Wetterdienst schlägt Alarm Es wird lebensgefährlich
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klimakrise und kein Ende in Sicht. Der Deutsche Wetterdienst zeigt, wie die Erderhitzung das Leben hierzulande 2022 umgekrempelt hat. Und was noch auf die Bundesrepublik zurollt.
Einen Tag nach den eindringlichen Warnungen des Weltklimarats kommt der zweite Hammer, dieses Mal von den führenden Wetterexperten der Bundesrepublik. "Wir treiben Deutschland und unsere Gesellschaft aus der Komfortzone des Klimawandels heraus", sagt Andreas Becker, Leiter der Klimaüberwachung beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Die Bilanz 2022, die er und seine Kollegen am Dienstag vorgestellt haben, ist unmissverständlich: Es wird nicht nur ungemütlich, sondern lebensgefährlich – Extremwetter und Naturgefahren als Folgen des Klimawandels sind kein abstraktes Risiko mehr.
Ging es 2021 vor allem um die verheerenden Starkregen und die tödliche Flutkatastrophe an der Ahr, wird die jüngste Auswertung der Meteorologen von zwei Erkenntnissen dominiert: Das vergangene Jahr war viel zu warm und viel zu trocken. Demnach brach die durchschnittliche Jahrestemperatur 2022 mit 10,52 Grad deutlich den bisherigen Allzeitrekord. Es war mehr als ein Grad wärmer als beim vorigen Rekord 2018 und 2,3 Grad wärmer als die vieljährige Mitteltemperatur. Somit war es nun schon das zwölfte Jahr in Folge zu warm in Deutschland.
Rekord-Waldbrände, Rekord-Dürre und Rekord-Schmelze
In Kombination mit dem trockensten Sommer seit 1961 braute sich daraus eine mittelgroße Katastrophe zusammen: Knapp 4.300 Hektar Wald verbrannten – eine Fläche von mehr als 6.000 Fußballfeldern. Der Feuerwehrverband Deutschland sprach von einem "Rekord-Waldbrandsommer", der auch Wohngebiete gefährdete.
Aufgrund der anhaltenden Dürre mussten die deutschen Bauern mehr als 25 Millionen Euro in Ernteausfällen schultern – vor allem bei Kartoffeln, Zuckerrüben sowie Mais; dem Lieblingsgemüse und den wichtigsten Futtermitteln in der Bundesrepublik. In vielen Kommunen wurde das Trinkwasser reglementiert, teils sogar rationiert. Der Rhein, die wichtigste Transportroute für die Binnenschifffahrt, war in Abschnitten kaum noch befahrbar.
Und für viele ging es tatsächlich um Leben und Tod. Die hohen Temperaturen haben laut Robert Koch-Institut Tausende Menschen das Leben gekostet. An den Folgen der Hitzewellen, die von Mai bis Oktober immer wieder auftraten, starben zwischen Alpen und Küste insgesamt rund 4.500 Personen. Auch für einen der wenigen verbleibenden Gletscher des Landes bedeutete die Hitze das Ende: Die Rekord-Schmelze ließ den Südlichen Schneeferner in den bayrischen Alpen als sogenanntes "Toteis" zurück. Es bleiben nun noch vier deutsche Gletscher, die allerdings ebenfalls rapide abschmelzen.
Schneller heißer als anderswo
Die Prognose des DWD gibt keine Entwarnung. In vielen Regionen Deutschlands werde es noch heißer und trockener werden, sowohl kurz- als auch langfristig. Schon die Sommermonate Juni bis August 2023 sollen im Vergleich mit den Jahren 1991 bis 2020 besonders im Südosten deutlich wärmer werden. In den kommenden vier Jahren erwartet der DWD, dass sich dieser Trend sehr wahrscheinlich in der gesamten Bundesrepublik fortführt.
Denn die Erderhitzung schreitet hier rasanter voran als im globalen Durchschnitt. Ist die Temperatur seit der vorindustriellen Zeit laut der Weltorganisation für Meteorologie weltweit um 1,15 Grad angestiegen, liegt das Temperaturplus hierzulande bereits bei 1,7 Grad.
"Es ist inzwischen höchst unwahrscheinlich, dass wir das globale 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einhalten können. Selbst das 2-Grad-Ziel ist inzwischen stark gefährdet", sagt DWD-Experte Becker. Realistischer sei eher ein Szenario in Richtung drei Grad – mit Blick auf die möglichen Folgen für die Lebensumstände weltweit eine monumentale Verschlechterung. Dennoch dürfe man angesichts dieser Vorhersage nicht aufgeben.
"Man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig es ist, jedes weitere Zehntelgrad zu verhindern", appelliert Becker. Jeder Euro, der jetzt in Klimaschutz investiert werde, spare ein Vielfaches bei der zukünftigen Schadensbewältigung.
Alarmierendes Starkregenrisiko und ein Lichtblick
Das dürfte auch für Hochwasser- und Flutrisiken gelten. "Starkregen und Dauerregen gehören bereits zu den häufigsten Wetterphänomenen in Deutschland, die mit dem anhaltenden Klimawandel weiter zunehmen werden", erklärt Tobias Fuchs, Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt beim DWD.
Gerade Starkregen würden wohl häufiger und intensiver werden – mit Blick auf die verheerenden Folgen der Ahrflut sei dies ein wichtiger Grund für den DWD gewesen, ein neues Programm zur Risikoberechnung aufzulegen. Dieses kombiniert die Daten von Wetterradaren und Messstationen am Boden, um den vorbeugenden Katastrophenschutz zu verbessern.
Einen kleinen Lichtblick gab es in der insgesamt erschreckenden Bilanz des DWD aber doch. 2022 war das sonnigste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1951. Für Renate Hagedorn, Leiterin des Bereichs Wettervorhersage, eine exzellente Unterstützung für die Energiewende.
Außerdem beruhigte sie all jene, die angesichts von Windkraft- und Solarausbau fürchten, Deutschland riskiere wissentlich die eigene Energiesicherheit in Jahren mit möglicher Dunkelflaute. Das Wetter mache zwar, was es wolle, doch die Gefahr eines Blackouts durch fehlenden Wind und mangelnde Sonne sei sehr gering, so Hagedorn. "Kombiniert betrieben, ergänzen sich Wind- und Solarenergie sehr gut. Weniger Sonne im Winter wird durch stärkere Windverhältnisse ausgeglichen und umgekehrt."
- Pressekonferenz des DWD zur Klimabilanz 2022 am 21.03.2023
- Pressemitteilung des DWD: "Klima-Pressekonferenz 2023 des DWD"
- Pressemitteilung des BMEL: "Özdemir: Licht und Schatten bei der Ernte 2022"
- Pressemitteilung des Feuerwehrverbandes Deutschland: "Rekord-Waldbrandsommer 2022"