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Darum sollten Sie nicht mit Ihrem Nachbarn flirten


Kolumne "Lust, Laster und Liebe"
Herr Nachbar, so hatte ich mir unser erstes Mal nicht vorgestellt

  • Jennifer Buchholz
MeinungEine Kolumne von Jennifer Buchholz

Aktualisiert am 11.10.2017Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Eine Frau steht am FensterVergrößern des Bildes
Der Flirt mit einem Unbekannten kann Spaß machen. (Symbolbild) (Quelle: David De Lossy/Thinkstock by Getty-Images-bilder)


ich erinnere mich noch genau an unsere erste Begegnung. Obwohl, ein Treffen war es nicht wirklich. Eher ein Anstarren – meinerseits. Es war einer der ersten warmen Frühlingstage, als ich morgens das Fenster aufriss und zu dem – sonst leeren – Balkon auf der anderen Straßenseite blickte. Doch dieses Mal war er nicht leer. Ein Mann im Muskelshirt und Jogginghose stand dort: Du! Leicht verschwitzt, in deine leere Wohnung blickend und sich dabei den Schweiß von der Stirn wischend. Ich war perplex, starrte und versteckte mich hinter meinem Vorhang. Ich mit zerzaustem Haar und Schlabberklamotten – so wollte ich mich dir nicht bei unserem ersten Treffen präsentieren.

Die nächsten Tage und Wochen verliefen stets gleich. Kaum schien die Sonne, rekeltest du dich auf deinem Balkon: Pflanzen eintopfend, lesend oder einen Kaffee genießend. Immer alleine. "Also warum nicht versuchen, deine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen?", dachte ich.

Zurechtgemacht stand ich nun bei jedem noch so kleinen Sonnenstrahl an meinem sperrangelweit geöffnetem Fenster: Mal mit einer Tasse Kaffee – an der ich mir natürlich beim Versuch, sexy zu wirken, die Zunge verbrannte. Mal mit einem literarischen Meisterwerk – das ich aber nur zum Schein in der Hand hielt; schließlich musste ich den perfekten Moment für unseren ersten Augenkontakt und ein erstes Lächeln abwarten. Doch du ignoriertest mich. Oder sahst du mich nicht?

Wie zu erwarten, war unser "erstes Mal" völlig unerwartet – meinerseits und sicherlich auch deinerseits. Freitagabend, Regen. Nach einer anstrengende Arbeitswoche wollte ich nur noch eins: Gesichtsmaske, Chips, Wein und eine Schnulze vom Feinsten. Und natürlich die obligatorische Taschentuchbox – wenn die Tränen bei uns Frauen erst mal kullern, lassen sie sich meist nur noch schwer aufhalten. Du kennst das bestimmt; schließlich siehst du nicht gerade unerfahren aus. Beim zweiten Schluchtzanfall merkte ich: Die Vorhänge sind nicht zugezogen. Sonst stört mich das nie, aber bei derartigen Gefühlsausbrüchen möchte ich dann doch ganz für mich sein. Das verstehst du sicherlich. Ich sprang auf und gerade, als ich den Vorhang zureißen wollte, sah ich: DICH! Mit einer Kippe auf deinem Balkon stehend und in meine Wohnung schauend. Grinsend hobst du zur Begrüßung kurz die Hand.

Panisch zerrte ich an der Gardine und wollte im Boden versinken: MIST! Ausgerechnet jetzt! So hatte ich mir unseren ersten Augenkontakt nicht vorgestellt. Du etwa? Am besten ziehe ich aus. Suche mir eine andere Wohnung. Oder noch besser eine abgelegene Hütte – ohne Nachbarn! Wo mich weit und breit keiner kennt. Genau!

Die nächsten Wochen vermied ich es, mich an meinem Fenster zu zeigen. Ich hielt mich im Hintergrund, bedeckt und versteckt – in der Hoffnung, du würdest unsere erste Begegnung als Albtraum oder Fata Morgana abtun. Und so vergingen Tag um Tag, Woche um Woche.

Viel später, als ich – natürlich herausgeputzt – den Müll raus brachte, kam mir ein Mann lächelnd entgegen: "Ich dachte schon, du bist verschollen", sagte er. Ich verstand kein Wort. "Offensichtlich nicht", antwortete ich. "Dann ist ja gut“, grinste er "Ich habe deine Auftritte am Fenster schon vermisst. Aber wenn wir uns jetzt gegenüberstehen, kann ich dich direkt fragen: Lust, mit mir etwas Trinken zu gehen?" Ich war sprachlos, peinlich berührt und verstand nur Bahnhof. Warst du das? Mein "Objekt der Begierde" vom Nachbarbalkon. Aber hast du nicht braunes Haar, graue Schläfen und breite Schultern? Keine blonden, langen Haare, dicke Oberarme und eine Brille. Hattest du dich in den vergangenen Wochen so verändert?

"Entschuldigung, aber kennen wir uns?", fragte ich. "Na klar. Seit Wochen rekelst du dich an deinem offenen Fenster und flirtest mit mir. Ich wohne auf der anderen Straßenseite. In der vierten Etage." Wie Schuppen fiel es mir von den Augen! Der Mieter über dir dachte, mein Schauspiel galt ihm. Ich wollte im Boden versinken. Wie peinlich!

Nach dem Gesichtsmaskenmassaker und der unfreiwilligen Peepshow für deinen Nachbarn, wollte ich nun alles auf eine Karte setzen.

Lieber Nachbar, ich war bereit. Ich war fröhlich, ausgeschlafen und sogar beim Friseur. Ich wollte bei dir klingeln. Mein pochendes Herz rutschte mir fast in die Hose, als ich vor deiner Haustür stand. Ich fasste allen Mut zusammen und klingelte in der dritten Etage. Keine Reaktion. Der Name auf dem Klingelschild war auch weg. Dein Balkon war leer. Deine Wohnung schien ausgeräumt. Du warst ausgezogen.

Trotzdem danke ich dir. Denn nun weiß ich: Manchmal muss man einfach schneller sein. Darum, lieber Ex-Nachbar, werde ich nun den attraktiven Verkäufer beim Bäcker um die Ecke ansprechen.

Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe“ über Liebe, Partnerschaft und Sex.

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