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Kiel: Corona lässt Alkoholkonsum bei Erwachsenen steigen


Mittel zur Bewältigung
Corona lässt Alkoholkonsum bei Erwachsenen steigen

Von Sven Raschke

20.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Ein Regal mit Weinflaschen (Symbolbild): Während der Pandemie ist der Alkoholkonsum von Erwachsenen gestiegen.Vergrößern des Bildes
Ein Regal mit Weinflaschen (Symbolbild): Während der Pandemie ist der Alkoholkonsum von Erwachsenen gestiegen. (Quelle: Pixabay/imago-images-bilder)

Jugendliche tranken in der ersten Lockdownphase kaum mehr Alkohol, Erwachsene schon. Die Kieler Forscherin Frauke Nees leitet eine europaweite Studie zum Thema und verrät im Gespräch mit t-online die bisherigen Erkenntnisse.

In einer großangelegten Studie wollen Kieler Forscher gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und Europa untersuchen, wie sich die Zeit der Corona-Pandemie auf Alkoholkonsum und -sucht der Menschen auswirkt. Professorin Frauke Nees ist Direktorin des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Kieler Universität und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und leitet das Projekt. Im Gespräch mit t-online berichtet sie über bisherige Erkenntnisse aus der Krisenzeit – und was die weitere Erforschung offenlegen soll.

Frau Nees, in den sozialen Netzwerken machten besonders zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr Corona-Trink-Challenges die Runde. Menschen nominieren ihre Bekannten, Alkohol zu trinken und weitere Menschen zu nominieren. Gehört das zum typischen Verhalten in Krisenzeiten?
Frauke Nees: Diese Challenges sind mir nicht bekannt, aber erste Studien legen nahe, dass es seit Beginn der Pandemie tatsächlich einen verstärkten Konsum von Alkohol gibt. Diese Daten entstammen vor allem der ersten Lockdownphase im März 2020.

Welche Erkenntnisse gibt es bisher noch?
Aktuell sind wir gerade an der Auswertung der Daten. Man kann aber bereits sagen, dass es Unterschiede je nach Altersgruppen gibt. Bei 14-jährigen Jugendlichen etwa sehen wir in der ersten Lockdownphase nur einen geringen Anstieg im Alkoholkonsum. Das überrascht zunächst. Jedoch scheint dies viel mit der speziellen Situation in der ersten Lockdownphase zusammenzuhängen.

Wie das?
Die erste Lockdownphase im März war, im Vergleich zu den folgenden Phasen, doch etwas mehr durch Restriktionen und Einhaltungen gekennzeichnet und der Zugriff auf Alkohol dadurch auch eher eingeschränkt. Was man aber auch bereits in den Daten sieht ist, dass es viel Bewegung dann in den weiteren Monaten 2020 gibt. Das spiegelt sich sowohl in Veränderungen im Konsumverhalten wider als auch in anderen Faktoren wie Sorgen, Depression, Ängste oder der wahrgenommene Stress. Außerdem verschwimmen die Grenzen zwischen verschiedenen Lebensbereichen, beruflich sowie privat, zunehmend.

Wie sieht es bei anderen Altersgruppen aus?
Bei Erwachsenen konnte bereits in der ersten Lockdownphase ein deutlicher Anstieg im Alkoholkonsum gezeigt werden. Auch hier spielen Faktoren wie Stress, Angst und Sorge eine Rolle. Alkohol wird häufig als Mittel zur Bewältigung eingesetzt. Und auch hier gibt es deutliche Veränderungen über die Monate 2020 hinweg. Außerdem scheinen Personen, die bereits unter einer Alkoholkonsumstörung leiden, auch in besonderer Weise anfällig für negative Auswirkungen des Lockdowns zu sein. Neben dem Anstieg im Alkoholkonsum bei Personen, die bisher nur in begrenztem Maß Alkohol konsumierten, zeigten sich auch verstärkt Rückfälle bei Personen, die unter einer Alkoholkonsumstörung litten. Und mit dem Stress und der Angst steigt auch der Alkoholkonsum als Mittel der Bewältigung. Die Wellen entsprechen dem Verlauf der Pandemie und des Lockdowns. Und die Situation entspannt sich bisher nicht.

Die geplante Studie soll im Sommer starten und über drei Jahre laufen. Welche neuen Erkenntnisse soll sie bringen?
Wir untersuchen Personen aus sogenannten Kohortenstudien, die bereits über längere Zeit vor der Coronapandemie an einer Studie teilgenommen haben und die wir nun auch in der Pandemiesituation mehrfach befragt haben. So können wir Langzeitverläufe beobachten und wie sich die fortlaufende Pandemie mit dem Wechsel zwischen Lockerungen und Verschärfungen des Lockdowns auf vielfältige Faktoren, sowohl auf psychologischer als auch auf neurobiologischer Ebene, auswirken.

Der Alkoholkonsum spielt hierbei die zentrale Rolle. Wir können dann zum Beispiel sehen, ob es bestimmte Personen gibt, die anfälliger sind als andere und welche Rolle das Alter oder der soziodemographische Hintergrund spielt, also die Familien-, Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Dazu stellen wir den Studienteilnehmern verschiedene Fragen und erfassen neben den psychologischen auch die physiologischen Auswirkungen über Bestimmungen der Hormonlevel und der Veränderungen im Gehirn.

Welche Ergebnisse erwarten Sie aus der Studie?
Die Daten können uns ermöglichen, festzustellen, wo und wie wir rechtzeitig und auch unterstützend eingreifen können, um einen Weg in den chronischen Alkoholkonsum oder Rückfälle bei Patienten mit einer Alkoholkonsumstörung zu verhindern. Das ist vor allem wichtig, da wir auch vermuten, dass sich das Konsumverhalten und die auslösenden und aufrechterhalten Faktoren mit dem weiteren Verlauf der Pandemie und des Lockdowns ändern werden.

Wir haben ja alle gemerkt: Man verhält sich jetzt anders als in der ersten Lockdown-Phase. Das Ganze hat jetzt eine ganz andere Dimension. Aspekte wie Home Office oder der Rückgriff auf Onlineformate wurden zu Beginn der Pandemie noch anders eingeschätzt als jetzt ein Jahr später. Viele Aspekte werden mehr und mehr zu einer Belastung.

Was lässt sich mit den Erkenntnissen anfangen?
Mit der Bandbreite an neuen Informationen werden sich viel gezielter Maßnahmen gegen übermäßigen Alkoholkonsum ergreifen lassen, um vor allem auch vorbeugend vorzugehen. Das beinhaltet auch gegebenenfalls neue Berücksichtigungen in der Therapie von Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit.

Wie kann man seinen Alkoholkonsum am effektivsten reduzieren?
Hierbei ist es immer wichtig, die auslösenden Faktoren zu identifizieren und diese, wie zum Beispiel bei Stress, positiv anzugehen und andere Wege der Stressbewältigung finden. Bei diesen auslösenden Faktoren spielen auch Reize in der Umgebung eine ganz wichtige Rolle. Wenn eine Alkoholabhängigkeit vorliegt, dann besteht auch immer ein hoher Suchtdruck und eine physiologische Abhängigkeit, die durch Umgebungsreize sozusagen "getriggert" wird. Das kann der Anblick der Droge selbst sein, einer Kneipe oder eine soziale Situation wie eine Feier, die den Drang, Alkohol zu konsumieren, mitbestimmen. Solche Aspekte können dann im Rahmen einer Therapie angegangen werden.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Frauke Nees
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