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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Exklusiv-Interview vor dem Saisonstart RWE-Coach Koschinat: "Meine Karriere stand am Scheideweg"

Vorfreude auf die neue Saison und kritischer Blick zurück – im Interview mit t-online spricht Erfolgscoach Uwe Koschinat ganz offen über seine Zeit bei Rot-Weiss Essen.
Am Freitag (1. August, 19 Uhr) startet Rot-Weiss Essen in die neue Drittliga-Saison – mit breiter Brust, ganz viel Euphorie und einem Trainer, der sich in nur sieben Monaten schon tief in die Herzen der Fans gecoacht hat.
Im Exklusiv-Interview mit t-online blickt Uwe Koschinat zurück auf eine turbulente Zeit und spricht ganz offen darüber, warum RWE für ihn die letzte Chance war, welche Rolle die Emotionalität in seinem Job spielt, und was ihn an der Hafenstraße besonders fasziniert. Außerdem blickt der 53-Jährige in Richtung Zweite Liga und verrät, welche Illusionen er sich nicht mehr macht.
t-online: Uwe Koschinat, Sie haben die neue Saison vor Augen, eine intensive Rückrunde samt Happy End hinter sich. Wie und wo haben Sie Ihren Akku im Sommer wieder aufgeladen?
Uwe Koschinat: Mal wegzukommen von zu Hause, ist bei mir etwas schwierig. Meine Frau ist Berufsschullehrerin und wir haben eine schulpflichtige Tochter. Die Pause im Fußball und die großen Ferien harmonieren einfach nicht gut miteinander. Ich fühle mich aber zu Hause auch immer sehr wohl, wenn es darum geht, runterzufahren. Ich muss dazu nicht dringend irgendwohin. Es gibt zu Hause genug zu tun und dort ist mein Freundesumfeld. Du hast dann etwas mehr Zeit für all das, was in der Saison ein Stück weit auf der Strecke bleibt. Ich nutze auch die Zeit, meine Eltern und die Patenkinder zu besuchen. Das bringt alles Abwechslung. Und ehrlicherweise habe ich mich auch gar nicht so urlaubsreif gefühlt. Diese positive Rückrunde hat unheimlich viel Kraft gegeben, unheimlich viel Lust gemacht auf das Neue.
Verspürt ein emotionaler Trainer wie Sie nicht trotzdem nach so einer aufreibenden Zeit auch eine gewisse emotionale Erschöpfung?
Die Emotionalität am Spielfeldrand und eine relativ rationale Aufarbeitung von Ereignissen müssen sich nicht widersprechen. So bin ich nach Spielen. Ich gehe die Dinge sehr strukturiert an, wenn es um die Analyse geht. Ich bin nicht allzu lange in Emotionen gefangen. Es gibt Ketzer, die sagen: "Das lebst du ja auch im Spiel entsprechend aus, da bleibt danach gar nicht mehr so viel Raum." (lacht) Emotionalität ist für mich ein wichtiger Teil des Spiels, aber ich kann danach sehr schnell in eine nüchterne Analyse kommen. Und das geht mir in der gesamten Nachbetrachtung so. Deswegen bin ich auch nicht darauf angewiesen, nach einer Saison erst einmal komplett runterzufahren. Ich könnte problemlos weiterarbeiten. Weil mir der Beruf einfach sehr viel Spaß macht und ich es geschafft habe, von Anfang an Familie und Fußball miteinander zu verbinden. Meine Familie ist immer ein Teil dessen, was ich gerade tue, und lebt meinen Job unfassbar mit.

Wer ist Uwe Koschinat?
Uwe Koschinat (geboren am 1. September 1971 in Koblenz) ist ein deutscher Fußballtrainer und ehemaliger -spieler. Als aktiver Spieler zählten der VfL Wolfsburg, die TuS Koblenz und der FV Engers 07 zu seinen Stationen. Als Trainer war er für Koblenz, den SC Fortuna Köln, den SV Sandhausen, den 1. FC Saarbrücken, Arminia Bielefeld und den VfL Osnabrück tätig, bevor er 2024 Rot-Weiss Essen übernahm.
Wie gehen Sie selbst damit um, den Ruf eines emotionalen Trainers zu haben?
