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Geschwister: Viele Erstgeborene fühlen sich vernachlässigt


Geschwister
Geschwister-Rivalität: Nesthäkchen bevorzugt?

Von dpa-tmn
13.10.2010Lesedauer: 4 Min.
Geschwister sitzen auf einer Wiese.Vergrößern des Bildes"Prinzensturz": Plötzlich steht das Nesthäkchen im Vordergrund. (Bild: imago) (Quelle: imago-images-bilder)
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Das Verhältnis zwischen Geschwistern ist ein ganz besonderes. Nach außen halten sie oft fest zusammen, der Ältere beschützt den Kleinen auf dem Schulhof und der Kleine prahlt mit seinem großen Bruder oder der großen Schwester. Innerhalb des Familienlebens allerdings ist das Verhältnis immer auch von Rivalität geprägt. Vor allem die Älteren fühlen sich oft gegenüber des kleinen Geschwisterchens benachteiligt: wenn es beim Tisch Abräumen nicht helfen muss, wenn es länger aufbleiben darf, als sie selbst es im gleichen Alter durften oder wenn es teure Sachen geschenkt bekommt, zum Beispiel eine Markenjeans, die sie selbst erst später bekommen haben. Auch die Aufmerksamkeit der Eltern scheint immer nur um das Nesthäkchen zu kreisen. Doch was können Eltern gegen dieses Gefühl der Benachteiligung tun?

Kleiner Altersunterschied, hoher Zoff-Faktor

Familienforscher haben herausgefunden, dass sich Geschwister umso häufiger streiten, je kürzer sie nacheinander geboren sind. Entscheidend seien der Altersabstand und die Geschlechterreihenfolge, erläutert Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. "Bei Kindern, die keine vier Jahre auseinander sind, kracht es häufiger als bei einem größeren Altersabstand." Auch bei gleichgeschlechtlichen Geschwistern gebe es öfter Stunk. In beiden Fällen sei die Rivalität größer, nennt Alt als Grund.

Bei einem größeren Altersabstand werde etwa der ältere Bruder vom jüngeren nicht als Konkurrent, sondern oft als Vorbild empfunden, den man noch eher als die Eltern in vielen Dingen um Rat fragen kann. "Weniger dramatisch" sei der Zoff außerdem, wenn das ältere Geschwisterkind ein Mädchen ist. Mädchen seien sozial kompetenter und gingen daher anders mit der Konkurrenzsituation in der Familie um.

Nur noch Augen für das Nesthäkchen

Denn oft ist das, was Familienforscher "Prinzensturz" nennen, der Auslöser für den ganzen Ärger: Wenn Eltern ein zweites Kind bekommen, verliere das erstgeborene sein Alleinstellungsmerkmal in der Familie, erklärt Alt. Es ist plötzlich nicht mehr das einzige Kind, reagiert daher mit Eifersucht und Vernachlässigungsgefühlen. Ein bisschen sei da auch was dran, sagt Alt. Zwar behandelten die Eltern ihr älteres Kind nicht plötzlich mit Absicht schlechter, aber eben anders: "Es gibt tatsächlich beobachtbare Unterschiede im Verhalten der Eltern", sagt Alt. Sie gehen anders mit dem älteren Kind um, verlangten von ihm eine gewisse Verantwortung und seien viel aufmerksamer gegenüber dem Baby.

"Die Dynamik verändert sich vollkommen", beschreibt Andreas Engel, stellvertretender Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), die neue Situation in der Familie. Das erste Kind müsse die Aufmerksamkeit nun nicht nur teilen, sondern gerate im Vergleich zum Baby meist sogar erst einmal ins Hintertreffen. Das ist mit einem zu versorgenden Neugeborenen natürlich oft gar nicht anders machbar, für Kinder aber nicht nachvollziehbar. "Ihre Einsicht fehlt", erläutert Christian Alt. "Sie reagieren emotional und mit gekränkter Eitelkeit. Sie wollen, dass alles wieder so wie früher ist." Und mit unvermittelt abverlangten neuen Rollen - etwa als älterer auf den jüngeren Bruder aufzupassen - seien Kinder schlicht überfordert.

