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Victory Octane und ihre dicke Schwester


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Die Victory Octane und ihre dicke Schwester

02.11.2016Lesedauer: 5 Min.
Die Victory Octane ist das erste Modell, das auf einen kleineren und wassergekühlten V2-Motor setzt.Vergrößern des BildesDie Victory Octane ist das erste Modell, das auf einen kleineren und wassergekühlten V2-Motor setzt. (Quelle: Hersteller-bilder)
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Die US-Motorradmarke Victory ist für viele immer noch eher ein Geheimtipp. Seit 1997 stellt das Unternehmen, das zum Polaris-Konzern gehört, Cruiser, Bagger und Tourer mit einem mächtigen V2-Motor auf die Räder. In diesem Frühjahr ist die Modellpalette erstmals um ein Motorrad mit einem neuen, wassergekühlten V2-Motor erweitert worden. Wir haben die "Victory Octane" ausgiebig getestet.

Victory bezeichnet den Neuzugang in der Produktfamilie als minimalistisches "amerikanisches Muscle Bike". Bisher bildet ein gewaltiger V2-Motor mit 1,7 Litern Hubraum das Fundament für die gesamte Modellpalette. Dieses Luft-Öl-gekühlte "Freedom 106" getaufte Aggregat bringt mindestens 88 PS Leitung und knapp 140 Newtonmeter Drehmoment. Die 106 stehen für 106 Kubikzoll Hubraum, was 1731 Kubikzentimetern entspricht. Nicht selten hört man an der Ampel oder auf dem Parkplatz die Frage: "Ist das 'ne Harley?"

Motor aus dem Konzernbaukasten

Bei der Victory Octane weicht der Hersteller erstmals von diesem hubraumstarken Fundament ab. Stattdessen haben sich die Ingenieure beim wassergekühlten und 1179 Kubikzentimeter großen V2-Motor aus der Indian Scout – Indian ist mittlerweile ebenfalls eine Polaris-Marke – bedient.

Dieser Motor wurde dann unter anderem mit zwei Millimeter größerer Bohrung, schärferen Nockenwellen und einem aggressiveren Motormanagement auf sportliche Werte getrimmt. Er hat 104 PS und liefert ein Drehmoment von 103 Newtonmetern. Wo der Freedom 106 vor allem Power aus dem Drehzahlkeller liefert, holt der Motor der Octane seine Leistung aus einer höheren Drehzahl.

Im Duell mit der dicken Schwester

Wir haben die uns zum Test zur Verfügung stehende Octane gegen ihre "dicke Schwester", die Victory Gunner (im Bestand des Autors dieses Artikels) antreten lassen. Steigt man von der gut 300 Kilo schweren Gunner erstmals auf die Octane um, hat man ein bisschen das Gefühl, auf einem Mofa zu sitzen, denn dieses "Muscle Bike" ist deutlich kompakter und zarter gebaut. Das macht sich auch in dem rund 60 Kilo niedrigeren Gewicht bemerkbar. Das wiederum sorgt für mehr Agilität beim Fahren.

Die Sitzposition ist tief, aufrecht, sehr bequem und entspannt. Die Füße sind auf den Fußrasten Cruiser-typisch vor den Knien statt unter dem Hintern positioniert. Auch mit 1,81 Metern Körpergröße sitzt man locker und nicht "verdichtet". Auf diesem Motorrad dürfte es eher für deutlich kleinere und zierliche Personen spannend werden, denn die müssen sich eventuell etwas nach Fußrasten und dem breiten Lenker recken. Letzterer zumindest kann recht gut eingestellt werden. Im Zubehörsortiment bietet Victory aber Austauschsitze sowohl für größere als auch für kleinere Fahrer an, was eine weitere Anpassung ermöglicht.

Der Motor

Der Freedom 106-V2 der Victory Gunner ist mit knapp 140 Newtonmetern ein Drehmoment-Riese. Das Motorrad schiebt aus dem Stand mächtig voran, und bei knapp 5800 Touren fordert der Drehzahlbegrenzer nachdrücklich den Gangwechsel. Das also bei einer Drehzahl, bei der die vollverkleideten japanischen Reihen-Vierzylinder überhaupt erst anfangen, richtig Leistung zu liefern. Mit dem satten Hubraum lässt es sich sehr bequem und schaltfaul cruisen. Wenn es sein muss, steht eine Beschleunigung zur Verfügung, die Harley-Fahrer neidisch hinterher schauen lässt.

Der wassergekühlte 1200er der Octane braucht spürbar mehr Umdrehungen, um dann aber ebenfalls sehr dynamisch und druckvoll zu beschleunigen. Auch hier findet der Vortrieb weit unterhalb der Drehzahlbereiche statt, die die besagten Drehorgeln aus Fernost brauchen. Bei nicht ganz 8000 Umdrehungen gibt auch hier der Drehzahlbegrenzer Rückmeldung an den Fahrer.

Die versteckte Heulsuse

Bewegt man die Octane bei den gleichen Geschwindigkeiten wie die Gunner, stehen jeweils rund 1000 Umdrehungen mehr auf dem Drehzahlmesser. Bei forscher Gangart macht sich aber vor allem beim nächsten Ampelstopp ein deutliches und unschönes bis fieses Jaulen bemerkbar. Das ist auf den anspringenden elektrischen Ventilator auf der Rückseite des großen Wasserkühlers zurückzuführen, der dem Motor ein wenig Hitze auszutreiben versucht. Ehrlich gesagt, ist diese Heulsuse beinahe peinlich aufdringlich.

