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Feuerwehrfrau im Berliner Grunewald: "Es war ein bisschen wie im Krieg"


3,50 Euro Entschädigung
Feuerwehrfrau im Grunewald: "Es war ein bisschen wie im Krieg"


Aktualisiert am 05.08.2022Lesedauer: 4 Min.
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Für 3,50 Euro pro Stunde Schwitzen im Grunewald: Tina Witte sagt, als freiwillige Feuerwehrfrau lerne sie Berlin nochmal neu kennen.Vergrößern des Bildes
Für 3,50 Euro pro Stunde Schwitzen im Grunewald: Tina Witte sagt, als freiwillige Feuerwehrfrau lerne sie Berlin noch mal neu kennen.

Ohne Ehrenamtliche wäre die Feuerwehr in Berlin verloren. Auch im Grunwald waren sie dabei. Eine von ihnen erzählt.

Ein Wald, der lichterloh in Flammen steht. Der Lärm von Silvesterfeuerwerk. Martina Witte musste zweimal hinschauen, weil sie es nicht glauben konnte. Sie sagt: "So was sieht man selten in Berlin." Es war acht Uhr morgens am Donnerstag, als sie im Radio hörte, mitten auf einem Sprengplatz im Grunewald habe es Explosionen gegeben. Martina "Tina" Witte ist 56 und Urberlinerin. Eine Frau mit feuerroten Haaren, die gerne lacht und sagt, was sie denkt.

Sie hat ihr ganzes Leben in der Stadt verbracht, erst in Friedrichshain, dann in Spandau, und jetzt wieder in Friedrichshain. Mehr Berlin geht nicht. Aber von einem Sprengplatz mitten im Naherholungsgebiet hatte sie noch nie etwas gehört. Sie sagt: "Wat’n ditte?"

Es war ihr erster Einsatz bei einem Großfeuer. Sie ist erst vor vier Jahren zur Feuerwehr gestoßen. Am Donnerstag war sie eine von 150 Kolleginnen und Kollegen, die in den Grunewald ausrückten. Weil der Feuerwehr in Berlin Personal fehlt, müssen die Ehrenamtlichen ran. 1.500 gibt es in Berlin. Ohne sie würde in der Stadt schon lange nichts mehr laufen.

Dramatische Engpässe bei der Feuerwehr

Die Engpässe sind so groß, dass die Feuerwehr in diesem Jahr schon 200 Mal den Ausnahmezustand ausrufen musste. Das passiert immer dann, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind und die vorgeschriebene Zeit von zehn Minuten Anfahrt nicht eingehalten werden kann.

Es ist ein unhaltbarer Zustand, sagt der Sprecher der Feuerwehrgewerkschaft Berlin-Brandenburg, Manuel Barth, zu t-online. Auf Twitter schrieb er am Donnerstag: "Wenn Berlin ein Hochhaus mit Auflagen zum Brandschutz wäre, dann müsste man es aufgrund der Nichteinhaltung dieser (Auflagen, Anm. d. Red.) vermutlich evakuieren."

"Nach der Arbeit bist du fertig"

Ein Einsatz wie der im Grunewald bringt die Berufsfeuerwehr an ihre Grenzen. Während die hauptamtlichen Kollegen ausrücken, stopfen Freiwillige in den Rettungsstellen die Lücken. Tina Witte ist jeden Mittwoch von 17 bis 22 Uhr in Friedrichshain im Einsatz. Hier ein entzündeter Blinddarm, dort eine gequetschte Fingerkuppe. Sie sagt, nach der Schicht sei sie fertig. "Du wirst ständig angepiept".

Von den 5.000 festangestellten Mitarbeitern der Feuerwehr sind 600 "nicht mehr feuerwehrtauglich". Witte sagt, sie verstehe, warum. "Die Kollegen werden als Feuerwehrleute ausgebildet, aber sie sind zu 80 Prozent im Rettungswesen beschäftigt." Ein Großeinsatz wie der im Grunewald erscheint da fast wie eine willkommene Abwechslung.

