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Sexuelle Übergriffe im Berliner Nahverkehr: Drei Frauen berichten


Sexuelle Übergriffe in Bus und Bahn
"Als Lustobjekt benutzt" – drei Frauen berichten

Von Katharina Viktoria Weiß

17.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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EIne Frau sitzt in einer U-Bahn (Symbolbild): In Berlin werden Frauen im ÖPNV häufig Opfer sexueller Gewalt.Vergrößern des Bildes
EIne Frau sitzt in einer U-Bahn (Symbolbild): In Berlin werden Frauen im ÖPNV häufig Opfer sexueller Gewalt. (Quelle: Westend61/imago-images-bilder)

Es geht um Macht und Schamlosigkeit: Zahlreiche Frauen haben sie schon erleben müssen – sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr. Drei Frauen erzählen, wie sehr sie das Erlebte bis heute belastet.

Birgit spürt, dass die Augen des Mannes auf ihr ruhen. Sie will ihn nicht ansehen und sieht doch, wie er ihr vulgär zugrinst. Und: "Dann stieg das Gefühl in mir hoch, dass er gerade an sich rumspielt. Es bestätigte sich, als er den Rucksack von seinem Schoß nahm. Es war offensichtlich: Beine breit und los, mit Hand in der Hose. Dabei fixierte er mich fast permanent mit seinem Blick."

Die 41-jährige Produktfotografin war in diesem Moment gerade auf dem Weg zur Arbeit, wie immer mit der U6, um von Mariendorf nach Tegel zu kommen. Sie erstarrt. Während der eine masturbiert, setzt sich ein anderer Mann zu den beiden dazu. Er schaut auf sein Handy. Birgit vermutet, dass dieser Dritte durchaus bemerkt, was da geschieht – die Situation jedoch lieber ignoriert, statt ihr zu helfen.

Übergriffe in Berlin: Zu viele Frauen haben Ähnliches erlebt

Kein Einzelfall: Immer wieder gibt es Berichte von Frauen, die im öffentlichen Personennahverkehr am helllichten Tag sexuell belästigt werden. Als Birgit an diesem Tag auf der Arbeit ihren Kolleginnen von dem Vorfall berichtet, bemerkt sie erstmals, wie sehr sie das Geschehen aufgewühlt hat.

Auf Facebook setzt sie ein Posting in einer großen Berliner Netzwerkgruppe ab. Es ärgert sie, dass ihr in dem Moment nur die Schockstarre als Reaktion geblieben war. Sie schreibt unter anderem: "Ich fühle Wut, dass man mich objektifiziert und als Lustobjekt benutzt hat." Birgit will wissen, ob andere Betroffene Tipps haben, wie man sich in solchen Situationen am besten wehren kann.

Die Kommentare unter dem Beitrag explodieren. Unzählige Frauen beschreiben ähnlich Erlebtes. Ein paar Männer wiederum bemerken Dinge wie: "So toll siehst du doch gar nicht aus" oder "Ist doch deine Schuld, wenn du nicht einfach weggehst."

Im Jahr 2019 wies die Statistik zur Kriminalität im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs 347 Fälle auf, 2020 waren es 358 Fälle. Hierzu zählen auch schwere Verbrechen wie Vergewaltigung oder das Angrapschen von Personen in Bussen und Bahnen. Aber auch die illegale Tat des Masturbierens in der Öffentlichkeit wird in diese Statistik mit aufgenommen.

Täter "wollte Macht demonstrieren"

Denn der junge Mann, der sie da so schamlos anmasturbiert hat, war keine verwahrloste Person, die keinen geschützten Raum für die eigene Sexualität mehr kennt. Es war ein gepflegter, potenziell attraktiver Mensch, der auch geistig zurechnungsfähig wirkte. "Der wollte ganz klar seine Macht demonstrieren", sagt Birgit und schüttelt sich, wenn sie an das Erlebte denkt. Mit ein paar Tagen Abstand ist ihr klar, dass ihre Wut vor allem von dem Spiel mit Macht und Ohnmacht herrührt, zu dem der Fremde sie gezwungen hat.

Wie lange einen solche Übergriffe begleiten können, weiß auch die 28-jährige Eliza aus Lichtenberg. Sie war ein Kind, eine Viertklässlerin, als sie auf dem Heimweg von der Schule bemerkte, dass ihr ein Mann hinterherlief. "Ich hatte gerade Kastanien gesammelt und trug einen roten Strickpullover mit einem Clown darauf."

Sie wechselte die Straßenseite, mehrmals, der Mann tat es ihr nach. "Dann hat er sich vor mich gestellt. Sein Penis hing aus der Hose und war erigiert. Ich hab ihn angeguckt, war komplett ratlos und bin einfach an ihm vorbeigegangen", erzählt sie. Den Gehweg hat sie als sehr schmal in Erinnerung: Bis heute hat Eliza das Gefühl, dass sie kurz von seinem Penis berührt wurde, als sie sich an ihm vorbeidrängte.

Erinnerungen sind wie eingebrannt

Neben diesen Details weiß sie auch bis heute, wie er ausgesehen hat: runde Brille, Halbglatze, sehr rundliches Gesicht. "Ich bin dann zu meiner Mutter gegangen und habe ihr das erzählt. Doch sie hat mir nicht geglaubt oder sie hat's nicht interessiert." Stattdessen wurde Eliza keine zehn Minuten später zurück in die Straße des Tatgeschehens geschickt, um dort einen Einkauf zu tätigen.

