Gestörte Persönlichkeit Gabriele wurde von ihrer narzisstischen Mutter gequält und gedemütigt
Einen liebevoll gestalteten Kindergeburtstag gab es nie. Dafür den eigenen Hasen als Sonntagsbraten, serviert mit einem Grinsen. Gabriele Nicoleta ist die Tochter einer narzisstischen Mutter und Autorin einer Biografie zu diesem Thema: "Das Gift der Narzisse". Sie macht auf ein Leid von Kindern aufmerksam, das oft verborgen bleibt.
Stellt man eine Narzisse mit anderen Blumen in eine Vase, lässt deren Gift sie verwelken. Narzisstische Mütter vergiften die Seelen ihrer Kinder - meist so subtil, dass ihr Umfeld ihr Vorgehen nicht durchschaut. "Eine Mutter, die ihrem Kind absichtlich schadet, will sich keiner vorstellen", fasst es Gabriele Nicoleta zusammen. Solche Menschen sind psychisch krank - mit gravierenden Folgen für ihre Kinder.
Die Kinder haben dauernd Schuldgefühle
Narzisstische Mütter haben eine reine Fassade. Kritik tarnen sie als Sorge, mit Vergleichen setzen sie ihre Kinder ganz unauffällig herab, und Grausamkeiten äußern sie nur dann offen, wenn es kein anderer mitbekommt. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, vermitteln sie ihren Kindern nur durch den Klang der Stimme, ihr Auftreten oder Blicke, was ihnen blühen wird. Die Folge sind Angst und das dauernde Gefühl des Kindes, im Unrecht zu sein, schuld zu sein, schlecht zu sein.
"Deine Hände sind so heiß wie die Hölle"
"Diese Frauen haben den Zwang, ihre Kinder so zu behandeln. Ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung muss sich ständig beweisen, dass andere weniger wert sind. Und das schwächste Glied in der Kette ist das eigene Kind", weiß Gabriele heute. Im Gespräch mit t-online.de erinnert sie sich: "Ich war immer das schwarze Schaf. Liebe habe ich von meiner Mutter nie erfahren. Sie wollte mich nicht einmal an die Hand nehmen, sagte mir immer, meine Hände seien so heiß wie die Hölle, aus der ich käme."
Das goldene Kind und der Sündenbock
Gabriele Nicoleta hat viele Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass nicht sie das Problem ist, sondern die Mutter. Tausendmal hörte die heute Fünfzigjährige in ihrer Kindheit, dass sie böse und schlecht, egoistisch, gemein und verlogen sei, dass sie es nicht wert sei, geliebt zu werden. Wohingegen ihr Bruder Tony die Rolle des Engels hatte. Die Einteilung der Kinder in Gut und Schlecht ist typisch für Familien mit narzisstischen Müttern. Die Mutter projiziert so unbewusst ihre eigenen Persönlichkeitsanteile auf die Kinder.
Früher beneidete Gabriele ihren Bruder. Sie wäre gerne nur einmal von der Mutter auch so liebevoll angesehen worden, hätte nur einmal auch auf ihrem Schoß sitzen wollen. Aber später erkannte sie, dass Tony es nicht einfacher hatte als sie: "Er hat mir dann nur noch leid getan. Denn das sogenannte 'goldene Kind' muss den Wünschen der Mutter folgen, ihre Lügen bestätigen. Macht es das nicht, kehrt sich die Sache schnell ins Gegenteil." Und was das bedeutet, können die bevorzugten Kinder täglich an ihren Sündenbock-Geschwistern beobachten.
"Wie eine Spinne, die im Netz lauert"
Gabriele hat Demütigungen erlebt, die ihr Leben prägen. Als ihr Mann Christian in einem Artikel auf das Phänomen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung stieß, spürte sie ein Gefühlt von Befreiung - aber auch Enttäuschung, weil es nie zu einer Versöhnung kommen kann. Von ihrer Mutter keine Einsicht erwarten zu können, sei wie ein Schlag ins Gesicht.
Die Autorin vergleicht ihre narzisstische Mutter immer wieder mit einer "Spinne, die im Netz lauert". In diesem Netz sind nicht nur sie und ihr Bruder, sondern auch andere Familienangehörige gefangen: Der Vater, der seinen Kummer in Alkohol ertränkt und sich irgendwann auf grauenvolle Weise umbringt. Die Großmutter, die ihre Tochter durchschaut, aber nichts unternehmen kann.
Die Oma sorgt dafür, dass, Gabrieles Seele auch mal Aufwind bekommt. Sie war eine Stütze in Gabrieles Leben, ebenso die Tante. Bei ihr und ihrem Mann konnte sie sich fühlen wie ein Kind mit einer normalen Kindheit. "Wie oft habe ich davon geträumt, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich ihre Tochter hätte sein können."
Kinder narzisstischer Eltern lernen nicht, was Liebe ist
Heute ist Gabriele überzeugt davon, dass es die liebevolle Saat jener Menschen war, die in ihr keimen konnte, als sie selbst Mutter wurde. In ihrem Buch schreibt sie über Ihre Gedanken, als sie erfuhr, dass sie schwanger sei: "Nie würde ich mein Kind auch nur einen Tag so behandeln, wie meine Mutter mich behandelt hat und noch immer behandelte. Das schwor ich mir."
Deswegen achtete sie bei ihren drei Kindern akribisch darauf, das Gegenteil von dem zu machen, was ihre eigene Mutter getan hätte. "Ich habe meinen Kindern immer meine ganze Liebe gegeben. Ich wollte, dass sie wissen, dass sie mir vertrauen können, dass ich sie in ihren Gefühlen ernst nehme, dass ich sie liebe." Trotzdem war sie sich viele Jahre nicht sicher, ob das, was sie von ihren beiden Söhnen zurückbekam, wirklich Liebe war. Die Vorstellung, dass jemand sie lieben könnte, war für sie absurd.
Erst durch ihre Tochter öffneten sich die Schleusen: "Es liegt sicher daran, dass Jessi ein Mädchen ist. Ich erkenne mich in ihr wieder und es tut mir so gut, wenn sie strahlt. Das gibt mir ein Stück Kindheit zurück."
Gabriele ist es gelungen, sich von den Mustern der Mutter zu lösen. Ein schwerer und schmerzhafter Prozess. Denn selbst über ihren Tod hinaus hat die Mutter sie noch auf perfide Art gedemütigt. "Aber ich will nicht mit Hass und Wut leben, das raubt mir die Energie", sagt sie.
Schätzungsweise vier Prozent der Menschen betroffen
Wie viele Menschen von einer narzisstischen Störung betroffen sind, lässt sich schwer schätzen. Laut Gabriele Nicoleta halten Fachleute etwa vier Prozent für realistisch. "Eine sehr schwierige Situation", meint ihr Mann Christian, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt, um seiner Frau zu helfen."Man kann eigentlich nur den betroffenen Kindern klar machen, dass man mitbekommen hat, was sie erleben. Damit sie wissen, an wen sie sich in der Not wenden können." Jemand, der ihnen glauben wird.
Buchtipp: Gabriele Nicoleta, "Das Gift der Narzisse", Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, ISBN 978-3-86265-535-9