Wenn sich der Gaspreis verzehnfacht "Ein paar Monate können wir das wuppen, aber was kommt dann?"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weil die Gaspreise explodieren, müssen Bürger zum Teil das Zehnfache ihrer bisherigen Rechnung zahlen. Hier erzählen zwei, was das für sie bedeutet.
Der Brief ihres Gasanbieters kam am Sonnabend vor einer Woche. Renate Sloma sagt, sie habe sich erst mal hinsetzen müssen, so schwindelig sei ihr vor Schreck geworden. Zum 1. November 2022, teilte ihr die Firma Mitgas mit, werde der Preis erhöht.
Statt 85 Euro im Monat sollte die 82-jährige Rentnerin 883 Euro fürs Gas zahlen. Das wäre mehr, als sie an Miete für ihre Zweizimmerwohnung zahlt: 609 Euro. Und mehr, als sie sich leisten kann. "Ich hab etwas gespart. Aber wenn ich Miete, Versicherung und alles andere zusammennehme, dann ist meine Rente bis auf den letzten Pfennig weg", rechnete sie dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) in der Abendschau vor.
Gasanbieter: Wir haben keine Einfluss auf die Kosten
Sloma versucht, den Kundenservice telefonisch zu erreichen. Vergeblich. Auch eine E-Mail ihrer Tochter Petra an die Mitgas bleibt unbeantwortet. Erst als sich der rbb ihrer Sache annimmt, meldet sich der Anbieter. Es ist ein Unternehmen, das in Berlin und Brandenburg 20.000 Kunden versorgt.
Schriftlich teilt die Mitgas mit, Sloma habe jahrelang von einem günstigen Tarif mit Festpreisgarantie profitiert, der aber "kurzfristig kalkuliert" werde. Das Gas müsse jetzt aber zu "aktuellen, extrem hohen Marktpreisen" beschafft werden, und weder darauf noch auf die von der Bundesregierung beschlossene Gasumlage habe man als regionaler Versorger Einfluss.
Letzter Ausweg: Sonderkündigungsrecht
Renate Sloma traut ihrem Anbieter nicht. Sie sagt, Mitgas kassiere die höchsten Abschläge in Berlin. Sie verstehe nicht, warum sie 47,25 Cent pro Kilowattstunde zahlen soll, andere Mitgas-Kunden aber nur 12 Cent.
In ihrer Not wendet sie sich an die Verbraucherzentrale. Dort teilt man ihr mit, dass sie die Preiserhöhung selbst nicht ändern könne. Wenn sich das Unternehmen ein Preisänderungsrecht vorbehalten habe, dürfe das Unternehmen den Preis erhöhen. Sloma könne aber von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen und sich einen neuen Anbieter suchen.
Kunden, die keinen Versorger hätten, fielen automatisch in die Grundversorgung der Berliner Gasag. Deren Preise sind derzeit die günstigsten in ganz Berlin. 15 Cent kostet die Kilowattstunde dort ab Oktober. Gute Aussichten für Renate Sloma. Doch aufzuatmen traue sie sich noch nicht, sagt sie. "Noch hat die Mitgas meine Kündigung nicht bestätigt."
Der Abschlag verfünffacht sich
Stefanie Wegener hat es noch schlimmer erwischt. In ihrem Fall hatte der Gasanbieter das Geld schon für einen Monat von ihrem Konto abgebucht: 828 Euro. 270 Euro hatte sie bisher bezahlt. "Wir waren erst mal in Schockstarre", sagt Wegener. Die Erhöhung der Abschläge sei nur per E-Mail angekündigt worden. "Die ist mir durchgerutscht, dadurch haben wir das Sonderkündigungsrecht verpasst."
Wegener lebt mit ihrem Mann und einer kleinen Tochter in Berlin-Mahlsdorf. Ihr kleines Haus haben sie vor einiger Zeit gekauft. Wegeners Schwiegereltern leben in einer Wohnung im Erdgeschoss, wo die Schwiegermutter einen Kosmetiksalon betreibt. Stefanie Wegener selbst arbeitet auch im Haus. Die gelernte Friseurin bietet Haarverlängerungen an. "Mit dem Gewerbe haben wir insgesamt einen höheren Energieverbrauch als ein normaler Haushalt."
Es kommt aber noch dicker. Ab 1. September erhöht sich ihr Abschlag erst auf 1.113 Euro, ab Oktober soll sie dann 1.304 Euro bezahlen. Das ist fast eine Verfünffachung innerhalb weniger Monate. Die Bescheide liegen t-online vor. "Damit würden wir mehr für Gas als für die Kreditrate des Hauses bezahlen." Sie habe jetzt gekündigt und gehe zurück zum Grundversorger. Was sie dort bezahlen muss, weiß sie noch nicht. Wegener macht sich Sorgen. "Ein paar Monate können wir das schon wuppen, aber was kommt danach? Die Preise werden ja nicht einfach wieder fallen."
Ihre Schwiegermutter habe bald in Rente gehen wollen, jetzt müsse sie wahrscheinlich zeitweise weiterarbeiten. Außerdem erwarten die Wegeners im Februar das zweite Kind. Ihr Mann, der als Erzieher arbeitet, habe dann eigentlich auch in Elternzeit gehen wollen. "Jetzt wissen wir nicht, ob wir uns das leisten können", sagt Stefanie Wegener.
- Telefonat mit Stefanie Wegener
- Telefonat mit Renate Sloma
- rbb: "Rentnerin soll fast 900 Euro für Gas zahlen – jeden Monat"