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"Werk ohne Autor" im Kino: Groß gedacht, groß gemacht


"Werk ohne Autor"
Groß gedacht, groß gemacht, Hollywood im Sinn

  • Gerhad Spörl
MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 04.10.2018Lesedauer: 6 Min.
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"Werk ohne Autor": Saskia Rosendahl als Tante Elisabeth.Vergrößern des Bildes
"Werk ohne Autor": Saskia Rosendahl als Tante Elisabeth. (Quelle: Walt Disney Germany/dpa/dpa-bilder)

Deutsche Geschichte, immer wieder: Diesmal ließ sich Henckel von Donnersmarck vom Leben des wunderbaren Malers Gerhard Richter inspirieren. Daraus ist ein schöner, intensiver Film geworden.

Am Tag der deutschen Einheit kommt ein Film in die Kinos, der Großes will und Großes kann. Er dauert drei Stunden und acht Minuten, aber ich habe mich keine Minute gelangweilt und kein einziges Mal auf die Uhr geschaut. Ich finde ihn ungewöhnlich gut und ein Grund liegt darin, dass ich mich gerne faszinieren lasse, wenn ein Regisseur einen Film im Kopf hat und ihn mit aller Konsequenz auf die Leinwand bringt und dabei Opulenz walten lässt und plötzlich stimmt alles: die Wucht der Musik und der Bilder, das Können der Schauspieler, die Handlung mitten in der deutschen Geschichte. Und als Zuschauer schaust du gebannt hin und gehst glücklich aus dem Kino und alles, was du gesehen hast, bleibt eine ganze Weile im Kopf und im Herzen.

Naja, nicht jeder Rezensent ging so beschwingt aus dem Film wie ich. Den einen ist er zu opernhaft, den anderen zu lang, den dritten zu kitschig und die vierten fragen sich, woher die Obsession mit der deutschen Geschichte kommt. Richtig ernsthaft musste sich Florian Henckel von Donnersmarck für einen Gegenschnitt verteidigen, der zwei disparate Ereignisse am Kriegsende verbindet: Ein kleiner Junge sieht, wie die alliierten Bombergeschwader in Richtung Dresden fliegen und die Stadt in den letzten Kriegstagen sinnlos in Brand setzen, während die Nazis Frauen, die für sie unwertes Leben sind, in die Gaskammer schicken.

Darf man das?

Darf man Euthanasie und Zerstörung nebeneinander setzen? Darf man, finde ich. Es handelt sich um eine historische Gleichzeitigkeit, sonst nichts. Nicht um eine Aufrechnung oder Apologie, nicht um eine Anklage oder Rechtfertigung. Eigentlich dachte ich, dass wir über solche Debatten hinaus sind. Sind wir nicht.

Auch an Donnersmarcks Oscar-prämierten "Das Leben der anderen" hatten sich Fragen entzündet, die ich nicht erwartet hätte. Manchmal liegt einfach eine Verwechslung vor – der Wirklichkeit mit der Fiktion.

"Werk ohne Autor" heißt der Film bei uns. "Never look away" ist der bessere englische Titel. Denn das Nicht-Wegschauen ist ein roter Faden in dieser Handlung. Zum Hinschauen fordert den malerisch begabten Jungen seine schöne, junge Tante auf, grandios gespielt von Saskia Rosendahl, die in der ersten halben Stunde jeden Zuschauern fesselt. Sie ist anarchisch, wild, sie spielt nackt Klavier und glaubt, dass sie die Weltformel im zweifach gestrichenen A gefunden hat, was sie derart in Begeisterung versetzt, dass sie sich einen Aschenbecher auf den Kopf haut, bis sie blutet.

Die Tante ist anders, sie macht Angst, sie ist psychisch labil. Ihre Familie zieht einen Arzt hinzu und spricht ungewollt ihr Todesurteil aus. Sie wird zuerst zwangssterilisiert und dann getötet.

