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Ukraine-Flüchtlinge in Sachsen: "Eine nie dagewesene Situation"


Wettlauf gegen die Zeit
Ukraine-Flüchtlinge in Sachsen: "Eine nie dagewesene Situation"

Von Andreas Raabe

Aktualisiert am 12.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ukrainische Flüchtlinge bei der Ankunft in Görlitz: In diesen Tagen kommen Tausende aus der Ukraine nach Sachsen.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Flüchtlinge bei der Ankunft in Görlitz: In diesen Tagen kommen Tausende aus der Ukraine nach Sachsen. (Quelle: Danilo Dittrich/dpa-bilder)

Leipzig rechnet mit 12.000 Geflüchteten aus der Ukraine. Doch keiner weiß, wie sie alle untergebracht werden können. Von der Stadt heißt es, die Lage sei viel schwieriger als in der Krise 2015. Was also tun?

Das Ziel ist klar: "Es soll niemand auf der Straße schlafen müssen", sagt Matthias Hasberg, Sprecher der Stadt Leipzig. Unklar ist, wie das geschafft werden soll.

12.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen Leipzig in nächster Zeit erreichen. Und 12.000 Menschen brauchen 12.000 Betten. Eigentlich mehr: Sie brauchen Wohnungen, wenigstens Zimmer. Doch wo sollen die so schnell herkommen?

Wettlauf gegen die Zeit

"Es ist viel schwieriger als während der Flüchtlingssituation 2015", sagt Hasberg. Denn diesmal gehe alles deutlich schneller. Derzeit würden pro Tag etwa 300 Menschen Leipzig erreichen. "Zum Vergleich: 2015 waren es etwa 300 Menschen – pro Woche", sagt Hasberg. Er spricht von einer "echten Herausforderung, einer nie dagewesenen Situation." Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Und die Zahl der täglich ankommenden Menschen wird sich mit der Öffnung neuer Fluchtkorridore in der Ukraine noch erhöhen. Stadt und Land sind im Krisenmodus.

Land Sachsen: "Kommunen sollen die Vertriebenen unterbringen"

Das Land Sachsen hatte Anfang der Woche etwa 1.500 Betten in der Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig bereitgestellt. Doch die Unterkunft im Stadtteil Mockau war schon am Dienstag voll. Hektisch verkündete man, die Kapazitäten erweitern zu wollen. Wie und wann ist bisher unklar.

Und eigentlich sei das Land Sachsen gar nicht zuständig, stellt Ingolf Ulrich von der Landesdirektion klar. Die ukrainischen Flüchtlinge seien nämlich Vertriebene, keine Asylbewerber und sollen darum "möglichst sofort bei den Kommunen untergebracht und dort weiter betreut werden". In diesem Fall heißt das: von der Stadt Leipzig.

Solange das nicht möglich sei, würde die Landesdirektion natürlich einspringen, sagt Ulrich. Am Freitag verkündete seine Behörde, 350 weitere Betten in der Leipziger Ernst-Grube-Sporthalle einzurichten und weitere etwa 500 Plätze in der Erstaufnahme für Ukrainer freizugeben. Aber es hört sich trotzdem so an, als würde das Land den schwarzen Peter der Stadt zuschieben.

Sprecher der Stadt Leipzig: "Was sollen wir tun?"

"Anmieten, Anmieten, Anmieten", sei jetzt die Devise der Stadt, sagt Sprecher Hasberg. Man nimmt, was man kriegen kann – so klingt das, und so ist es auch: Hotelzimmer, Wohnungen, Veranstaltungshallen. Sogar im Fahrradparkhaus neben dem Hauptbahnhof stehen jetzt Feldbetten. Doch viel Leerstand gibt es in Leipzig, der ostdeutschen Boomtown, nicht mehr.

"Das ist ein weiterer Unterschied zu 2015", sagt Hasberg. Am Freitagabend verkündete die Stadt, insgesamt etwa 2.700 Betten auf der Neuen Messe und in der Veranstaltungshalle Arena Leipzig einzurichten.

