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HomeLebenKolumne - Bob Blume

Schleswig-Holstein streicht Fehlerquotienten: Lehrer klärt auf


Empörung nach Rechtschreib-Vorstoß
Eine völlig absurde Debatte

MeinungVon Bob Blume

Aktualisiert am 17.04.2024Lesedauer: 3 Min.
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Karin Prien (CDU): Schleswig-Holsteins Bildungsministerin versucht, die Gemüter zu beschwichtigen. (Quelle: IMAGO/Jürgen Heinrich/imago)

Im nächsten Schuljahr schafft Schleswig-Holstein den sogenannten Fehlerquotienten ab. Lehrer Bob Blume hat dazu eine überraschende Meinung.

In Schleswig-Holstein wird im kommenden Schuljahr der sogenannte Fehlerquotient abgeschafft. Die Bewertung der Rechtschreibung geht dabei weiterhin in die Note ein. Die Reaktionen darauf haben aber eine Debatte ausgelöst, in der sich die Befürworter eines Quotienten nicht nur als ewiggestrig, sondern auch als weitgehend ahnungslos darüber präsentieren, was Bildung im 21. Jahrhundert ausmachen sollte.

Bob Blume ist Lehrer und Autor.
Bob Blume ist Lehrer und Autor. (Quelle: privat)

Zur Person

Bob Blume ist Lehrer, Blogger und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Twitter und auf Instagram, wo ihm mehr als 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist im Handel erhältlich.
Hier geht's zu Blumes Instagram-Auftritt.

Bevor ich mich in dieser Kolumne mit dem sogenannten Fehlerquotienten beschäftigte, muss ich zunächst mein tiefes Bedauern ausdrücken: In Deutschland gibt es keine Debatte darüber, dass 50.000 Kinder und Jugendliche keinen Abschluss machen. Es gibt keine Debatte darüber, dass jetzt schon klar ist, dass KI das Bildungssystem so fundamental verändern wird, wie wir es uns nicht mal vorstellen können. Und es gibt keine Debatte darüber, dass Demokratieerziehung an deutschen Schulen ein Nischendasein erlebt.

Wenn hingegen der sogenannte Fehlerquotient angetastet wird, erhitzen sich plötzlich die Gemüter. Da schäumt dann ein Unternehmer vom Verfall der Leistungsfähigkeit. Da wird davon schwadroniert, dass den Kindern die Zukunft verbaut wird. Das ist Unsinn.

Rechtschreibung bleibt bewertungsrelevant

Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass Rechtschreibung auch weiterhin in Leistungsüberprüfungen eine Rolle spielt. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) erklärte dazu, dass "Rechtschreibung und Zeichensetzung weiterhin wichtiger Bestandteil der Note" bleibe. Als sei damit der Untergang des Abendlandes doch noch gerettet.

Was ist der Fehlerquotient?

Um die Rechtschreibung eines Schülers beurteilen zu können, wurde in Schleswig-Holstein bislang der Fehlerquotient errechnet. Dazu wurde das Verhältnis zwischen geschriebenen Wörtern und Fehlern errechnet. So konnte im Deutschabitur ein Schüler mit einem Fehler auf 149 Wörtern höchstens die Note 2 bekommen. In anderen Altersstufen galten andere Fehlergrenzen. Künftig soll dieses quantitative Vorgehen wegfallen. Stattdessen soll die Rechtschreibung qualitativ beurteilt werden. Zurzeit erstellt das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein dazu einen Analysebogen, den die Lehrer zur Beurteilung der Rechtschreibung benutzen sollen.