Als sie von zu Hause abgeholt wird, wehrt sie sich mit der Kraft ihrer Leidenschaftlichkeit gegen ihre Wärter. Sie schlägt um sich, sie bäumt sich auf und hat keine Chance. Ihr kleiner, trauriger Neffe schaut erstarrt zu. Dabei hält er die rechte Hand vors Gesicht gelegt und linst durch die Finger. Er schaut nicht richtig hin, schaut aber auch nicht weg. Er sieht das Unmenschliche und was er sieht, brennt sich in sein Gedächtnis ein.

Dem Maler Gerhard Richter nachempfunden

Der Film ist der Biographie des großen Malers Gerhard Richter nachempfunden. Donnersmarck hat sich mit ihm getroffen, sie haben lange miteinander geredet. Der Maler hat ihm das Dresden seiner Kindheit nahe gebracht. Ihn hat wohl beruhigt, dass der Film sich Freiheiten nimmt und nicht etwa dokumentarisch vorgeht. Das fertige Produkt hat er sich noch nicht angesehen.

Richter hat im Jahr 1965 ein Bild seiner realen Tante Marianne nach einer angegilbten Fotografie gemalt und die klaren Konturen zart verwischt. Die Technik gibt dem Bild etwas Rätselhaftes. Sie wird der Tante gerecht und ist auch dem menschlichen Gedächtnis kongenial, das unsere Vergangenheit wie in Nebelschwaden hüllt. Ein Sammler in Taiwan hat das Kunstwerk für 3,1 Millionen Euro im Sommer 2006 bei Sotheby’s ersteigert.

Kunst ist Kunst. Sonst nichts.

Richter ist weltberühmt. Seine Bilder hängen in allen bedeutenden Museen der Welt und bei Privatsammlern. Sie erzielen gigantische Preise. Sie sind Ereignisse. Aber Richter macht keinerlei Bohei aus sich oder seiner Kunst. In Potsdam hängen momentan ein paar seiner abstrakten Gemälde aus, wunderbar anzuschauen und mit schlichten Titeln versehen wie: Vorhang. Richter lädt seine Kunst nicht metaphysisch oder gesellschaftskritisch auf, sondern zieht überwältigende Schlichtheit vor. Kunst kommt von Können. Kunst ist Handwerk. Kunst malt Fotos nach. Kunst malt Portraits aus der Zeitung nach. Kunst ist Kunst. Sonst nichts.

Nicht seine Kunst, wohl aber Richters Leben trägt tragische Züge. Dass die geliebte Tante Opfer der Nazi-Euthanasie geworden war, erfuhr er erst viele Jahre später. Noch viel später erfuhr er, dass sein Schwiegervater in den Hitler-Jahren nicht nur Gynäkologe und Direktor der Städtischen Frauenklinik in Dresden gewesen war, sondern in seiner Funktion als SS-Obersturmbannführer Zwangssterilisationen anordnete und "unwertes Leben" zum Tode verurteilte.

Die Wirklichkeit bietet den unglaublichsten Stoff

Für diese groteske Engführung sorgt die deutsche Geschichte. Die Tante fällt einem Arzt wie Richters Schwiegervater in die Hände, der sie mit einem roten Kreuz auf der Krankenakte zum Tod verurteilt. Ähnlichen Irrsinn kann man sich vielleicht ausdenken, aber dann würden die Rezensenten sagen: so was Absurdes, so eine Übertreibung, das ist fiebrige Phantasie, unrealistisch, also nein danke.

Die Wirklichkeit bietet den unglaublichsten Stoff für einen großen Kinofilm von einem Regisseur, für den Größe die einzige Kategorie ist, die ihn interessiert. Er nimmt ihn auf und verwandelt ihn sich an. Der Stoff setzt tiefenscharfe Gefühle frei und der Regisseur findet Schauspieler, die ihm Intensität verleihen. So einen hochambitionierten Film findet man entweder toll oder doof. Dazwischen gibt es nichts. Ist das ein Problem? Wieso sollte es eines sein?