Geld spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. "Wir gehen hier viel in Vorleistung", berichtet Hasberg. "Aber was sollen wir tun?", fragt er und klingt dabei richtig müde. "Es wäre schön, wenn sich Bund und Land mal zur Finanzierung äußern würden."

Leipziger Unterkunft: "Nach drei Tagen zusammengebrochen"

"Die Unterkunft Mockau ist nach drei Tagen zusammengebrochen, das hat gar nicht funktioniert", sagt Juliane Nagel, Linken-Politikerin aus Leipzig-Connewitz. Sie ist Mitinitiatorin einer Internet-Wohnungsbörse, die Geflüchtete an Privatleute vermittelt, die eine Unterkunft anbieten, um zu helfen.

Nagel und ihre Helfer waren sehr schnell: "Wir haben die Börse vor anderthalb Wochen an den Start gebracht, einfach eine Website aufgesetzt", erzählt sie. Die Resonanz sei von Anfang an sehr groß gewesen.

Inzwischen seien dort mehr als 800 Wohnungen und Zimmer eingestellt, es gab 769 Erstkontakte, 500 Unterkünfte wurden bereits vermittelt, schätzt Nagel. Sogar die Stadt Kiew, Leipzigs Partnerstadt, habe die Leipziger Börse auf ihrer Website verlinkt, sagt sie.

Seit Montag gibt es auch eine Telefonhotline – dort würden Helfer und Geflüchtete teilweise direkt von der polnisch-ukrainischen Grenze anrufen und fragen, ob es in Leipzig noch Platz gibt.

"Verwaltung kann von der Zivilgesellschaft lernen"

Stadtsprecher Hasberg lobt die zivilgesellschaftliche Arbeit, zum Beispiel den Verein "Leipzig helps Ukraine", der Engagierte zusammenbringt und koordiniert. Hasberg schätzt, in Leipzig seien derzeit etwa 1.000 Geflüchtete privat untergebracht. Aber er weiß auch, dass das bei Weitem nicht reicht. Er hofft darum auf eine "koordinierte Verteilung der Menschen im gesamten Freistaat". Doch auch dafür braucht es Wohnraum.

"Das Land Sachsen muss Immobilien zur Verfügung stellen", fordert Nagel. Für Leipzig wünscht sie sich, dass die Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und Stadt besser läuft. "Da sollte Augenhöhe hergestellt werden, es braucht so etwas wie eine gemeinsame Task-Force", sagt sie und meint: "Die Verwaltung kann von der Zivilgesellschaft durchaus auch lernen."

Leipzig im Krisenmodus

Leipzig hat nun einen Krisenstab eingerichtet. So ein Gremium ist eigentlich für den Katastrophenfall vorgesehen. Künftig tagt also ein runder Tisch, an dem sich staatlichen Stellen abstimmen, unter anderem Verwaltung, Feuerwehr, Polizei. Das habe sich schon während der Corona-Krise bewährt, sagt Hasberg.

Wenn man alles zusammenrechnet, stehen in Leipzig am Wochenende vielleicht 6.000 Betten zur Verfügung: 2.500 in vom Land bereitgestellten Unterkünften, etwa dieselbe Zahl schafft die Stadt inklusive ihrer Notunterkünfte in Messe und Arena – und etwa 1.000 Menschen können privat untergebracht werden.

Das hört sich erst mal gar nicht so schlecht an, eine Woche nach Ankunft der ersten Geflüchteten in Leipzig. Das Problem: Es reicht nicht. Die Möglichkeiten sind so gut wie erschöpft, denn es läuft schon jetzt alles im Notfallmodus.

Wie geht es also weiter? Keiner scheint das so recht zu wissen, weder Herr Hasberg von der Stadt Leipzig noch die Politikerin Juliane Nagel oder Ingolf Ulrich von der Landesdirektion Sachsen. Doch am allerwenigsten wissen es diejenigen, um die es hier geht: Menschen, die aus der Ukraine vor Putins Bomben fliehen.

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