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Faire Mode: "Wir sind total versaut, was unser Preisverhältnisgefühl angeht"


Faire Textilien
"Nachhaltige Mode nicht zu teuer, die andere ist zu billig"

InterviewVon Maria Bode

Aktualisiert am 06.03.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Ein Handwerker bedruckt in Indonesien Ökotextilien: Faire und umweltfreundliche Praktiken sind in der Textilbranche weltweit noch nicht an der Regel.Vergrößern des Bildes
Ein Handwerker bedruckt in Indonesien Ökotextilien: Faire und umweltfreundliche Praktiken sind in der Textilbranche weltweit noch nicht an der Regel. (Quelle: Adrian/INA Photo Agency/imago-images-bilder)

Die Dumping-Preise im Textilhandel gefährden das Leben der Textilarbeiter, argumentieren Aktivisten. Sie kritisieren die Zustände in den Fabriken und fordern Veränderungen.

Das schreckliche Unglück von Rana Plaza im April 2013 lenkte die Blicke weltweit auf die unmenschlichen Produktionsbedingungen in der Textilbranche. Mit der Zeit flachte das Interesse wieder ab, die Berichte wurden weniger. Die globale Bewegung "Fashion Revolution" will die Aufmerksamkeit auf unfaire Zustände in den Fabriken aufrechterhalten. Wissen Sie, unter welchen Voraussetzungen Ihr Shirt von welcher Person gefertigt wurde?

Für die Initiative steht genau das im Vordergrund: die Forderung nach Transparenz. "Wir wollen, dass die sehr komplexe Wertschöpfungskette einfacher wird, direkter und damit auch transparenter, damit klar ist, wo und wie unsere Kleidung produziert wird", erklärt Koordinatorin Ariane Piper von "Fashion Revolution Germany" im Interview mit t-online. Dafür stellt die Kampagne die einfache aber für sie zentrale Frage. "Who Made My Clothes?" – also "Wer macht meine Kleidung?". Unternehmen sollen so dazu gebracht werden, Antworten zu liefern.

"Fashion Revolution Germany" ist "Teil des globalen Movements für eine Modeindustrie, die Menschen und Erde über Geld stellt", so die Erklärung auf dem offiziellen Instagram-Profil der Initiative. Was jeder und jede tun kann für mehr Fairness in der Modebranche, warum die Macht der großen Ketten so wichtig für einen Wandel ist und welche unrealistischen Preisvorstellungen sich in den Köpfen der meisten Menschen festgesetzt haben, zeigt Ariane Piper in unserem Interview auf.

t-online: Welche Fortschritte wurden seit Gründung der Initiative "Fashion Revolution" im Jahr 2013 erzielt?

Ariane Piper: Einmal jährlich begehen wir den Fashion Revolution Day, am Jahrestag von Rana Plaza, dem 24. April. Wir merken, dass die Aufmerksamkeit für diesen Tag jährlich wächst. Wir sind nicht mehr nur in Berlin mit einer aktiven Gruppe aufgestellt, sondern auch in vielen weiteren deutschen Städten. Natürlich gibt es auch auf politischer Ebene Änderungen. Wir haben beispielsweise das Lieferkettengesetz aktiv mit vorangetrieben, denn es braucht politische Regulierungen, die Freiwilligkeit reicht nicht aus.

Wir begrüßen, dass nach langen Verhandlungen nun endlich ein Lieferkettengesetz für Deutschland verabschiedet wurde. Das Gesetz bietet eine Basis, die ausgebaut und erweitert werden kann und muss, und auch die Chance für eine europäische Lösung. Wir werten es also als positives Ergebnis mit der dringenden Notwendigkeit weiter daran zu arbeiten.

Wo liegen die Herausforderungen bei der Arbeit von "Fashion Revolution"?

Kleidung ist ein emotionales Thema. Auf rationaler Ebene ist klar, dass wir zu viel Bekleidung haben, die wir nicht brauchen. Auf emotionaler Ebene findet aber immer wieder ein Kauf statt und auch immer wieder einer, der nicht die Standards beachtet, die eigentlich bekannt sind. Unsere Psyche trickst uns aus. Wir wollen uns mit dem Kauf eines Kleidungsstücks etwas Gutes tun und vergessen, dass wir damit einer anderen Person am Ende der Lieferkette etwas Schlechtes tun, wenn wir nicht darauf achten, wo und wie das Teil gemacht wird.

