Tochter wusste Namen nicht mehr Bjarne Mädel und Lars Eidinger über das Vermissen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In einem einsamen Wald ertönen Stimmen. Eigentlich gehören sie nicht dorthin. Jemand ordnet das Chaos, er ruft etwas. Plötzlich steuern Lars Eidinger und Bjarne Mädel auf einem knatternden Mofa auf einen Abgrund zu.
Es ist ein Filmset in Zossen in Brandenburg. Zwischen den Bäumen verstecken sich zwei der wohl talentiertesten Schauspieler, die Deutschland gerade zu bieten hat. Schauspieler – bei dem Gedanken an diesen Beruf stellen wir uns gerne ein glamouröses Leben vor. Ruhm, Abenteuer, Anerkennung. Manchmal ist es aber auch einfach ein Beruf, der viel Zeit frisst und einen von der Familie fernhält. Im Gespräch mit t-online.de sprechen Lars Eidinger und Bjarne Mädel über die Dreharbeiten ihres neuen Films und über die schönen Seiten beim Vermissen.
Mit einem Minivan werden wir aus Berlin herausgefahren, um das Set von "25 km/h" zu besuchen. Ein deutscher Film, der im September 2018 in die Kinos kommt. Mit der Hauptstadt verlassen wir auch die Menschen. Wir fahren nach Zossen in Brandenburg. Am Fenster ziehen weite Felder vorbei. Das letzte Stück werden wir in einem geländetauglicheren Wagen gefahren, bis wir plötzlich mitten in einem Wald stehen. Wir müssen leise sein, denn hier wird gerade gedreht.
Und Action!
Viele Menschen stehen da herum im brandenburgischen Wald, in dem normalerweise gar nichts los ist. Ein Stromgenerator summt leise vor sich hin, Lampen helfen da nach, wo die Sonne nicht hinkommt. Ein puscheliges Mikrofon hängt über den Nasen von Lars Eidinger und Bjarne Mädel. Alle reden wild durcheinander. Als jemand "Und Action" ruft, verstummen alle. Alle bis auf die beiden Hauptdarsteller. Showtime. Die Szene: Lars und Bjarne fahren in ihren Rollen als Christian und Georg auf einen Abgrund zu. Sie schreien, halten kurz vor dem Abgrund an und "Schnitt". Das war's. Immer und immer wieder wiederholen sie die Szene.
Man kann nur erahnen, wie nervenzehrend das Ganze für alle Beteiligten sein muss. Am Set finden sich viele Menschen. Eine Frau zupft an Lars Eidingers Haaren herum, ein Mann rückt einen Stein von einem Platz auf den anderen. Jemand trägt eine Kiste mit Wasser und Cola herbei. Bjarne geht wohl in Gedanken noch einmal die Szene durch und wieder "Action" und wieder und wieder und wieder. Im Film wird die Szene im Wald vermutlich nur wenige Minuten lang. Für die Dreharbeiten fuhr das Team quer durch Deutschland, war immer zusammen, sah wochenlang die eigene Familie nicht. Wie ist es, so ein Opfer zu bringen, beide Schauspieler haben immerhin Familie.
"Wenn gar nichts zu Hause ist, ist das ja auch traurig"
"Manchmal tut es einem ja auch gut, wenn man eine Zeit lang getrennt ist. Dann kann man wieder mehr schätzen, was man an dem anderen hat und das Wiedersehen ist umso schöner", sagt Lars Eidinger. Er versucht, der Situation etwas Gutes abzugewinnen. "Allerdings hat meine Familie sechs Wochen ohne mich Urlaub gemacht, weil wir genau in den Sommerferien gedreht haben. Das war schon hart. Meine Tochter hat dann kurz gestutzt mit meinem Namen, sich dann aber mit 'Papa' gerettet." Bjarne Mädel fügt hinzu: "Ich finde Vermissen ein schönes Gefühl, ehrlich gesagt. Weil man dann wieder weiß, da ist etwas, das man vermissen kann. Wenn gar nichts zu Hause ist, das auf einen wartet, ist das ja auch traurig."
