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Hochwasser in Euskirchen – "Papa, ich möchte nicht im Wasser sterben"


Fassungslosigkeit nach der Flut
"Meine Tochter sagte zu mir: 'Papa, ich möchte nicht im Wasser sterben'"

Von Sebastian Klemm

Aktualisiert am 20.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Andreas S. macht eine Pause bei den Aufräumarbeiten: Seine Wohnung in der Euskirchener Innenstadt ist nach der Flutkatastrophe unbewohnbar.Vergrößern des Bildes
Andreas S. macht eine Pause bei den Aufräumarbeiten: Seine Wohnung in der Euskirchener Innenstadt ist nach der Flutkatastrophe unbewohnbar. (Quelle: Sebastian Klemm)

Noch vor wenigen Tagen wohnte Andreas S. mit seiner Familie in der Innenstadt von Euskirchen. Dann kam die Flut. Der Maler erhebt schwere Vorwürfe gegen den Katastrophenschutz. Ein Ortsbesuch.

Auf der Mühlenstraße Ecke Mittelstraße in Euskirchen stehen an diesem Montagabend zahlreiche Nachbarn vor ihren Häusern, sortieren Unrat, räumen Keller und Wohnungen aus und säubern, was sie vor den Fluten retten konnten. Wo vor einer Woche noch keiner eine Katastrophe erahnte, stehen jetzt viele vor den Trümmern ihres Lebens. Einer von ihnen ist der 41 Jahre alte Andreas S.

Der Maler aus Euskirchen erinnert sich im Gespräch mit t-online an den Abend, der alles veränderte: "Es ging relativ schnell. Gegen 23 Uhr hat meine Frau mich geweckt, da liefen Leute die Straßen hoch und runter und die Autos wendeten. Sie meinte: 'Die Erft kommt'".

Der Familienvater zog sich an, ging raus und sah bereits 100 Meter von seinem Haus entfernt das Wasser, das Müllsäcke anspülte. Andreas S. half noch einem Nachbarn dabei, Sandsäcke vor sein Haus zu legen und setzte sich direkt ins Auto, um beim örtlichen Bauhof ebenfalls Sandsäcke zu holen, um die Häuser dicht zu machen.

Er wurde fast vom Wasser mitgespült

"Dann bin ich ein letztes Mal gefahren und als ich zurückkam, konnte ich schon nicht mehr über die Kreuzung gehen, weil alles unter Wasser stand. Meine Frau rief: 'Du musst uns hier rausholen!'. Das Wasser stieg in die Wohnung. Die Kinder schrien im Hintergrund und ich wusste nicht, was ich machen sollte".

Der Euskirchener verteilte die übrigen Sandsäcke an Leute aus der Nachbarschaft und parkte sein Auto. Beim Überqueren der Straße war die Strömung schon so stark, dass er fast mitgespült wurde, wie er erzählt.

"Ich bin dann durch unsere Terrasse in die Wohnung rein. Meine Tochter kam direkt in meinen Arm gesprungen und sagte 'Papa, ich möchte nicht im Wasser sterben'. Ich habe gesagt: 'Macht euch keine Sorgen, packt Klamotten für die Kinder, wichtige Papiere und tragt das ins zweite Geschoss hoch'".

In Eile brachte Familie S. noch ihre wichtigsten Dinge in Sicherheit. "Dass es so Ausmaße annimmt, hätte ich niemals gedacht. Als wir in der Wohnung waren, stieg das Wasser von allen Seiten, die Keller waren so schnell vollgelaufen, alles ging so schnell“, erinnert sich Andreas S.

Die Nacht verbrachte die vierköpfige Familie bei den Nachbarn im Obergeschoss. "Wir konnten dann sehen, wie das Wasser weiter stieg, nachher stand es kniehoch in der Wohnung, die Tiefgarage stand komplett unter Wasser. Wir waren eingeschlossen. Wir kamen nicht mehr raus und mussten warten".

Von der Wohnung aus sahen Familie S. und ihre Nachbarn, wie das Wasser weiter anstieg und konnte unter anderem beobachten, wie die Feuerwehr eine Person rettete, die zwei Stunden lang in den Wassermassen im Auto festsaß.

Der 41-Järhige erinnert sich: "Es hörte sich an, als wenn man am Meer oder einem wilden Fluss ist und es roch nach Diesel und Benzin, das war furchtbar."