Aber das liegt ja auch an den großen Modeketten, oder?

Ja, es ist problematisch, dass sich große Unternehmen schwertun, einen glaubwürdigen Wandel anzugehen. Da findet leider noch viel Greenwashing statt. Da muss weiter aufgeklärt werden, damit Kunden wissen, wem sie wirklich glauben können.

Die grüne Conscious Collection von H&M – fällt so etwas unter Greenwashing? Beziehungsweise geht Fast Fashion überhaupt nachhaltig?

Fast Fashion kann auf keinen Fall nachhaltig sein. Wir haben einen Überkonsum. Wir kaufen zu viel und es wird zu schnell auf zu niedrigem Niveau produziert, was für mich eine Definition von Fast Fashion ist. Nachhaltigkeit in der Modebranche kann nur erreicht werden, wenn man davon wegkommt. Wir brauchen weniger Kollektionen im Jahr, wir brauchen höhere Qualität und wir brauchen Menschen, die weniger einkaufen.

Was ist Greenwashing?
Greenwashing bezeichnet eine umweltbewusste und nachhaltige Darstellung eines Unternehmens oder einer Marke, wobei PR-Zwecke im Vordergrund stehen.

Aber man muss auch bedenken, dass nicht für jeden und jede faire, nachhaltige Mode im teureren Sinne leistbar ist.

Ja, finanzielle Mittel sind natürlich ein großer Punkt. Aber man muss sich auch dessen bewusst werden, dass wir total versaut sind, was unser Preisverhältnisgefühl angeht. Wir glauben, die Preise von Fast Fashion sind die Preise, die richtig sind. Da wurden wir über die letzten Jahre hinweg betrogen, denn die Preise sind zu niedrig. Ich würde behaupten, dass die Preise von nachhaltiger Mode die richtigeren sind. Wir haben nur das Gefühl dafür verloren. Eigentlich ist nachhaltige Mode nicht zu teuer, die andere ist zu billig.

Aber klar, nachhaltige Mode hat einen höheren Preis und nicht alle wollen zu Secondhand greifen. Doch wenn die Hälfte der Menschen, die sich nachhaltige Mode ohne Weiteres leisten könnte, dies auch tun würde, wären wir schon doppelt so weit. Viele Menschen haben die finanziellen Ressourcen, nutzen sie aber nicht für Fair Fashion. Dann bleibt ein Rest, für den es schwierig ist. Aber wenn wir weniger kaufen – nur ein T-Shirt in guter Qualität statt fünf Shirts in schlechter Qualität, dann ist das gar nicht mehr so dramatisch. Das hat viel mit einer bestimmten Denkweise zu tun.

Zum Thema Secondhand: Auch große Modehäuser wie Zalando oder Asos haben inzwischen Secondhand-Abteilungen. Ist das wirklich nachhaltig oder aktuell einfach clever?

Clever ist das allemal. Zum einen schaffen sie eine Kundenbindung – man kann Neues kaufen, Altes zurückgeben, dafür bekommt man einen Gutschein und kauft wieder neu. Der Kreislauf bleibt innerhalb eines Unternehmens. Die zurückgegebenen Klamotten werden aber nur in den wenigsten Fällen weiterverwendet, weil die Ware entweder nicht die nötige Qualität hat oder es sich um schlecht recyclebare Mischgewebe handelt. Ich glaube, sie verkaufen den größten Teil weiter an Sammelstellen, Recyclinghöfe, Wiederverwerter. Wenn man etwas spenden möchte, dann eher an karitative Einrichtungen. DRK, Stadtmission und Caritas finanzieren damit immerhin ihre gemeinnützigen Tätigkeiten.

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Wie sieht es mit Plattformen wie Vinted (zuvor Kleiderkreisel) aus? Da stößt man häufig auf ungetragene Sachen mit Preisschildern aus der aktuellen Saison, die direkt wieder verkauft werden.