In Wirklichkeit soll der Fehlerquotient Objektivität suggerieren – tut es aber nicht. Genauso wie Schulnoten immer auch subjektiv geprägt sind. Denn weder muss ein Text gut sein, wenn er formal richtig ist, noch muss er schlecht sein, wenn sich dort einige Fehler finden. Wer häufiger mit Journalisten und Schriftstellerinnen zu tun hat, weiß, welche Rolle Rechtschreibung dabei spielt. Im ersten Schritt geht es um den Inhalt. Erst im zweiten werden die Texte formal verbessert. Eine international erfolgreiche deutsche Schriftstellerin, mit der ich ab und an schreibe, verzichtet ganz auf Groß- und Kleinschreibung. Wer darin einen weiteren Beleg der Verschlechterung von Normen sieht, sollte zuerst seine eigenen Kommentare überprüfen.

ChatGPT hilft im Berufsalltag

Wie einfach könnte man es sich machen und die Möglichkeiten von automatisierter Rechtschreibkontrolle oder Künstlicher Intelligenz nutzen. Und wie naheliegend wäre es, den angemessenen Gebrauch in der Schule zu üben, statt schriftliche Leistungen wie vor 100 Jahren einzufordern. Vor einigen Wochen schrieb mir ein ehemaliger Schüler, um sich bei mir für den Unterricht zu bedanken. Dieser ist nun über 10 Jahre her. Er habe, so schrieb er, im Unterricht so einiges gelernt, das er jetzt als Chef eines kleinen Unternehmens anwenden könne. Seine Rechtschreibung sei immer noch nicht perfekt, aber wie ich an der Mail sehen könne, leiste ChatGPT ihm dabei wertvolle Dienste.

Wieso auch nicht?, möchte man fragen. Im Bildungssystem haben sich mit der Zeit schon immer die Lernschwerpunkte verschoben. Was Schüler können und wissen müssen, verändert sich so, wie sich auch die Welt verändert.

Bedeutung echter Sprachkompetenz

Dies ist kein Plädoyer gegen die Relevanz von Rechtschreibung und sprachlicher Ausdrucksfähigkeit. Im Gegenteil! So nützlich Künstliche Intelligenz und Rechtschreibprüfung für den formalen Ausdruck sein können, so wichtig erscheint in einer von generativen Standardausführungen geprägten Welt die Fähigkeit, sich differenziert und vielschichtig ausdrücken zu können.

Keiner will nur noch Texte lesen, die Künstliche Intelligenz nach Wahrscheinlichkeit zusammengewürfelt hat. Dies zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass alle hier lebenden Menschen zunächst Grundfähigkeiten in der deutschen Sprache erlernen und diese dann im besten Fall vertiefen und verbessern, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Schulen. Und ja, dafür spielt auch die korrekte Rechtschreibung eine Rolle. Das hat aber rein gar nichts damit zu tun, ob man nun eine willkürlich festgelegte Anzahl an erlaubten Fehlern mit einer ausgedachten Anzahl an Wörtern teilt und so tut, als käme dabei ein Ergebnis heraus, das irgendetwas aussagen würde.

Bildungsnostalgie blockiert Fortschritt

Der Debattenreflex ist vielmehr der Beweis, dass Bildung viel zu oft im nostalgischen Rückblick passiert. Bildung ist demnach alles, was man selbst irgendwann einmal gelernt oder geübt hat. Damit ist der Wegfall jeder noch so unsinnigen pädagogischen Tradition Ausdruck des Untergangs. Tatsächlich zeigen solche Äußerungen meist nur, wie wenig sich die Traditionalisten mit Bildung im 21. Jahrhundert beschäftigt haben. Und wie sehr das eine Debatte darüber verhindert, was wirklich wichtig, sinnvoll und notwendig ist.

All jene, die dennoch der Meinung sind, dass man Quotienten braucht, um die Substanz einer Äußerung zu messen, möchte ich freundlich darauf hinweisen, dass ich die kommenden Kommentare selbstverständlich nach eben jenem Modus überprüfen werde. Seien Sie sich also sicher, was und wie Sie Ihre Reaktion schreiben. Oder überprüfen Sie es zuvor mit KI und Rechtschreibprogramm und bestätigen Sie mit schlechtem Gewissen die These dieser Kolumne.

Verwendete Quellen
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