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Knast, Gericht, Ruine - Stammheim 50 Jahre nach RAF-Prozess


Terrorismus
Knast, Gericht, Ruine - Stammheim 50 Jahre nach RAF-Prozess

Von dpa
Aktualisiert am 15.05.2025 - 04:00 UhrLesedauer: 4 Min.
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Das Stammheimer Gefängnis und die benachbarte Mehrzweckhalle erinnern auch 50 Jahre nach Prozessbeginn an die damals angeklagten RAF-Terroristen. (Archiv) (Quelle: Marijan Murat/dpa/dpa-bilder)
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Seit 50 Jahren ist Stammheim kein beliebiger Stadtteil Stuttgarts mehr. Untrennbar ist der Name mit dem RAF-Terror verbunden. Am 21. Mai 1975 begann dort der erste große Prozess gegen die Terroristen.

Der Name Stammheim weckt Erinnerungen. An eine bleierne Zeit, an den Terror im sogenannten "Deutschen Herbst" 1977 und an ein Land im Ausnahmezustand. Und er ruft die Erinnerung wach an jenen Prozess gegen die erste Generation der linksterroristischen "Roten Armee Fraktion" (RAF), der als "Baader-Meinhof-Prozess" in die Geschichte eingegangen ist. Nur ein halbes Jahr nach den nie rechtskräftig gewordenen Urteilen waren vier Angeklagte tot.

Auch 50 Jahre nach dem Prozessauftakt erinnern noch Spuren an diesen Schlüsselmoment in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Neben dem wuchtigen Gefängnis, in dessen siebten Stock damals die angeklagten Terroristen untergebracht waren, steht noch die Ruine der berühmten Mehrzweckhalle. Sie ist komplett ausgeräumt, im Herbst soll der Abrissbagger kommen. Dieser symbolträchtige Ort der Geschichte des deutschen Linksterrorismus wird dann endgültig der Vergangenheit angehören.

Prozessauftakt in einer Art "Festung"

Vor 50 Jahren, am 21. Mai 1975, gleicht das für den RAF-Prozess gebaute Gerichtsgebäude am Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stammheim im Stuttgarter Norden dagegen noch einer Festung. In einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung wird die Szene am Stammheimer Gefängnis so beschrieben: "400 bewaffnete Polizisten in und auf dem Gebäude und drumherum, ein Stahlnetz über dem Hof gegen Befreiung mit Hubschraubern, Überwachungskameras, Außenscheinwerfer, Spanische Reiter vor dem Gebäude."

Vor dem Oberlandesgericht müssen sich damals Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe verantworten - die sogenannte erste Generation der RAF. Sie sollen unter anderem für zwei Sprengstoffanschläge im Jahr 1972 auf das US-Hauptquartier in Heidelberg und auf ein US-Offizierskasino in Frankfurt mit mehreren toten Soldaten verantwortlich sein.

Verfahren der Superlative

Rund 20 Millionen Mark lässt sich der Staat den Prozess gegen die Terroristen kosten - die Hälfte für das Gerichtsgebäude. Man will die Terroristen nicht für jeden Prozesstag quer durch Stuttgart fahren, befürchtet Anschläge. Auch sonst ist es ein Prozess, wie ihn die Bundesrepublik nie zuvor erlebt hatte: insgesamt werden rund 40.000 Beweismittel gesammelt, fast 1.000 Zeugen geladen, etwa 14.000 Seiten Wortprotokoll geführt.

Die 192 Verhandlungstage von Stammheim bezeichnet der Rechtshistoriker Uwe Wesel im Rückblick als "Monstrum in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik". Die Angeklagten provozieren - und die Richter lassen sich provozieren. Baader, Ensslin und Raspe rechtfertigen ihre Taten als Akte des Widerstands gegen das "imperialistische System" und dessen Kriegsverbrechen wie in Vietnam. Der Senat wird mit Befangenheitsanträgen überhäuft, im Gericht kommt es zu heftigen Wortgefechten. Beleidigungen des Senats durch die Terroristen und auch durch ihre Anwälte sind keine Seltenheit.

Dokudrama erinnert an Prozessauftakt vor 50 Jahren

"Der Staat, getrieben von einem hysterischen Sicherheitsbedürfnis, hat den Fehler gemacht, der RAF quasi ein Theater zu bauen und sie haben es als Bühne benutzt", beschreibt es der Regisseur Niki Stein. Zum Jahrestag des Prozessauftaktes zeigt Das Erste sein Dokudrama "Stammheim - Zeit des Terrors" (19. Mai, 20.15 Uhr).

Der Prozess legt das Dilemma eines Staates frei, der um ein rechtsstaatliches Strafverfahren gegen aus seiner Sicht "gewöhnliche" Kriminelle bemüht ist. Die Justiz sieht sich aber auch mit Angeklagten konfrontiert, die ihre Taten und den Prozess als politische Mittel betrachten, um den Staat herauszufordern.

Erst nach langwierigen und heftigen Auseinandersetzungen über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten kann drei Monate nach Prozessbeginn mit der Verlesung der Anklageschrift begonnen werden. Der Prozess bleibt auch danach eine Gratwanderung für die deutsche Justiz. Schon früh kommen Vorwürfe auf, das Verfahren sei ein politischer Prozess, in dem rechtsstaatliche Prinzipien mehrfach verletzt würden.

Ein Nervenkrieg vor Gericht

Die RAF-Häftlinge verweigern die Teilnahme am Prozess, müssen in den Saal gezerrt werden. Ärzte schlagen Alarm, denn aus ihrer Sicht machen die Haftbedingungen im siebten Stock krank. Dann wird klar: Auch Gespräche mit Anwälten wurden überwacht. Der Ensslin-Verteidiger und spätere SPD-Bundesinnenminister Otto Schily spricht von systematischem Rechtsbruch.

Ist Stammheim nun ein Ort der Isolation oder ein Beweis für rechtsstaatliche Selbstbeherrschung? Sicher ist: Der Prozess forderte nicht nur juristische Antworten. Die Gesellschaft war herausgefordert, sich eine Meinung zu bilden und Position zu beziehen.

Begleitet wird der Prozess damals auch von dramatischen Ereignissen. Die Angeklagte Ulrike Meinhof erhängt sich in ihrer Zelle. Der ebenfalls angeklagte Holger Meins stirbt schon vor Prozessbeginn an den Folgen eines Hungerstreiks.

Auch heute stehen noch RAF-Mitglieder vor Gericht

Insgesamt zwei Jahre lang liefern sich Verteidiger und Angeklagte einen Nervenkrieg vor Gericht. Wenige Monate nach der Urteilsverkündung bringen sich Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen um. Kurz zuvor war der letzte Versuch der RAF, das Trio mit der Entführung des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine "Landshut" freizupressen, an der Hartnäckigkeit der Bundesregierung gescheitert.

RAF-Prozesse hat es auch nach dem Stammheimer Verhandlungsmarathon gegeben. Derzeit steht die mutmaßliche Terroristin Daniela Klette vor dem Oberlandesgericht in Celle. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord, unerlaubten Waffenbesitz sowie versuchten und vollendeten schweren Raub vor. Das Verfahren ist kein Justiz-Alltag - aber auch nicht vergleichbar zu dem Prozess, der vor 50 Jahren in Stuttgart-Stammheim begann.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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