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Patzer von Robert Habeck: So zerstören wir unsere politische Kultur


Habecks Pendler-Patzer
So zerstören wir unsere politische Kultur

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 26.09.2019Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Robert Habeck: Der Grünen-Co-Chef zog wegen eines Patzers in einem ARD-Interview viel Häme auf sich.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck: Der Grünen-Co-Chef zog wegen eines Patzers in einem ARD-Interview viel Häme auf sich. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Jubel ist groß: Grünen-Chef Robert Habeck patzt im ARD-Interview – ausgerechnet bei einem Öko-Thema. Die Reaktionen zeigen die ganze Malaise der politischen Debatten-Unkultur.

Endlich. Endlich hat Robert Habeck einen Fauxpas begangen. Wie glücklich viele seit letzten Sonntag sind, als der Grünen-Chef im Interview mit der ARD beim Thema Pendlerpauschale patzte, und die Details der Regelung nicht parat hat. "Habeck redet sich um Kopf und Kragen." "Habeck blamiert sich." "Habeck ohne Peilung". "Habecks Eigentor" und so weiter lauteten die Schlagzeilen am nächsten Tag. Entsprechend, im Ton nur schärfer, klang es natürlich im Netz.

Dass sich Habecks parteipolitische Gegner auf den Vorfall stürzen, ist klar. So etwas nennt man Berufsrisiko von Politikern und das ist nicht weiter der Rede wert. Aber was sagt uns die Häme im Rest der Republik?

Die Inbrunst, mit der die selbsternannten Oberlehrer den Aussetzer genüsslich auswalzen und breittreten, zeigt die Malaise unserer öffentlicher Debattenkultur auf. Früher haben wir Fehler hingenommen: "Kann ja schließlich jedem mal passieren!" Heute werden sie genutzt, um gleich alles in Frage zu stellen: "Wenn Habeck schon zu blöd für die Pendlerpauschale ist, ist auch alles andere aus seinem Mund ideologischer Schwachsinn. Also weg mit dem."

Das Ziel, die Widerstandskraft missliebiger Person zu brechen, sie zu zermürben und entmutigen, wurde schon früher verfolgt. Heute, wo jeder im Internet veröffentlichen kann und die Attacken archiviert bleiben, entfaltet es jedoch eine viel größere Wirkung. Die Vorstellung, dass sich diese Unkultur immer weiter etablieren könnte, macht mir Sorgen. Das Internet verändert unsere Gesellschaft.

Es geht nicht nur um Habeck

Robert Habeck wird als Hauptgegner von Rechtspopulisten und Rechtskonservativen sowie als angeblicher Moralapostel in den Sozialen Medien härter rangenommen als andere. Doch es geht nicht nur um Habeck. Man denke an den Umgang mit der früheren SPD-Chefin Andrea Nahles. Oder wie manche mit Rassismus-Vorwürfen über FDP-Chef Christian Lindner hergefallen sind, als er seine zugegeben abenteuerliche Bäckerei-Anekdote erzählt hatte. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Wir erwarten Perfektionismus, wo es keinen Perfektionismus geben kann. Menschen sind nicht perfekt. Weder Experten haben Anspruch auf Unfehlbarkeit noch Politikerinnen und Politiker in ihren Kernthemen.
Hand aufs Herz! Hatten Sie in Ihrem Beruf noch nie eine peinliche Wissenslücke? Und glauben Sie, dass Sie deshalb generell unqualifiziert für Ihren Job sind?

Während die meisten von uns im Alltag darum bemüht sind, eigene Fehler nicht an die große Glocke zu hängen und sie – wenn überhaupt – nur gegenüber den Personen einzugestehen, bei denen es unvermeidlich ist, geschieht in der Politik das Gegenteil: Sobald sich die typische Makelhaftigkeit des Menschen hier offenbart, brüllen wir sie durchs Megafon in die Welt hinaus, damit es auch noch der letzte in Krähwinkel zur Kenntnis nimmt.


"Selbst schuld", werden einige sagen: "Niemand hat Politiker gezwungen, in die Politik zu gehen." Doch das ist zu kurz gedacht. Eine moderne Gesellschaft ist darauf angewiesen, das sie gute Politiker hat. Wenn diese jedoch schon bei Nickligkeiten verächtlich gemacht und angegriffen werden, verbal und tätlich, muss sich niemand wundern, wenn die Parteireihen nur noch mit Opportunisten und Karrieristen gefüllt werden.

Heute trifft es Habeck – und morgen...

In einer funktionierenden Demokratie wie in Deutschland dürfen Politiker ein bisschen mehr Respekt erwarten. Machen wir uns nichts vor, solche "Shitstorms" steckt auch ein Politprofi aus der ersten Reihe wie Robert Habeck nicht einfach weg. "Natürlich ärgere ich mich tierisch, dass mir das unterlaufen ist", räumte er offen ein. Die ausgemachten Gegner Habecks setzen selbstverständlich genau darauf, ihn persönlich zu treffen, dem Rest sollte das Sorgen bereiten. Heute trifft es Habeck, morgen womöglich den eigenen Partner.

Seit jeher beklagen wir, dass Politikerinnen und Politiker mit geschliffenen Worten aus der Retorte die Fragen von Journalisten parieren. Wir regen uns über ihr PR-Gequatsche auf, über ihre leeren Worthülsen, Sprechblasen und Sonntagsreden. Wir verlangen stattdessen ehrliche Persönlichkeiten mit offenen und klaren Worten. Doch wir selbst konterkarieren das mit unseren gehässigen Reaktionen auf die Fehler von Politikern. Wir tragen vielmehr dazu bei, die politische Kultur zu zerstören. Wenn Mandatsträger oder Parteifunktionäre andauernd in Sorge sind, beim kleinsten Fehler in der Luft zerrissen zu werden, werden sie sich hüten, frank und frei zu sprechen.

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Wie gesagt: Demokratien brauchen Respekt für ihre Volksvertreter – erst recht, wenn diese ihre Fehler eingestehen, was in unserer scheinperfekten Welt, in der manche lieber "mausgerutscht" sind, statt mit leeren Händen dazustehen, selten vorkommt. Habeck gab bereits in dem ARD-Interview und danach zu, dass er die Details der Pendlerpauschale tatsächlich nicht auf dem Schirm hatte. Er verstieg sich nicht in windige Ausflüchte und unglaubwürdige Ausreden. Eine solche Fehlerkultur ist doch vor allem eines – löblich.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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