Erstgeborene müssen sich Vieles erst erkämpfen

Eine Rolle bei der Ungleichbehandlung spielten auch die "situativen Rahmenbedingungen", in denen sich die Eltern befinden, sagt Professor Martin Schweer vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Vechta. "Der Umgang mit dem ersten Kind ist logischerweise mit ganz anderen Unsicherheiten verbunden als beispielsweise der Umgang mit dem dritten Kind. Viele Ängste und Sorgen haben sich bereits als unnötig erwiesen, manche Erziehungsstrategien als nicht zielführend herausgestellt." Erstgeborene werden daher laut Schweer oft besonders behütet und müssten sich viele kleine Freiheiten erst hart erkämpfen, die bei ihren Geschwistern später ganz selbstverständlich gewährt werden.

Jahrelanger Konkurrenzkampf

Überhaupt spielen die Eltern für die Ausprägung von Rivalität zwischen Geschwistern eine zentrale Rolle, bestätigt Professor Hartmut Kasten in seinem Buch "Geschwister". "Ihre Haltung und innere Einstellung den heranwachsenden Kindern gegenüber ist ursächlich daran beteiligt, wenn zwischen den Geschwistern immer wieder Neid und Eifersucht und damit verbundenes Konkurrenzverhalten zu registrieren ist." Ab der Geburt des zweiten Kindes zieht sich der Konkurrenzkampf oft über Jahre hin. Er lässt laut Kasten erst nach, wenn die Jugendlichen das Elternhaus verlassen haben und beginnen, eigene Wege zu gehen.

Der gefühlten Vernachlässigung entgegenwirken

Wenn Eltern rechtzeitig gegensteuern, prägt sich die Eifersucht des Erstgeborenen womöglich nicht so sehr aus, meint Kasten. Hilfreich sei, wenn sie sich intensiver dem älteren Kind zuwenden. Dies könne zum Beispiel schon dadurch geschehen, dass ein Elternteil hin und wieder etwas mit dem sich vernachlässigt fühlenden älteren Geschwisterteil allein unternimmt. Auch Andreas Engel empfiehlt Eltern, dem ersten Kind bewusst mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Gut funktioniere zum Beispiel, das ältere Kind in die Babypflege mit einzubeziehen. "Wichtig ist, Verständnis zu signalisieren", erläutert der Diplom Psychologe.

Doch auch wenn Eltern auf das Geschwisterverhältnis ihrer Kinder Einfluss nehmen können: eine gewisse Rivalität ist normal. So manchen Streit können und sollten Geschwister durchaus untereinander ausfechten und auch selbst wieder aus der Welt schaffen. Wenn ein Zoff zu weit geht und die Eltern eingreifen und Position beziehen müssen, sei es wichtig, so Alt, wenn sie ihren Kindern dann erklärten, warum ein bestimmtes Verhalten nicht toleriert wird und warum der eine und nicht der andere Recht bekommt. "Konflikte entstehen, wenn in Familien nicht über eine Lösung verhandelt wird", erläutert Alt. Wenn zum Beispiel nach Rollenklischees gelebt und Hilfe bei der Hausarbeit nur dem Mädchen abverlangt wird, während der Junge immer davon verschont bleibt - oder generell in einer Familie immer die Jungs beziehungsweise immer die Mädchen bevorzugt werden.

Eltern sollten sich klarmachen, dass Kinder erst lernen müssen, mit der neuen Situation umzugehen, einen Bruder oder eine Schwester zu haben. "Das ist oft mit Frustration verbunden", so Alt. Hilfreich ist daher, dem älteren Kind die positiven Aspekte der neuen Rolle deutlich zu machen - zu betonen, was es als Großer schon alles kann. "Die neue Rolle ist ja nicht nur negativ zu sehen."

In der Pubertät schwächt sich die Rivalität oft ab

Einige Jahre müssten Eltern regelmäßigen Geschwisterzoff im schlimmsten Fall aushalten, dann erledige er sich häufig von selbst. Im Alter von drei bis zwölf Jahren sei Streit häufig zu beobachten. "Man kann feststellen, dass er deutlich nachlässt, wenn sich Kinder zu den Peers hinwenden", sagt Experte Alt und erklärt, ab einem Alter von etwa zwölf Jahren finde eine "externe Fokussierung" statt, bei der die gleichaltrigen Freunde außerhalb der Familie für die eigene Orientierung viel wichtiger werden als die eigenen Geschwister und oft sogar als die Eltern.

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