Das zeigt wieder, dass viele Menschen Klamotten im Kleiderschrank hängen haben, die sie nie getragen haben. Ich finde es schockierend, wie viel Ungetragenes es dort gibt, die Mengen sind absurd. Grundsätzlich ist es aber gut, wenn es zumindest wieder in den Kreislauf zurückkehrt. Ich hoffe aber, dass dahinter nicht irgendein Gewerbe steckt, sondern wirklich Privatpersonen, die Fehlkäufe tätigen.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Arbeit und das bereits Erreichte aus?

Durch die Pandemie merken wir, was in den vergangenen Jahren unglaublich schiefgelaufen ist. Das ist ein massives Problem für die Menschen in den Produktionsländern, die kein soziales Auffangsystem haben und eine Regierung, die einigermaßen gute Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Diese Menschen stehen wirklich im Dreck, haben keine Unterkünfte mehr, nichts mehr zu essen. Sie haben Existenzängste – unter anderem weil ihre Löhne viel zu gering sind. Sie leben immer von der Hand in den Mund und konnten sich keine Rücklagen schaffen. Darauf die Aufmerksamkeit zu lenken, ist gerade eine große Herausforderung.

Gibt es aber auch eine aktuelle Entwicklung in der Textilbranche, die Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubert?

Auf jeden Fall. In der nachhaltigen Modeszene gibt es einen engen Zusammenhalt. Da werden ganz tolle, innovative Materialien verwendet, kreative Wege werden gegangen, um wieder nachhaltiger zu wirtschaften. Vom klischeemäßigen Kartoffelsacklook, der früher so öko war, sind wir meilenweit entfernt. Es gibt heute wirklich coole Klamotten und tolle Designs.

Wenn jetzt jemand sagt: "Ich möchte auch anfangen, mich mit dem Thema nachhaltige / faire Mode zu beschäftigen." Wie kann man da am besten rangehen?

Es hat viel damit zu tun, sich Wissen anzueignen, zu lesen, sich mit Freunden auszutauschen. Wenn wir alle unser Wissen zusammenwerfen, sind wir am Schluss Experten. Ansonsten ist wichtig, es langsam anzugehen, nicht versuchen von heute auf morgen alles umzustellen oder den Kleiderschrank komplett auszumisten und alles wegzuschmeißen. Alles Vorhandene ist eine tolle Ressource.

Beim nächsten Wunschteil sollte man reflektieren: Brauche ich das wirklich? Wenn ich es wirklich brauche, kann ich es vielleicht Secondhand kaufen? Kann ich es leihen oder selber nähen? Und schließlich: Kann ich beim Kauf auf nachhaltige Produktionswege achten? Da hilft die Orientierung an glaubwürdigen Siegeln, wie beispielsweise GOTS, GRS, Fairtrade, Fair Wear Foundation oder Grüner Knopf. Man könnte auch in kleinen Ateliers um die Ecke vorbeischauen. Es geht darum, alternative Wege zu finden. Das braucht anfangs recht viel Zeit und Engagement, aber irgendwann hat man sein Wissen und seine Bezugsquellen und dann macht das viel Spaß. So entsteht auch eine viel größere Wertschätzung dem Produkt gegenüber.

Welche Möglichkeiten haben Kundinnen und Kunden direkt Teil der Fashion Revolution zu sein?

Wir nutzen unseren Hashtag #WhoMadeMyClothes als eine einfache Methode der Stimmengebung. Userinnen und User können einfach ein Kleidungsstück mit sichtbarem Label fotografieren und es in den sozialen Medien mit #WhoMadeMyClothes sowie mit der Seite des Unternehmens taggen. Die Idee dahinter ist, dass das Unternehmen antwortet und eben die Informationen bereitstellt, wer und wie und wo dieses Kleidungsstück produziert wurde. Das ist die einfachste Methode, mitzumachen.

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Es spielt sich viel online ab, auf sozialen Netzwerken. Wie erreichen Sie eine ältere Zielgruppe?

Wir hoffen, dass wir ältere Menschen, die vielleicht digital noch nicht ganz so versiert sind, nicht komplett verlieren. Aber unser Fokus ist tatsächlich eher auf jüngeren Menschen, die einfach eine wahnsinnig große Kaufgruppe sind. Es gibt ja andere Kampagnen, die eher an Ältere gerichtet sind und im Zusammenspiel erreicht man dann möglichst viele Menschen insgesamt.

Verwendete Quellen
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