Ich lebe sehr bewusst damit, dass meine Emotionalität mittlerweile fast ein Stück weit auch die Erwartungshaltung von Klubs ist, die mich verpflichten. Weil sie wissen, der kann eine ganze Menge Energie in eine Mannschaft transportieren und geht voran. Dem fällt es leicht, etwas vorzuleben, was andere mitnimmt. Wer mich näher kennt, weiß aber auch, dass ich genau das Gegenteil bin, wenn es darum geht, außerhalb des Platzes Entscheidungen zu treffen und ein Team zu moderieren. Da kann ich mich sehr gut zurücknehmen. Da bin ich eher derjenige, der sehr viele Informationen von seinen Fachleuten sammelt und nicht diese Emotionalität in eine Analyse einfließen lässt.
War die Entscheidung für RWE Ende vergangenen Jahres auch eine sehr rationale?
Die Situation, in der ich mich persönlich befunden habe, hat es absolut notwendig gemacht, mich sehr intensiv mit diesem Engagement auseinanderzusetzen. Meine persönliche Karriere stand damals am Scheideweg, weil mir zumindest im Ergebnis zwei Dinge nicht gut gelungen sind. Da war zum einen das Verpassen des Klassenerhalts mit Bielefeld. Es hat sich zwar herausragend angefühlt, weil mich selbst nach dem Abstieg das ganze Stadion gefeiert hat. Persönlich war das ein sehr guter Job und ich habe die Mannschaft komplett in eine andere Richtung gebracht. Aber in der entscheidenden Phase der Relegation eben nicht mehr.
Was war das andere Negativerlebnis?
Beim VfL Osnabrück habe ich eine unfassbare Unzufriedenheit mit herumgeschleppt. Ich hätte dieses Engagement in der Dritten Liga niemals eingehen dürfen. Ich habe gemerkt, dass der neue Entscheider nicht wirklich von mir überzeugt war. Es war von Anfang an desaströs und da habe ich auch eine ganz schlechte Rolle als Coach gespielt. So kannte ich mich nicht. Danach war klar, dass ich in dem Job weg bin vom Fenster, wenn das nächste Engagement nicht funktioniert.
Ich denke heute nicht mehr so wie zu meiner Zeit bei Fortuna Köln, also wirklich krass in die Zukunft blickend. Dieser Illusion gebe ich mich im Profifußball nicht mehr hin.
RWE-Trainer Uwe Koschinat
Hat am Ende bei aller Rationalität auch die Emotionalität eine Rolle gespielt, die Rot- Weiss Essen verkörpert?
Ich kann nicht verhehlen, dass natürlich die Emotionalität dieses Vereins mich schon immer gepackt hat. Ich habe früher häufig gegen Rot-Weiss Essen gecoacht und sehr emotionale Spiele gewonnen. Ich wusste, was die Hafenstraße hier auch mit einer Mannschaft macht, die Heimspiele verliert. Und ehrlicherweise wusste ich auch, mit der damaligen Mannschaft – das sage ich ganz offen – wird es verdammt schwer in der Liga. Aber der Verein hat sehr klar signalisiert, dass man im Winter auf jeden Fall reagieren will. Was für mich zudem herausragend war: Niemand im Verein hat die Situation schön gequatscht.
Wie wichtig war Ihnen diese ehrliche Bestandsaufnahme?
Das ist eine ganz wichtige Grundvoraussetzung, wenn du einen wankenden Verein übernimmst, noch dazu einen großen Klub. Du musst als Trainer schnell herausfinden, ob alle die Schuld auf andere oder am Ende sogar nur aufs Pech schieben. Oder ob man als Entscheidungsträger sehr geschlossen und bewusst erkennt, dass man in einer schwierigen Situation ist und ein bisschen Hand auflegen nicht hilft. Sondern dass du einschneidend etwas verändern musst und alle zu 100 Prozent zu dieser Veränderung stehen. Es hat sich damals sehr schnell herausgestellt, dass die Entscheidungsträger alles tun wollten, um in der Liga zu bleiben. Deswegen ist das alles, was wir geschafft haben, auch kein Werk von Uwe Koschinat, sondern ein Zusammenspiel von guter Analyse, Hand-in-Hand-Arbeiten und einer hervorragenden Mannschaftsleistung.
Haben Sie sich damals auch vorgestellt, wo das Ganze in zwei, drei Jahren hinführen kann, wenn es gut läuft?
