Belgien-Coach MartĂnez: WM-Chance oder Premier League?
Tubize (dpa) - Eigentlich ist Roberto MartĂnez ein echter Gentleman. Stets freundlich und zuvorkommend moderiert der Spanier seit Wochen die Geschehnisse rund um das ambitionierte Nationalteam Belgiens, das den Zusatz "goldene Generation" gerne endlich gegen den stolzen Titel "Europameister" tauschen wĂŒrde.
Vereinzelte Kritik an der Spielweise? Umdribbelt MartĂnez eloquent und mit einem LĂ€cheln. Nur wenn es um die Gesundheit seiner Spieler geht, legt der 47 Jahre alte Coach die ZurĂŒckhaltung ab.
Als "unvorsichtig" und "ĂŒbertrieben" tadelte MartĂnez in der Vorbereitung den deutschen Nationalspieler Antonio RĂŒdiger, der im Champions-League-Finale Starspieler Kevin De Bruyne zu Fall - und damit auch Belgiens EM-Chancen kurzzeitig ins Wanken brachte. Vor dem Achtelfinale am Sonntag (21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Champion Portugal ist De Bruyne nach einer Gesichtsoperation lĂ€ngst zurĂŒck. Und fĂŒr fĂŒr MartĂnez beginnt mit dem Heimspiel von Sevilla auch eine Phase von K.o.-Begegnungen, die ĂŒber seine eigene Zukunft entscheiden könnte.
Bemerkenswerte Personalie
Es war eine bemerkenswerte Personalie, die der belgische Verband im Jahr 2016 nach der Trennung von Ex-Bundesligaprofi Marc Wilmots wagte. Nach ĂŒber einem halben Jahrhundert mit ausschlieĂlich Belgiern und NiederlĂ€ndern im Nationaltraineramt kam plötzlich ein Spanier mit einem neuen Ansatz, um die exzellente Generation um De Bruyne, StĂŒrmerstar Romelu Lukaku und KapitĂ€n Eden Hazard zu einem Team auf allerhöchstem Niveau zu formen.
Auf den Pressekonferenzen mit dem Coach wurde fortan nicht mehr flÀmisch oder französisch parliert, sondern ausnahmslos nur noch englisch. "Roberto hat es geschafft, die gesamte Nation um die Mannschaft zu vereinen, egal in welchem Teil Belgiens sie leben und unabhÀngig von Sprache, NationalitÀt, Ethnie oder Hintergrund", hebt der Verband die Verdienste des Trainers hervor.
Auch sportlich wurde das Wirken von MartĂnez sichtbar. Belgien rauschte mit 28 von 30 möglichen Punkten durch die WM-Quali, wurde WM-Dritter und ĂŒbernahm schon kurz danach die FĂŒhrung in der FIFA-Weltrangliste, die die Red Devils bis heute verteidigen. "Ich fand es durchaus mutig, mit mir jemanden einzustellen, der noch nicht auf internationalem Niveau gearbeitet hat", sagte der Spanier in einem Interview dem FuĂballmagazin "11Freunde".
"Psychologische Waffe" Henry
Doch weil der Verband am pragmatischen MenschenfĂ€nger MartĂnez schnell groĂen Gefallen gefunden hatte, machte er die jeweiligen VertragsverlĂ€ngerungen nicht von Turnierergebnissen abhĂ€ngig. Unmittelbar vor der WM 2018 wurde bis 2020 verlĂ€ngert, inmitten der Corona-Pause direkt bis zur WM 2022. FĂŒr den Verband bedeutet das Planungssicherheit, fĂŒr MartĂnez gibt es weitere Chancen, seine Laufbahn als Coach vorzeitig mit einem groĂen internationalen Titel zu krönen.
MartĂnez, der mit dem Ziel der Bildung "eines Winning-Teams" angetreten ist, ist es eher unangenehm, selbst im Rampenlicht zu stehen. Darum passt es auch, dass er 2018 wie 2021 den frĂŒheren WeltklassetorjĂ€ger Thierry Henry als Assistenten in seinem Team einbaute. "Er weiĂ, was es heiĂt, einen Weltmeistertitel zu gewinnen. Er weiĂ auch, was es bedeutet, etwas zu erreichen, was vorangegangenen Generationen verwehrt blieb", sagte MartĂnez. Eine "psychologische Waffe" sei Henry als Co-Trainer.
Ăber sein persönliches Heimspiel und sein erstes Pflichtmatch als Trainer in Spanien sagte MartĂnez am Tag vor der Partie auch ein paar Worte. Dass es sein 60. als Coach der Belgier wurde, wusste er zwar gar nicht. Dass seine Familie aus Katalonien runterfahren kann, freute den Spanier aber. "Sie können die Red Devils mit einem spanischen Akzent anfeuern", sagte er am Samstag bei einer Pressekonferenz im Estadio La Cartuja und lĂ€chelte. Ăber das, was wĂ€re, wenn er mit seiner Mannschaft ausscheiden wĂŒrde, wollte er weniger reden.
Clubs aus der Premier League haben ihr Interesse fĂŒr den Coach aber bereits hinterlegt. MartĂnez wird trotz des gĂŒltigen Vertrags bis Katar 2022 fĂŒr sich eine Entscheidung treffen mĂŒssen, ob er die nĂ€chsten eineinhalb Jahre auf einen belgischen WM-Titel hinarbeitet oder ins AlltagsgeschĂ€ft zurĂŒckkehrt.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
BELGIEN: 1 Courtois - 5 Vertonghen, 4 Boyata, 2 Alderweireld - 15 Meunier, 8 Tielemans, 6 Witsel, 16 T. Hazard - 7 De Bruyne, 14 Mertens - 9 Lukaku
PORTUGAL: 1 Rui Patricio - 2 Nelson Semedo, 3 Pepe, 4 Ruben Dias, 5 Raphael Guerreiro - 13 Danilo Pereira, 16 Renato Sanches - 11 Bruno Fernandes - 10 Bernardo Silva, 7 Cristiano Ronaldo, 21 Diogo Jota
Schiedsrichter: Felix Brych (Deutschland)