Tom Schilling lässt vergessen, dass er ein Schauspieler ist, der einen Maler spielt

Tom Schilling hat mir bisher wenig gesagt. Er spielt den jungen Richter, der im Film Kurt Bahnert heißt, erstaunlich gut. Dafür nahm er Malunterricht und malt nun, wie der junge Richter gemalt haben könnte. Solche Rollen laden geradezu zum Dilettantismus ein, wenn der Schauspieler es gerade so fertig bringt, einen Maler zu spielen, der malt. Aber wir schauen Schilling zu, wie er vor einer weißen Leinwand sitzt, ratlos, abwartend. Wir schauen ihm zu, wie er seine Tante malt und dabei macht er uns vergessen, dass er ein Schauspieler ist, der einen Maler spielt. Das ist aller Ehren wert.

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Seine große Liebe spielt Paula Beer. Zu Beginn der Dreharbeiten war sie 21 Jahre alt. Zwischendurch spielte sie auch noch eine Hauptrolle in der erfolgreichen Serie "Bad Banks". Sie ist unfassbar begabt und ruht bemerkenswert in sich. Wenn sie will, hat sie eine große Karriere vor sich, und die Gefahr, dass sie ihrer eigenen Bedeutung verfällt, ist gering. Kurt Bahnert sagt im Film sinngemäß zu ihr: Dich zu lieben ist leicht, viel zu leicht. Er meint: Weil sie schön ist und ihrer selbst gewiss. Die beiden liegen öfter nackt im Bett, auch ohne Sex, in stiller Symbiose aufeinander. So nahe können sich Liebende sein. Szenen wie diese halten die einen für Kitsch und die anderen, wie ich, denken sich, ja, stimmt, so nahe können wir uns kommen, wie schön, dass mich jemand daran erinnert.

Wo er ist, ist oben und er ist immer oben

Den SS-Arzt spielt Sebastian Koch mit seelenloser Arroganz und Eiskammerkälte. Wo er ist, ist oben, und er ist immer oben. Er lebt nach dem Krieg in einer Villa, er wird wieder Chefarzt in Dresden, als wäre nichts gewesen. Aus Nazi-Deutschland ist die DDR geworden, aber der Schwiegervater ist der Gleiche geblieben, ein Rassist, der unter fadenscheinigen Gründen seine Tochter zur Abtreibung zwingt, die er selber vornimmt, weil dieser nichtsnutzige Künstler der Vater seines Enkelkindes geworden wäre. Dieser Herrenmensch wäre nichts als ein banales Klischee, wenn er nicht wirklich gelebt hätte.

Gerhard Richter ist im März 1961 mit seiner Frau von Ost nach West gegangen, kurz vor dem Mauerbau. In Düsseldorf studiert er weiter. Den Kunstbetrieb dieser Zeit beherrscht Joseph Beuys, bestens gespielt von Oliver Masucci. Der Film-Beuys ist ein Scharlatan und ein guter Lehrer zugleich. Er sagt zu Richter-Bahnert: Was du da malst, das bist nicht du. Es dauert, bis der weiß, wer er ist und was er malen will und dann beginnt es, das verwischte, verrätselte Malen nach Fotografien und Zeitungsartikeln. Es beginnt das Zeitalter Richter.

Für wen ist nicht Hollywood ein Maßstab?

Ich bin wirklich gespannt, ob "Werk ohne Autor" der kommerzielle Erfolg wird, den ich ihm gönne. Wenn in Deutschland ein Regisseur groß denkt und groß handelt, zieht er automatenhaft Kritik auf sich. Kritik an der Ambition. An der Interpretation. An der Geschichtsversessenheit. An der Hollywoodhaftigkeit.

Heuchelei schwingt da immer mit, natürlich, was denn sonst. Wer schaut sich nicht mit Vorliebe die großen amerikanischen Filme an, die herrlichen Serien auf Netflix oder Amazon? Für wen ist nicht Hollywood ein Maßstab?


Und wenn dann ein Regisseur brennenden Ehrgeiz hat und mit den Großen seines Gewerbes mithalten will und mithält, dann müssen wir nicht unbedingt jede kleine Schwäche penibel herausarbeiten. Wir können uns auch großzügig darüber freuen, dass sich einer was traut und uns auf Teufel-komm-raus große intelligente Unterhaltung bietet. Davon will ich persönlich mehr und ganz viel.

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