Freiwillige dürfen nur in die zweite Reihe

Normalerweise. Aber ein Sprengplatz ist kein normaler Brandherd. Hier lagert hochexplosive Munition. Ein lautes Knallen ist das Erste, was Tina Witte hört, als sie sich dem Brandherd nähern darf. Dann rollen ihr Panzer der Bundeswehr entgegen. Sie sagt, es seien gruselige Bilder gewesen. Sie habe sofort an den Krieg in der Ukraine gedacht.

Flammen sieht sie keine. Aus Sicherheitsgründen muss die Feuerwehr 1.000 Meter Abstand wahren. Die Freiwilligen stehen noch weiter hinten, in der zweiten Reihe. Witte sagt, es sei frustrierend gewesen. Das Feuer breitete sich weiter aus. Das hörten sie über Funk. Aber wegen der Explosionsgefahr durften nur Wasserwerfer der Polizei und Bundeswehrpanzer zum Brandherd. Sogar die Berufsfeuerwehr muss einen Sicherheitsabstand von 1.000 Metern wahren. Freiwillige dürfen nur in die zweite Reihe.

Schläuche, überall Schläuche

Heiß sei es gewesen, sehr heiß. "Die Luft stand in unseren Stiefeln." Ein Bad in einem nahegelegenen See, das war ihr Highlight des Tages. Witte lacht. Sie hat Fotos von diesem Tag gemacht. Sie zeigen verschwitzte Kameraden in Uniformen. Sie haben sich nasse T-Shirts um den Kopf gebunden. Sie gucken genervt.

Erst nach sechs Stunden durften sie an die "Front". Schläuche, überall Schläuche. Ihre Vorgänger hatten sie im ganzen Wald verlegt. Mittels Dieselpumpen gelangte das Wasser aus Seen an die Ränder des Sperrkreises. Ihre Aufgabe war es, den Wald drumherum zu bewässern, damit sich das Feuer nicht weiter verbreiten konnte, wenn die Flammen über die Grenze des Sperrbezirks schlugen.

"Freiwillige müssen den Mindestlohn bekommen"

Ein anstrengender Job. Obendrein einer, der mies bezahlt wird. 3,50 Euro Aufwandsentschädigung, mehr ist für die Freiwilligen nicht drin. Ein Skandal, sagt Gewerkschaftssprecher Manuel Barth. "Die Leute müssten den Mindestlohn bekommen."

Aber wegen des Geldes macht Tina Witte den Job nicht. Sie sagt: "Ich habe ein Helfersyndrom." Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Versicherungskauffrau. "Feuer-, Sturm- und Wasserschäden", das ist ihr Gebiet. Die Arbeit bei der Feuerwehr ist eine willkommene Abwechslung zur Schreibtischarbeit.

Die Stadt noch einmal neu kennenlernen

Witte sagt, sie lerne ihre Stadt noch einmal von einer völlig neuen Seite kennen. Verbranntes Altpapier nach einem Brand in einem Altpapierlager nach Glutnestern filzen. Kaputte Äste nach einem Sturm im Wedding von den Bäumen holen. Ein Bad im See neben einem Sprengplatz im Grunewald.

Es gibt immer was zu tun in Berlin, Tina Witte packt es an. Sie sagt, für das Wochenende habe sie sich nichts vorgenommen. Die Löscharbeiten im Grunewald dauerten schließlich immer noch an. Und wenn sich ihr Beeper melde, rücke sie natürlich auch wieder aus. Sie sieht nicht aus, als müsste man sie darum zweimal bitten. Sie sagt: "Einer muss die Schläuche schließlich ja auch wieder aufrollen."

Verwendete Quellen
  • Interview mit Tina Witte
  • Interview mit Manuel Barth von der Feuerwehrgewerkschaft Berlin-Brandenburg
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