Als Coach von Rot-Weiss Essen wirst du hier und jetzt abgerechnet und nicht in dem, was potenziell in zwei Jahren passiert. Ich denke heute nicht mehr so wie zu meiner Zeit bei Fortuna Köln, also wirklich krass in die Zukunft blickend. Dieser Illusion gebe ich mich im Profifußball nicht mehr hin. Das war wahrscheinlich das Träumeland, das ich als Profitrainer bei Fortuna kennengelernt habe. Ich hatte einen Geschäftsführer und Investoren, der der einzige Ansprechpartner im Klub war. Ich hatte alle Entscheidungskompetenz auf sportlicher Ebene. Diese starke Position ist in anderen Klubs eine absolute Illusion. Und das hat auch seine Berechtigung. Eine einseitige Abhängigkeit ist nicht gut. Deswegen verstehe ich jeden Klub, der sagt, wir können nicht nur nach der Pfeife des Trainers tanzen.
RWE-Coach Koschinat lobt die Emotionalität der Fans
Wir haben über die Emotionalität und Wucht von RWE als Verein gesprochen. Was macht konkret diese Wucht aus – die Fans, das Stadion, die Tradition?
Es ist von allem etwas. Zum einen empfinden die Menschen hier einen ganz großen Stolz auf das, was war. Und das tut eine Generation für eine Zeit, die maximal die Großeltern erlebt haben. Von den Fans, die uns nach Edinburgh begleitet haben, haben wahrscheinlich 99 von 100 die Meisterschaft 1955 nicht erlebt. Die waren da noch gar nicht auf der Welt. Aber diese Tradition, frühere Erfolge, wofür wir irgendwann mal gestanden haben – all das lebt in einem Klub weiter. Menschen, die heute in der Kurve stehen oder das Trikot von RWE tragen, haben das selbst nie erlebt, aber inhaliert. Zum anderen solltest du dir als Trainer hier auch bewusst sein, dass du Dinge organisieren musst, die die Menschen anzünden.
Was zählt aus Ihrer Sicht dazu?
Eine Mannschaft zu basteln, die körperlos spielt, ist Fehler Nummer 1. Zu glauben, dass die Menschen eine große Begeisterung für das haben, was sich nur um die Mittellinie herum tut, ist Fehler Nummer 2. Wir haben ja hier nicht nur Filet-Fußball erlebt. Aber die Menschen haben irgendwann gespürt, wir können dieser Truppe alles vorwerfen, aber nicht, dass sie unsere Werte nicht bis aufs Blut verteidigt. Das kann dir eine unfassbare Kraft geben als Spieler. Weil du in so einem Stadion über diese Aktionen in unheimlich hohem Maße über dich selbst hinauswachsen kannst. Allerdings muss man auch sagen, dass das Trikot von Rot- Weiss Essen für einen Spieler auch schwerer ist als das anderer Klubs.
Wie meinen Sie das?
Jeder Spieler, der hier in Essen erste Vertragsgespräche führt und im Stadion herumgeführt wird, der hat im Kopf: 'Boah, das will ich hautnah selbst erleben, wie diese 19.000 Fans mich nach vorn peitschen.' Meistens vergisst du, dass leider auch mal das Gegenteil der Fall sein kann. Dass diese Wucht auch in die andere Richtung gehen kann und du dann ein emotionales Rüstzeug benötigst, um in schwierigen Zeiten zu bestehen. Das kann nicht jeder. Umgekehrt gibt es Spielertypen, die können gerade mit dieser Emotionalität unheimlich gut umgehen und das brauchen.
Für viele Menschen gehört RWE aufgrund von Tradition und Emotion, von Stadion und Fans mindestens in die Zweite Liga. Würden Sie diesen Satz so unterschreiben?
In Bezug auf die Unterstützung und den Enthusiasmus, die Liebe der Menschen zu diesem Klub – zu 100 Prozent! Auf der anderen Seite ist die Wahrheit der letzten 20 Jahre eine andere. Die Fanbasis ist nicht entscheidend, ob du für die Zweite Liga tauglich bist. Aber ich habe festgestellt, dass der Verein auch in der Organisationsstruktur und Infrastruktur auf einem sehr hohen Niveau ist. Das gilt auch für die Ausstattung des Nachwuchsleistungszentrums und die Platzsituation für die Trainingsmöglichkeiten. Da ist RWE ganz sicher auch vielen Zweitligisten überlegen.
- Gespräch mit Uwe Koschinat