, er verliert international dadurch an Glaubwürdigkeit. Und das stärkt vor allem China.
Xi weicht keinen Schritt zurück
Der Ukraine-Krieg ist aus chinesischer Perspektive auch ein geopolitisches Kräftemessen mit den Amerikanern, die Präsident Xi Jinping mittelfristig als dominierende Supermacht ablösen möchte. Dementsprechend soll die chinesische Reaktion auf Trumps Politik vor allem eine Botschaft senden: China ist auf Augenhöhe mit den USA, und die chinesische Führung gibt nicht nach – weder im Handelskonflikt noch im Ukraine-Krieg.
Entsprechend harsch reagierte China auf die neuesten US-Drohungen: "Nötigung und Druck werden Probleme nicht lösen", erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Lin Jian, am Dienstag in Peking. Er fügte hinzu: "China lehnt alle einseitigen illegalen Sanktionen und extraterritoriale Gerichtsbarkeit entschieden ab."
Einerseits geht Xi Jinping wahrscheinlich davon aus, dass China eine mögliche Wirtschaftskrise durch einen Handelskrieg länger aushalten kann als die Amerikaner. Immerhin ist die chinesische Bevölkerung Krisen gewohnt und in der chinesischen Diktatur muss Xi auch keine Wahlen fürchten. Seine Propaganda bestimmt über Wahrheit und Unwahrheit. Andererseits wird die Volksrepublik darauf hoffen, dass ihr Bündnis mit Brasilien oder Indien gestärkt wird, sollten die USA wie angekündigt auch diese Länder sanktionieren.
Was ist ein Bündnis mit Peking wert?
China geht es um eine langfristige Strategie und um politische Signale: Kein Zweifel soll daran aufkommen, dass die Volksrepublik ihre Bündnispartner im Stich lässt. Auch deshalb möchte Peking offenbar dem Iran mehr Waffen liefern, nachdem Russland und China zuvor nur tatenlos hatten zusehen können, als ihre Verbündeten aus Teheran im Juni von Israel und den USA bombardiert wurden.
Auch das erklärt, warum China dieser Tage immer wieder die Stärke des chinesisch-russischen Bündnisses unterstreicht. Es sei das "größte Bündnis unter Großmächten", heißt es etwa aus Peking. Im russischen Staatsfernsehen läuft derweil chinesische Propaganda, unterlegt mit Zitaten von Xi Jinping.
Außerdem sprach Xi Jinping sich laut chinesischen Staatsmedien am Dienstag dafür aus, die Beziehung seines Landes zu Russland auszubauen. Bei einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Peking sagte er, beide Länder sollten ihre "gegenseitige Unterstützung in multilateralen Foren verstärken", wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Peking und Moskau sollten "die Länder des Globalen Südens vereinen und die Entwicklung der internationalen Ordnung in eine gerechtere und vernünftigere Richtung vorantreiben", so der chinesische Staatschef.
Diese Aussagen demonstrierten einmal mehr: Es geht China um den Systemkonflikt mit den USA, nicht lediglich um den Krieg in Europa. Xi findet sich in diesem – aus seiner Sicht – geopolitischen Schachspiel in einer äußerst komfortablen Situation wieder.
China profitiert vom Krieg
Denn im Gegensatz zu den USA und den Europäern profitiert China gegenwärtig vom Status quo im Ukraine-Krieg. Mit jedem Kriegsmonat wird Russland schwächer und damit vor allem wirtschaftlich immer abhängiger von der Volksrepublik. Während Peking und Moskau vor der russischen Vollinvasion 2022 noch um die Vorherrschaft in ihrem Bündnis kämpften, gibt es nun keinen Zweifel mehr daran, wer der Juniorpartner ist.
Weil das für den russischen Nationalstolz ein schwerer Schlag ist, betonen westliche Politiker gern dieses Ungleichgewicht. Aber bisher entstanden dadurch in den chinesisch-russischen Beziehungen keine sichtbaren Gräben.
Außerdem ist es durchaus im chinesischen Interesse, wenn sich die USA militärisch im Ukraine-Krieg engagieren und Kiew unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die Debatte über die Lieferung von Patriot-Flugabwehrsystemen durch die USA an die ukrainische Armee. Laut der britischen Zeitung "Guardian" haben die USA selbst zu wenig Patriot-Flugabwehrraketen, um allen globalen Herausforderungen begegnen zu können. Sollte Trump nun – wie von ihm angekündigt – mehr Munition an die Ukraine abgeben, verlieren die USA langsam die Fähigkeit, sich im Pazifik vor möglichen chinesischen Angriffen mit Raketen und Marschflugkörpern zu verteidigen – sollte Xi den Angriff auf Taiwan befehlen.
Europäer stehen vor einem Dilemma
Dementsprechend muss China aktuell lediglich warten. Während die USA und auch Russland schwächer werden, wächst Chinas Wirtschaft sogar relativ robust. Nach Angaben des Pekinger Statistikamts legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von April bis Juni gegenüber dem Vorjahr um 5,2 Prozent zu.
Chinas Strategie könnte darüber hinaus noch einen weiteren Hintergrund haben. Denn selbst wenn Trump tatsächlich Sekundärzölle gegen China oder Indien beschließen sollte, ist noch völlig offen, wie etwa die EU-Staaten darauf reagieren. Länder wie Deutschland sind aktuell wirtschaftlich angeschlagen und ökonomisch noch viel abhängiger von China, als es die USA sind. Es droht also eine weitere Zerreißprobe für den Westen – entweder spaltet sich das transatlantische Bündnis oder die Europäer schwächen nicht nur die Volksrepublik wirtschaftlich, sondern auch sich selbst.
In jedem Fall sieht sich die chinesische Führung aktuell in einer Position, in der sie entspannt dabei zusehen kann, wie der Westen dieses Dilemma löst – spätestens in 50 Tagen.
- theguardian.com: US only has 25% of all Patriot missile interceptors needed for Pentagon’s military plans (englisch)
- fr.de: Trumps Ukraine-Kehrtwende: Jetzt gerät Russland-Freund China unter Zugzwang
- merkur.de: Trotz Ukraine-Krieg erlebt China einen Russland-Hype
- spiegel.de: Jets gegen Öl
- focus.de: Hinter Trumps neuer Russland-Strategie steckt ein viel größerer Plan
- Nachrichtenagenturen dpa und afp