"Wir hätten Vorkehrungen treffen können"

Was den 41-Jährigen wenige Tage nach der Katastrophe besonders beschäftigt: dass niemand die Euskirchener gewarnt hat. "Hier kam keine Warnung, dass das Wasser steigt. Es kam kein THW, Feuerwehr oder Polizei. Es gab keine Evakuierung. Wir waren so überrascht". Er verstehe das nicht, da doch zuvor das Wasser andernorts schon gestiegen war. "Wir hätten Vorkehrungen treffen und unser Hab und Gut in Sicherheit bringen können".

Auch wenn Euskirchen nicht zu den am stärksten betroffenen Gebieten in Nordrhein-Westfalen zählt, konnten auch hier zahlreiche Menschen ihren Besitz nicht vor den Wassermassen retten. Während die Bewohner weiter mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind, türmt sich am Montagabend am Sammelpunkt am Charleviller Platz der Unrat. Hier bringen die Menschen alles hin, was den Fluten zum Opfer gefallen ist. Jetzt gab die Stadt bekannt, dass aus Platzgründen bereits eine zweite Sammelstelle eröffnet wurde.

Auch Andreas S. muss seine Wohnung von Sperrmüll und Schrott befreien. Er sagt, seine Wohnung sei komplett unbewohnbar, die Möbel zerstört oder durchnässt; in der Eile konnten er und seine Frau noch ein paar Dinge auf Schränke oder zu den Nachbarn ins Obergeschoss retten. Doch: "Die Wohnung ist ein Totalschaden".

Wie lange es so bleiben wird, ist unklar. "Die Versicherung wird vermutlich nicht zahlen, wir müssen alles renovieren", sagt der 41-Jährige. Und seine Miete wird er erst einmal nicht zahlen können, denn auch seine Firma hat es bei der Flutkatastrophe schwer getroffen.

"Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll"

Am nächsten Dienstag wäre Familie S. eigentlich zum ersten Mal seit zwei Jahren in den Urlaub geflogen. Es wäre der erste Flug für den Familienvater gewesen. Die Reise wurde storniert, die Reisegesellschaft zahlt aus Kulanz alles zurück. "So haben wir wenigstens etwas, was wir in den Wiederaufbau investieren können".

Statt unter Palmen zu liegen, weiß die Familie nun nicht, ob und wann sie wieder in ihre eigene Wohnung zurückkehren kann. "Wir haben kein warmes Wasser, die Heizung ist kaputt. Ich weiß nicht, wie es da weitergehen soll".

Doch der Rheinländer findet in alldem auch Hoffnung: "Andere hat es noch viel schlimmer getroffen. Und mir machen meine Nachbarn und Freunde Mut, die mir helfen. Wir bauen uns gegenseitig auf. Aber es ist schwierig, wenn man abends alleine versucht, einzuschlafen. Da macht man sich Gedanken, wie es weitergeht". Andreas S. übernachtet aktuell bei seinem Vater, seine Frau und die zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren sind bei den Schwiegereltern untergekommen.

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"Bin den Leuten dankbar"

Die Situation belaste den 41-Jährigen sehr, wenngleich ihn die Hilfsbereitschaft der Menschen aus der Nachbarschaft, aber auch von außerhalb sehr beeindruckt habe: "So viele Leute haben geholfen und uns mit Lebensmitteln und Wasser verpflegt. Da muss ich mich auch noch mal bedanken. Ich bin den Leuten super dankbar". Ein Bundeswehrsoldat habe ihnen von seinem eigenen Geld Material, Werkzeug und eine Pumpe im Wert von 2.000 Euro gekauft und wollte das Geld nicht wiederhaben.

Nach der Katastrophe widmen sich die Euskirchener nun dem Aufräumen und dem Wiederaufbau ihrer Häuser und Straßen. "Wir sind im Dauereinsatz", sagt Andreas S. Er wünsche sich und den Menschen in der Region, dass sie nun so schnell wie möglich Hilfe bekommen und das Trauma überwinden können.

Neben Schutzmaßnahmen für die Zukunft, damit "so etwas nie wieder passiert", hoffe er vor allem eines: "Dass alle in ihre gewohnten Leben zurückkehren und dass wir einfach unser Leben wieder leben können. Aber auch das wird schwierig werden. Man hat viele Erinnerungen verloren."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Gespräch mit Andreas S. (Name der Redaktion bekannt)
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