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Gletscherschmelze: Dieses Trinkwasser dürfte es eigentlich nicht geben


Gletscherschmelze
Dieses Trinkwasser dürfte es eigentlich nicht geben


Aktualisiert am 10.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Es taut: Die Forscher haben t-online ein Stück Arktis geschenkt. (Quelle: t-online)

Es ist eine Flaschenpost, die man lieber nicht bekommen möchte: Polarforscher verteilen Gletscherwasser bei der Weltklimakonferenz. Eine eiskalte Warnung, die auch Olaf Scholz gilt.

Der Gewichtsverlust geht rasant. Vor wenigen Tagen wog der Eisblock, den Forscher aus Grönland eingeflogen haben, noch 4.000 Kilogramm. Wenige Tage später ist er um mehr als ein Drittel zusammengeschrumpft. Die relativ milden Novembertemperaturen in Glasgow setzen ihm zu.

"Wir wollen die Teilnehmer der Weltklimakonferenz daran erinnern: Was in der Arktis passiert, bleibt nicht dort", sagt Gail Whiteman. Sie lehrt nachhaltiges Wirtschaften an der Universität von Exeter und hat vor dem Gelände der COP26 wortwörtlich ihr Zelt aufgeschlagen: Ein Kuppelzelt, wie es auch Polarforscher benutzen, und der grönländische Eisblock bilden ihr Arctic Basecamp.

Gemeinsam mit freiwilligen Kollegen bringt sie das Camp überall dorthin, wo über die Zukunft der Arktis und des gesamten Planeten entschieden wird. Momentan eignet sich dafür kein anderer Ort besser als Glasgow.

Die Enkelin der Queen, Prinzessin Eugenie, war schon da, die britische Sängerin Ellie Goulding ebenfalls, der beste Kaltwasser-Schwimmer der Welt, Lewis Pugh, hat vorbeigeschaut und Star-Trek-Schauspieler Riann Wilson war zumindest per Webschalte im Polarzelt.

US-Popstar Billie Eilish hat eine Videobotschaft geschickt. Den Eisblock kümmert das wenig; er tropft weiter. Das Schmelzwasser rinnt in Richtung der Messehallen ab, in denen Vertreter aus aller Welt um eine Einigung auf ambitionierteren Klimaschutz ringen.

Die Daten sprechen für sich

"Die Arktis ist in der Krise; die wissenschaftlichen Daten und die Berichte der einheimischen Menschen zeigen das ganz klar", sagt Whiteman. Während der Rest der Welt sich stetig, aber noch recht langsam erhitzt, überschlägt sich die Klimakrise in der Arktis bereits: Der Temperaturanstieg verläuft dort doppelt so schnell wie in anderen Weltregionen. Verglichen mit 1990 ist es in der Arktis im Sommer inzwischen 1,8 Grad Celsius wärmer, im Winter sogar bis zu 3 Grad, so die Berechnungen des Geomar-Helmholtz-Zentrums. Entsprechend dramatisch sind auch die Konsequenzen.

Zum ersten Mal seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat es diesen Sommer auf dem höchsten Punkt des grönländischen Eisschildes geregnet. Das hatte es dort, 3.216 Meter über dem Meeresspiegel, bisher noch nie gegeben.

Grönland schmilzt in großem Umfang, gleichzeitig taut der Permafrostboden auf. "Das Land in der Arktis ist nicht mehr so weiß wie früher, sondern viel grüner geworden", sagt Whiteman. "Das ist nicht nur eine schlechte Nachricht für Eisbären, sondern für uns alle."

Wenige Stunden später wird sich der Außenminister des kleinen Südpazifik-Staates Tuvalu, Simon Kofe, von zu Hause aus per Video an die Weltgemeinschaft wenden, die in Glasgow versammelt ist – im Anzug und bis zu den Knien im Ozean. Der steigende Meeresspiegel ist vielerorts die sichtbarste Folge von dem, was in der Arktis passiert.

Erst vor einigen Monaten warnten Forscherinnen und Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung davor, dass die Eisschmelze in der Arktis sich noch stärker beschleunigen könnte. Dass die Situation dort ernst ist, ist allerdings längst bekannt. Das Engagement, das nötig wäre, um diese Krise aufzuhalten, steht aber weiter aus.

Eine eiskalte Warnung

Mit dem schrumpfenden Eisblock aus weiter Ferne hoffen Gail Whiteman und ihr Team das zu schaffen, was bisher noch niemandem so recht gelingen wollte. Weder dramatische Fotos überschwemmter Küstenregionen noch Videos ausgemergelter Eisbären oder das Klavierkonzert von Ludovico Einaudi vor abbrechenden Eisbergen haben die internationale Klimapolitik nachhaltig angekurbelt.

"Deswegen haben wir nicht nur den Eisberg aus Grönland mitgebracht. Sondern eine eiskalte Warnung, die die Delegierten mit nach Hause nehmen können", so Whiteman. Wen 270 Milliarden Tonnen jährlichen Eisverlusts in der Arktis nicht wirklich beeindrucken, der bekommt Flaschenpost vom Arctic Basecamp.

"Darin ist echtes arktisches Gletscherschmelzwasser", sagt Whiteman und holt eine Glasflasche hervor. "Die fasst 750 Milliliter. Bis jetzt hat noch niemand auch nur annähernd richtig gelegen, wie viele dieser Flaschen pro Sekunde vom arktischen Eis abschmelzen." Die Zahl ist schockierend.

Wissenschaftliche Werbung für den Planeten

In jeder Sekunde verlieren die Gletscher in der Arktis so viel Volumen, wie als Wasser in 17 Millionen Flaschen passt. Whiteman sieht es als Aufgabe von Wissenschaftlern an, nicht nur Erkenntnisse zu gewinnen, sondern auch "dieses Wissen effektiv an die Zielgruppen zu vermitteln, die es brauchen". Vor allem Staats- und Regierungschefs wollen sie deshalb ihre abgefüllte Botschaft überbringen.

Denn: Was diese bei der Klimakonferenz bisher an nationalen Versprechen gemacht haben, reicht selbst dann, wenn alles umgesetzt wird, nicht, um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. "Wir hoffen, dass der neue Kanzler der Bundesrepublik Deutschland bald auch eine unserer Flaschen bekommt", sagt Whiteman.

Wenn in wenigen Tagen die Weltklimakonferenz zu Ende geht, wird der Eisblock so klein sein, dass es sich wohl nicht mehr lohnt, ihn noch an einem anderen Ort auszustellen. Das Team um Gail Whiteman weiß aber schon, wo es den nächsten Brocken herbekommt und auch, wo dieser hinsoll.

Im Januar geht es für die Wissenschaftler ins Schweizer Örtchen Davos. Dort treffen sich alljährlich die mächtigsten Politikerinnen und Politiker, bekanntesten Stars und einflussreichsten Unternehmen zum World Economic Forum. Auch für sie soll es einen eiskalten Schock geben.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gail Whiteman vor Ort im Arctic Basecamp in Glasgow
  • Eigene Recherche
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