Wenn binationale Elternpaare sich trennen Die Angst vor Kindesentführungen ist groß
Für Kinder, deren Eltern aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, ist "Multi-Kulti" Alltag: Sie wachsen mehrsprachig auf und sind in zwei Kulturen beziehungsweise Religionen zu Hause. Dieses multiethnische Familienleben kann jedoch zu einer besonderen Herausforderung werden, wenn die Partnerschaft der Eltern zerbricht und ein Elternteil in seine Heimat zurückkehren möchte. Welche sorgerechtlichen Probleme daraus entstehen können, erklärt eine Expertin.
Die Zahl binationaler Paare steigt seit Jahren stetig an. Im Zuge der Globalisierung, der Freizügigkeit innerhalb der EU, der Migration aus Drittländern und der zunehmenden Mobilität wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln zueinanderfinden. So war laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2012 jede achte Eheschließung eine binationale. Jedes fünfte Kind entstammte einer Beziehung mit mindestens einem ausländischen Elternteil.
Gemeinsames Sorgerecht ist die Regel
Trennt sich ein binationales Paar mit gemeinsamem Nachwuchs und Wohnsitz in Deutschland unterliegt es dem geltenden Sorgerecht, das die meisten Eltern für gewöhnlich gemeinsam behalten. Das schließt auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht ein.
Vorurteil: Häufige Kindesentführungen durch Väter aus islamischen Ländern
Doch gerade hier kann es zu Komplikationen und zum Streit um den gemeinsamen Nachwuchs kommen, wenn etwa ein Elternteil zurück in seine Heimat gehen möchte. Vor allem die Angst - insbesondere von Müttern - vor einer Kindesentführung sei in solchen Situationen ziemlich groß, weiß Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) in Frankfurt aus zahlreichen Anfragen und Beratungsgesprächen. Besonders im Fokus stünden dabei Beziehungen, bei denen der Mann aus einem islamisch geprägten Land stamme.
"Die weit verbreitete Ansicht, dass es vor allem muslimische Väter sind, die ihre Kinder entführen, ist falsch", stellt die Expertin klar. "Das ist nicht an der Tagesordnung und hierzulande ein Vorurteil, das auch immer wieder durch die Berichterstattung über aufsehenerregende und tragische Einzelfälle angefeuert wird."
In Wirklichkeit, erklärt Stöcker-Zafari, seien es in achtzig Prozent aller Fälle die Frauen, die ihr Kind dem Vater entzögen und aus seinem vertrauten Umfeld rissen. Dies sei in der Vergangenheit besonders häufig in den USA vorgekommen, wenn etwa deutsche Mütter, die mit ihrem amerikanischen Mann in die Vereinigten Staaten umgesiedelt waren, nach ihrer gescheiteren Beziehung das Land wieder verließen und ohne Zustimmung des Vaters ihr Kind widerrechtlich mit zurück nach Deutschland genommen hätten.
Diese Initiativen helfen bei Familienkonflikten mit Auslandsbezug
Insgesamt werden jährlich schätzungsweise mehrere hundert Kinder von einem Elternteil ins Ausland beziehungsweise vom Ausland nach Deutschland entführt oder aus einem Urlaub nicht zurückgebracht. Doch eine genaue Statistik gibt es nicht, so die Angaben des Internationalen Sozialen Dienstes (ISD), der ebenfalls Betroffene beratend unterstützt und mit Partnerorganisationen in hundert Ländern zusammenarbeitet. Insbesondere die Zentrale Anlaufstelle für grenzüberschreitende Kindschaftskonflikte (ZAnK) des ISD kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung um Familienkonflikte mit Auslandsbezug.
Hier werden alle Fälle erfasst, auch diejenigen, die beim iaf in Frankfurt gemeldet werden. Besonders frequentiert ist die Telefonhotline der ZAnK, bei der laut ISD im Jahr 2013 insgesamt knapp 700 Anrufe zu grenzüberschreitenden Sorge- und Umgangsrechtfragen eingingen. Gut die Hälfte davon drehte sich um widerrechtliche Kindesmitnahmen.
Koordinierte Amtshilfe in HKÜ-Staaten
Vereinfacht wird die Rückführung eines von einem Elternteil entführten Kindes durch das Haager Übereinkommen (HKÜ), das derzeit von 93 Ländern umgesetzt wird - darunter vor allem die westlichen Industriestaaten und Länder Lateinamerikas. Nicht dabei sind viele afrikanische Länder und die meisten islamisch geprägten Staaten.
Eine Schlüsselrolle bei der rechtlichen Durchsetzung des Abkommens übernimmt die sogenannte Zentrale Behörde, die es in jedem HKÜ-Land gibt. Diese koordinierte Amtshilfe läuft dann wie folgt ab: Zunächst muss der Elternteil, der sein Kind zurückholen will, innerhalb von zwölf Monaten einen Antrag bei der Zentralbehörde desjenigen Staates stellen, in dem vorher der Lebensmittelpunkt der Familie lag. Diese Behörde kooperiert dann mit der Partnerbehörde des Landes, wohin das Kind entführt wurde. Diese ermittelt den Aufenthaltsort und fordert die unverzügliche Rückführung des Kindes.
Ansonsten wird dieses Recht gerichtlich beziehungsweise mit polizeilicher Unterstützung durchgesetzt. "Im Zuge solcher Auseinandersetzungen kommt es auch vor, dass der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, versucht das alleinige Sorgerecht gerichtlich zu erwirken. Doch das ist gemäß des HKÜ nur in dem Land möglich, wo die Familie vorher lebte und ihren Lebensmittelpunkt hatte. Beim Beispiel der deutschen Mutter, die ihr Kind aus den USA mitgenommen hat, würde dies ihre Rückkehr in die Staaten zwingend nötig machen", so die Expertin des iaf.
Wenn keine rechtliche Handhabe besteht
Wesentlich problematischer sind die Voraussetzungen, wenn ein Kind in ein Nicht-HKÜ-Land entführt wird, etwa wenn ein Vater sein Kind nach einem gemeinsamen Urlaub in seinem Heimatland Tunesien nicht zurück nach Deutschland bringt, wo die Familie bisher lebte. Unter solchen Umständen das Kind, das die Tunesier als tunesischen Staatsbürger ansähen, aus dem Land herauszuholen, sei nicht leicht, da man von Deutschland aus wenig ausrichten könne, erklärt Stöcker-Zafari.
Grundsätzlich bestehe bei solchen Fällen auch die Option, sich im Ausland an die jeweilige deutsche Botschaft zu wenden. Doch nicht selten verhielten sich die Verantwortlichen dort eher zurückhaltend, gibt die iaf-Mitarbeiterin zu bedenken, da sich die diplomatische Vertretung prinzipiell ungern in innerstaatliche Angelegenheiten einmische.
Beziehungskonflikte frühzeitig lösen
Damit es erst gar so weit kommt, sollte bei allen innerfamiliären Sorgerechtsstreitigkeiten immer das Kindeswohl im Vordergrund stehen, gleich ob es sich um deutsche oder binationale Familien handelte. Eine Eskalation und der Kampf um ein Kind stehen fast immer am Ende eines langen Beziehungskonfliktes, betont Stöcker-Zafari .
"Deshalb sollten Mütter und Väter frühzeitig versuchen, ihre Probleme gegebenenfalls auch mit Hilfe Dritter zu lösen und sie bei einer Trennung nicht auf dem Rücken ihres Nachwuchses auszutragen. Denn auch wenn die Partnerschaft nicht mehr funktioniert, Eltern bleiben man ja immer."
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