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Berlinale: Skandale statt Stars – die Festspiele verliefen wenig ruhmreich


Die 70. internationalen Filmfestspiele
Skandale statt Stars – die Berlinale verlief wenig ruhmreich

MeinungArno Raffeiner

Aktualisiert am 01.03.2020Lesedauer: 4 Min.
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Berlinale 2020: Die 70. internationalen Filmfestspiele Berlin gehen zu Ende.Vergrößern des Bildes
Berlinale 2020: Die 70. internationalen Filmfestspiele Berlin gehen zu Ende. (Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++/dpa-bilder)

Boykott, Sexismus, alte Nazis: Zu ihrem 70. Jubiläum hatten die Filmfestspiele in Berlin vor allem mit der eigenen Rolle zu kämpfen. Gibt es in Zukunft einen Blechernen Bären fürs beste Krisenmanagement?

Genug geschnarcht jetzt. Die 70. internationalen Filmfestspiele Berlin gehen zu Ende – und mit ihnen ein eher müder Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären. Raus aus dem kuscheligen Kinosessel also und die Augen wieder aufgemacht. Schauen wir uns das Fazit der vergangenen zehn Tage auch abseits des roten Teppichs an: politischer Stolperkurs, ganz schön viel Schadensbegrenzung, aber immerhin Glück mit dem Virus.

In Sachen Pandemie war das Timing haarscharf. Nur zwei Wochen später, und die Berlinale hätte vermutlich gar nicht stattgefunden. Die Corona-Angst machte sich im Publikum mit vereinzelten Gesichtsmasken bemerkbar und mit nervösen Reflexen, wenn irgendwo drei Reihen weiter gehustet wurde. Aber auch ohne das Virus wäre fast am Anfang schon Schluss gewesen.

Kritik an Berlinale: "Katzbuckeln vor Chinas Drangsalierung"

"Die Gesellschaft sollte das Festival boykottieren." Das forderte Joshua Wong wenige Tage nach Beginn der Berlinale. Wong ist der bekannteste Aktivist der Demokratiebewegung in Hongkong und ein Mann klarer Ansagen. In einem Gespräch mit der "Welt am Sonntag" rief er dazu auf, "geschlossen aufzustehen und lautstark Nein zu sagen zu Zensur und zu weiterem Katzbuckeln vor Chinas Drangsalierung". Er vermutet nämlich, dass die Berlinale wegen Druck seitens der chinesischen Machthaber und Finanziers einen Dokumentarfilm des Künstlers Ai Weiwei nicht ins Programm genommen habe. Und das nicht zum ersten Mal.

Die Verantwortlichen der Berlinale vermerkten Wongs Vorwürfe und seinen Boykottaufruf vermutlich eher unter der Kategorie Mückenschiss. Die Kinos waren schließlich weiterhin ausgebucht, es gab keine offizielle Stellungnahme in der Sache. Kein Wunder, man hatte mit anderen Vorfällen alle Hände voll zu tun.

Dabei sollte es im 70. Jubiläumsjahr der Berlinale eine Frischzellenkur unter neuer künstlerischer Leitung geben. Ihre erste Berlinale hatte sich die Doppelspitze von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek vermutlich anders vorgestellt. Von Aufbruchstimmung war nicht viel zu spüren. Stattdessen waren die beiden mit Krisenmanagement, Richtigstellen und Beschwichtigen beschäftigt. Noch vor Beginn der ersten Chatrian-Rissenbeek-Ausgabe holte die Vergangenheit das Festival ein.

Ausgerechnet zum 70. Geburtstag wurde die NS-Vergangenheit eines der Berlinale-Gründerväter zum Medienthema. Endlich, muss man sagen. Alfred Bauer war von 1951 bis 1976 Leiter des Festivals. Vor 1945 war er in der Reichsfilmkammer und Reichsfilmintendanz tätig, vermutlich noch in den Dreißigerjahren wurde er Mitglied der NSDAP und der SA. Die hochrangige Stellung und der tatsächliche Einfluss von Bauer in der Nazi-Bürokratie wurden erst durch einen Artikel in der "Zeit" einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Auch die Berlinale selbst gab sich überrascht.

Der Preis zu seinen Ehren (Silberner Bär Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven der Filmkunst) wurde nicht etwa abgeschafft, aber für unbestimmte Zeit ausgesetzt. Mittlerweile hat die Berlinale eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Ein Buch über Bauer, das zum 70. Jubiläum geplant war, wurde noch rechtzeitig eingestampft. Es hatte sich, wie es jahrzehntelang üblich gewesen war, mit der Nazi-Vergangenheit des Funktionärs offensichtlich nicht kritisch genug beschäftigt.

Zeitgleich wurden auch Vorwürfe wegen Sexismus und Homophobie laut. Als bekannt wurde, dass Jeremy Irons zum Jurypräsidenten der Berlinale ernannt wurde, gab es einen kleinen Aufschrei. Der Schauspieler war in der Vergangenheit mit zweifelhaften Äußerungen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufgefallen, Grapschen hielt er mal für ein Kavaliersdelikt, Abtreibungen bezeichnete er als Sünde. Jetzt musste er als Vorsitzender der internationalen Jury über einen der besten Beiträge im Wettbewerb richten: "Never Rarely Sometimes Always" von Eliza Hittman, ein Film über die ungewollte Schwangerschaft einer 17-Jährigen. Am Ende gewann das Coming-of-Age-Drama ausgerechnet: den großen Preis der Jury.

Bei seinem ersten Berlinale-Auftritt in Berlin verlas Irons eine Erklärung, in der er sich von ehemaligen Aussagen distanzierte, für Frauenrechte eintrat und sexualisierte Gewalt verurteilte. Das klang weihevoll und inbrünstig. Aber so weit hätte es gar nicht erst kommen müssen. Die so berechtigten wie vorhersehbaren Vorwürfe im Jahr drei nach #MeToo wären mit der Entscheidung für eine andere Jurypräsidentin gar nicht erst aufgekommen.

Dass sich die Festivalleitung darüber anscheinend keinerlei Gedanken machte, ist das tatsächlich Neue und Enttäuschende an dieser Berlinale. Sie hat den Ruf, eines der politischsten Filmfestivals überhaupt zu sein, und sie gefällt sich in dieser Rolle. Nicht zu Unrecht: Themen wie Migration, Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit spielen in der Filmauswahl der diversen Sektionen schon seit Jahren eine große Rolle. Das war 2020 nicht anders. Umso ärgerlicher ist es, dass einiges an der 70. Berlinale eben auch politisch heikel bis fragwürdig war.

Viele der Wettbewerbsfilme würden in diesem Jahr eher illusionslos auf die Gegenwart blicken, hatte Carlo Chatrian vor dem Festival erklärt. "Nicht, weil sie Schrecken verbreiten, sondern weil sie uns die Augen öffnen wollen", ergänzte er. Das mit dem Augen-Aufmachen ist gar keine schlechte Idee. Genauer hinschauen kann auch der neuen Leitung der Berlinale nicht schaden.

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