Antrieb und Fahrwerk

Beide Motorräder haben ein Sechsganggetriebe und einen Riemenantrieb. Die Gunner hat ein etwas ruppiger wirkendes Getriebe, das gerne mal ein Harley-mäßiges "Klacken" – böse Zungen sagen "Krachen" – zu Gehör bringt und beim Einlegen des ersten Ganges auch ab und an ein leichtes Rucken spüren lässt. Die Gänge der Octane schalten sich dagegen butterweich und akustisch unauffällig. Beide Getriebe sind gut auf den jeweiligen Motor abgestimmt. Das der Octane spricht mit kürzeren Übersetzungen den eher sportlichen Fahrer an.

Wo bei der Gunner ein Zentralfederbein unter dem Sattel die Hinterradschwinge im Griff hat, setzt Victory bei der Octane auf die klassische Bauweise mit zwei Federdämpfern links und rechts. Diese sind auf Wunsch auch mit einstellbarer Zug-Druck-Stufe zu bekommen. Vorne sind jeweils Teleskopgabeln verbaut, die bei der Octane aber ein wenig filigran wirken. Die Federwege sind bei beiden Motorrädern nahezu identisch.

Beide haben vorne und hinten jeweils nur eine Bremsscheibe und natürlich ABS. Die Verzögerung ist bei der Gunner und der Octane gut, aber die Octane könnte wenigstens am Vorderrad zwei Bremsscheiben und damit mehr Biss vertragen, denn sie wird wohl sportlicher und schneller gefahren als ihre dicke Schwester.

Cruisen oder rasen

Beide Motorräder bieten eine sehr gute Beschleunigung. Wenn der Fahrer will, ist er sehr schnell sehr schnell. Sehr schnell bedeutet hier eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 200 Km/h. Das aber macht nicht wirklich Spaß, denn spätestens ab 140 Km/h wird man auf beiden Motorrädern dermaßen vom Fahrtwind gebeutelt, dass man kaum mehr weiter am am Gashahn drehen möchte. Die winzige Frontverkleidung um die Lampe der Octane herum hilft dabei auch nicht weiter. Hand aufs Herz: Wer 200 Sachen oder mehr fahren will, kauft sich nicht diese Art von Motorrad.

Die Octane ist ein bisschen mehr als Kurvenräuber tauglich als ihre dicke Schwester. Das schlankere und vor allem leichtere Chassis sowie die Anordnung der Fußrasten erlauben etwas mehr Schräglage und dynamischere Kurvenfahrten. Trotzdem kann sich der Fahrer natürlich nicht in die Kurve legen, als säße er auf einem Supersportler. Der agile Motor der Octane beschleunigt gefühlt etwas besser als der Freedom 106 der Gunner, obwohl er dazu höhere Drehzahlen braucht. Die Gunner hingegen kommt direkt mächtig aus dem Keller.

Gutmütig und leicht zu fahren

Für beide Motorräder gilt zudem, dass sie einfach und gutmütig zu fahren sind. Sehr schnell fühlt man sich darauf wohl und sicher. Die Bedienelemente sind auf das nötige und wichtige beschränkt. Keine zahllosen Tasten oder Regler, um irgendwelche komplexen Bordcomputer zu bedienen. Der Fahrer kann auch keine "Fahrmodi" oder "Mappings" verstellen oder sonst irgend etwas "konfigurieren". Draufsetzen und fahren. Fertig. Gut so!

Ein bisschen billig

Was das Bild bei der Octane ein klein wenig trübt ist, dass man ihr auf den zweiten Blick hier und dort ansieht, dass Victory dieses Motorrad möglichst günstig produzieren wollte. Die Schraube auf dem Lenkkopflager beispielsweise liegt einfach offen, wo bei der Gunner eine Abdeckung zu finden ist. Auch sonst wirkt so manche Schraube, als stamme sie vom Wühltisch beim Baumarkt.

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Wo wir gerade von den Kosten reden: Die Victory Gunner kostet 13.490 Euro Listenpreis, die Octane ist mit 12.950 Euro nur wenig günstiger. Damit sind beide keine Schnäppchen, aber ihr Geld definitiv wert. Wer das gleiche Geld in eine Harley investiert – zu nennen wäre beispielsweise die aktuelle Fourty Eight (67 PS, 96 Newtonmeter Drehmoment) – der zieht den Kürzeren. Denn sowohl die Gunner als auch die Octane haben die deutlich potenteren Motoren. Und wer eine echte Cruiser-Höllenmaschine wie Ducatis XDiavel S mit ihren aberwitzigen 156 PS unter dem Hintern haben will, darf fast doppelt soviel Geld berappen, als für die Octane fällig ist.

Fazit

Mit beiden Motorrädern lässt es sich prima gemütlich cruisen und bei Bedarf genügt ein Zug am Gashahn, um sehr viel Vortrieb zu entfesseln. Beispielsweise für ein schnelles Überholmanöver. Beide sind geeignet, um einer serienmäßigen Harley-Davidson die Auspuffrohre zu zeigen. Wer es eher sportlich und agil mag, der wird mit der Octan mehr Spaß haben. Wer einen dicken Cruiser-Brocken will, wird die Gunner lieben.

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