"Ich sollte Mandarinen für ihren Mandarinenkuchen kaufen gehen. Ich hatte ziemlich viel Angst, dass der Mann noch in der Nähe ist", sagt Eliza und erzählt, dass sie viele Jahre lang nicht mehr über diese Seite der Straße gehen konnte. "Und den Pullover mit dem Clown habe ich nie wieder angezogen."

"Es wäre so wichtig, nicht wegzuschauen"

Bis heute kann sie nur erahnen, wie intensiv sie dieses Erlebnis geprägt hat. Doch beim zweiten Mal war sie schon abgestumpfter. "Damals war ich zwölf und mit meinen Freundinnen unterwegs. Ein Mann setzte sich im Bus vor uns und onanierte in seiner Hose. Er hat meine beste Freundin und mich dabei abwechselnd angeschaut, wir haben ihn einfach ignoriert, weil wir nicht wussten, was wir machen sollten. Irgendwann sind wir dann auch ausgestiegen."

Wenn ihr das heute als erwachsener Frau passiert, reagiert sie mit Aggression. Eliza arbeitet im sozialen Bereich, hat mit Suchterkrankungen und Familienhilfe zu tun. Menschliche Dramen sind ihr also nicht fremd. Gesellschaftliche Ungerechtigkeiten machen sie trotzdem so wütend, dass sie sich fragt, wie jeder Einzelne in solchen Situationen helfen kann.

"Es wäre so wichtig, nicht wegzuschauen, sondern die betroffene Person in dem Moment zu stärken", sagt sie. Den Täter anzusprechen wäre hier eine Option. Wer sieht, wie ein Mensch von einem anderen anmastubiert wird, hat jedoch möglicherweise Angst, den Täter aggressiv zu machen. Dann könne man aber zumindest dem Opfer das Gefühl geben, dass es nicht allein ist, findet sie. Dies könnte geschehen, indem man die betroffene Person fragt, ob man sich zu ihr setzen darf. Oder sie dazu einlädt, gemeinsam den Platz oder das Verkehrsmittel zu wechseln.

Notknöpfe der BVG sollen Opfern helfen

Eine Sprecherin der BVG betont zudem: "An jeder U-Bahn-Station befindet sich ein Notknopf. Der ist rund um die Uhr mit einem Menschen, keinem Roboter, besetzt. Zudem geht eine Kamera an. Selbst wenn Sie vor Schock nicht sprechen können, sehen wir Sie. Meistens können die BVG-Kollegen oder die Polizei dann innerhalb weniger Minuten, manchmal sogar Sekunden, vor Ort sein."

Gerade für Menschen, die solche bedrängenden Situationen beobachten, sei dies eine ideale Lösung, um schnelle Hilfe zu leisten. Eindringlich ruft die Sprecherin dazu auf, keine Hemmungen zu haben, wenn es um das Benutzen dieser Funktion gehe. "Wenn man vielleicht sehr schnell helfen wollte und danach bemerkt, dass man doch keine Notsituation beobachtet hat, dann kann man immer sagen: 'Sorry, die Situation hier löst sich jetzt doch auf, alles in Ordnung.'"

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Polizei rät, Vorfälle anzuzeigen

Auch in jedem BVG-U-Bahn-Abteil gibt es einen Knopf, der Passagiere per Notsignal mit dem Fahrer oder einer Leitstelle verbindet. Auch wenn der Täter schon weg ist, kann so sichergestellt werden, dass die Videoaufnahmen, die automatisch in öffentlichen Verkehrsmitteln aufgenommen werden, nicht nach 48 Stunden gelöscht werden.

Die Berliner Polizei rät zudem, auf jeden Fall Anzeige zu erstatten. Falls einem erst zu Hause bewusst wird, was da eigentlich gerade passiert ist, lohnt es sich trotzdem, per Anruf oder online eine Anzeige einzureichen. "Denn nur so kann das Videomaterial bei der BVG rechtzeitig gesichert werden", erklärt ein Sprecher der Berliner Polizei.

In einer Woche zwei Mal belästigt – von der gleichen Person

Karla (33) ist diesen Weg gegangen. 2016 fuhr sie nach Feierabend häufig mit der U2 in Richtung Theodor-Heuss-Platz. Sie arbeitet in der Pflege und ihre Schicht endet häufig kurz nach Mittag, wenn in den öffentlichen Verkehrsmitteln weniger los ist. "Innerhalb einer Woche im Mai wurde ich dann zwei Mal belästigt, von derselben Person", schildert Karla.

Beim ersten Mal war es subtil. Der Mann, ein Anzugträger mit auffälligen Schuhen, fuhr sich mit dem Daumen über die Lippen und streichelte parallel seinen erigierten Schoß über dem Hosenstoff. Karla ekelte sich, drehte sich weg und ignorierte den Vorfall. Doch dann traf sie erneut auf den Mann: "Drei Tage später, ich saß zur selben Zeit in der Bahn, setzte er sich neben mich. Und dann holte er einfach sein Ding raus."

Betroffene reagieren meist zu spät

Karla hatte Angst, doch keine der umstehenden Personen schritt ein. An der nächsten Haltestelle entdeckte sie durch Zufall ein paar Sicherheitsbeamte. Sie stieg aus, lief auf die Beamten zu. Die verständigten telefonisch die Kollegen, der Mann konnte noch an der nächsten Station gefasst werden. Er hatte sich bereits zuvor der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig gemacht.

Karlas Fall ist selten – meistens reagieren die Betroffenen zu spät oder die Täter können in der Anonymität der Großstadtmassen verschwinden. Dennoch macht dieses Beispiel Mut, dass sich Opfer solcher Situationen in Zukunft eher trauen, sich gegen solchen Belästigungen zu wehren.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Birgit (41), Eliza (28) und Karla (33)
  • Sprecherin der BVG
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