"Es gibt Schauspieler, die kennen gerade einmal den Namen des Regisseurs"
Traurig wirken die beiden nicht. Genervt auch nicht. Im Gegenteil. Lars Eidinger und Bjarne Mädel sind gut drauf, zu Scherzen aufgelegt und das, obwohl sie seit den Morgenstunden drehen. Ein Ende des Tages ist für sie noch lange nicht in Sicht. Das Catering am Set duftet, es herrscht eine lockere Stimmung. Der Mann, der wohlriechende Rouladen austeilt, zwinkert Lars zu. Man kennt sich, schätzt sich.
"Man bekommt ja von anderen Schauspielern manchmal ein bisschen etwas mit, wie es auch anders laufen kann", erklärt Lars Eidinger. "Aber Bjarne und ich sind schon eng mit dem Team. Es gibt Schauspieler, die kennen gerade einmal die Namen des Regisseurs, des Kameramanns und des Maskenbildners – darüber hinaus wird es schon dünn. Wir haben Spaß daran, uns als Gruppe zu verstehen. Wir wissen, wie die Leute heißen und was die machen. Dann tauen auch alle auf. Das ist sofort spürbar, wenn du den Beleuchter mit seinem Namen ansprichst, ist es ein größeres Miteinander und alle haben mehr Spaß bei der Arbeit."
Lars Eidinger und Bjarne Mädel verstehen das Team um sie herum als Ersatzfamilie. "Bei so einem Dreh weiß man ziemlich schnell, woran man bei dem anderen ist", weiß Lars Eidinger. "Wir waren sehr lange unterwegs und dann geht man abends nicht nach Hause zu seinen Familien, da bleibt man auf engstem Raum eine lange Zeit sehr intensiv zusammen. Nach drei Tagen kann sich keiner mehr verstellen. Am Anfang reißt man sich vielleicht noch zusammen, aber dann gibt es irgendwann zwangsläufig eine Form von Lagerkoller und die Masken fallen. Aber bei diesem Team gibt es ein auffälliges Miteinander. Es herrscht ein Humor, der vielleicht etwas mit dem Thema des Films zu tun hat. Es geht um die Liebe zwischen zwei Brüdern, die begreifen, dass sie sich 20 Jahre verloren haben. Und es geht um Familie. Für die Dauer so eines Drehs wird das Filmteam ja auch zu einer Art Ersatzfamilie."
"Ich hätte nicht sofort an Lars Eidinger gedacht"
Kollegin Sandra Hüller, die ebenfalls im Film mitspielt, warnte die beiden zu Anfang: Man würde sich irgendwann zwangsläufig auf die Nerven gehen, erzählt Bjarne Mädel, merkt aber an: "Noch ist es nicht passiert und wir drehen nur noch zwei Wochen, das bekommen wir jetzt auch noch hin. Der ... Dings ... und ich." Dass man Lars Eidinger und ihm die Rollen als Brüder abnehmen würde, glaubten beide anfangs selbst nicht: "Lars hat gesagt, dass man nicht sofort drauf kommen würde, dass wir eine Ähnlichkeit haben. Wenn man mich gefragt hätte, wer soll deinen Bruder spielen, dann hätte ich auch nicht sofort Lars Eidinger gesagt. Aber als wir jetzt die ersten Bilder gesehen haben, haben wir doch gemerkt, dass es da tatsächlich eine Ähnlichkeit gibt. Wir haben uns auch schon unabhängig davon vorher unheimlich auf uns als Schauspieler gefreut."
Die Schauspieler kannten sich vorher nicht, waren sich nur flüchtig begegnet. Den Castern sei es zu verdanken, dass beide im Film zu sehen sind. "Sie müssen im Vorfeld eine Chemie prognostizieren, das ist nicht einfach", so Lars Eidinger. Im Falle von "25 km/h" scheinen sie einen guten Job gemacht zu haben.
Im Film "25 km/h" geht es um zwei Brüder, die sich auf der Beerdigung ihres Vaters nach 20 Jahren erstmals wiedertreffen. Die beiden beschließen eine Deutschlandtour mit dem Mofa zu machen, von der sie vor 16 Jahren geträumt haben. Das Road-Movie erscheint ab dem 1. November 2018 in den Kinos.