Das Wunder von Feldheim
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Feldheim versorgt sich selbst mit Strom β zu spottbilligen Preisen. Wie konnte das gelingen? Eine Reportage.
Michael Raschemann blickt verzΓΌckt ΓΌber den Acker. Die Sonne knallt, es ist weit ΓΌber 30 Grad heiΓ, die Luft ist drΓΌckend schwer. Aber in der HΓΆhe weht der Wind β und das ist fΓΌr Raschemann das Wichtigste, deswegen ist der Bauingenieur so beschwingt. Denn die Feldheimer WindrΓ€der in Brandenburg drehen sich.
Dutzende RotorblΓ€tter, mal in 100, mal in 150 Metern HΓΆhe, kreisen. Und ein anhaltender Pfeifton, der von jeder MΓΌhle ausgeht, zeigt an: Die Trafos arbeiten hart, verwandeln Gleich- in Wechselstrom, bereit fΓΌr die Einspeisung ins Feldheimer Netz.
Raschemann β kurze Hose, hochgekrempelte Γrmel β deutet auf eine kleinere WindmΓΌhle ganz am Rande des Felds. "Da drΓΌben haben wir angefangen", sagt er. Dort haben er und seine Frau Doreen das erste Windrad fΓΌr Feldheim gebaut. Das war im Jahr 1994, Raschemann war damals noch Student. Es war der Beginn einer kleinen Revolution.
Inzwischen sind es 56 MΓΌhlen, verteilt auf mehreren Quadratkilometern, die meisten stehen auf Feldern, manche ragen auch aus dem Wald hervor. Der gigantische Windpark dominiert schon aus weiter Entfernung die Landschaft.
Feldheim ist durch ihn zu einer Sensation geworden. Besucher aus aller Welt reisen wegen ihm in die Brandenburger Pampa. Vertreter aus Guatemala, den Philippinen, sogar die ehemalige First Lady Japans β sie alle waren schon hier, um zu erfahren: Wie hat Feldheim das geschafft?
Niedrige Strompreise seit mehr als zehn Jahren
Denn Feldheim ist autark. Das bedeutet: energieunabhΓ€ngig. Scheichs, Putin und der Ukraine-Krieg, die explodierenden Energiepreise und Horrorszenarien fΓΌr die nΓ€chsten Winter β sie alle kΓΆnnen den Feldheimern gestohlen bleiben. In dem nur 130 Einwohner starken Ort bleiben die Kosten fΓΌr Energie seit mehr als zehn Jahren stabil. Mit 12 Cent fΓΌr die Kilowattstunde Strom liegen sie noch dazu weit unter dem Preis von mehr als 30 Cent in Rest-Deutschland.
Denn Feldheim, die Energieoase, versorgt sich einfach selbst mit Strom und WΓ€rme. Und produziert sogar so viel Energie, dass es fΓΌr 55.000 weitere Haushalte genΓΌgen wΓΌrde.
Wie konnte das einer Gemeinde gelingen, die schon seit den 90er-Jahren pleite ist? Wo sich in vielen Orten Deutschlands doch BΓΌrgerprotest schneller formiert, als man das Wort "Windrad" buchstabieren kann? Und kann dieses Konzept in der drohenden Energiekrise vielleicht die Rettung fΓΌr Deutschland sein?
Protest? "Das war nie ein Problem"
Die Raschemanns lΓ€cheln, wenn man sie nach BΓΌrgerprotesten in Feldheim fragt. "Das war nie ein Problem", sagt Doreen Raschemann. NatΓΌrlich habe es Skeptiker gegeben: Die JΓ€ger fΓΌrchteten, ihr Wild werde vertrieben. Mancher Landwirt bangte um seine AnbauflΓ€chen. Das Gros der Anwohner aber sei nach nur drei Informationsveranstaltungen an Bord gewesen β obwohl jeder einzelne fΓΌr die Finanzierung in die eigene Tasche greifen musste. In einer Kommune, die kein Geld hat, kann eine Revolution eben nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen.
Insgesamt 3.000 Euro hat jeder Feldheimer in das Projekt investiert β dafΓΌr wurde er beteiligt an einem neugegrΓΌndeten Energie-Unternehmen unter Leitung der Raschemanns. Klar war von Anfang an, was die Feldheimer dafΓΌr erhalten: Versorgungssicherheit, UnabhΓ€ngigkeit von GroΓkonzernen, niedrige Preise und ein Mitspracherecht auch fΓΌr die Zukunft.
"Das ist das Besondere an diesem Ort: Die Feldheimer sind offen und ohne Vorurteile an die Sache rangegangen", sagt Raschemann. "Sie haben sich die Argumente angehΓΆrt, abgewogen und fΓΌr sich entschieden: Wir wollen das."
"Quid pro quo" war der SchlΓΌssel
Heute sind die Feldheimer glΓΌcklicher mit ihrer Entscheidung als je zuvor β auch jene, die besonders nah an der Anlage leben. Ingrid Neyes Haus steht am Rande von Feldheim, nur 600 Meter von den ersten WindrΓ€dern entfernt. Die 76-JΓ€hrige ΓΆffnet die TΓΌr in leichter Sommerbluse, im Hintergrund lΓ€uft der Fernseher. "Sehr zufrieden" sei sie mit dem dezentralen Energiekonzept. Gerade jetzt, wo die Preise ΓΌberall sonst stiegen. "Unsere Rechnungen bleiben niedrig."
Ob der Anblick der WindrΓ€der sie nicht stΓΆre? "Man hat sich daran gewΓΆhnt", sagt sie und zuckt mit den Achseln. "In anderen Orten fΓ€hrt eben die S-Bahn lang β und wir haben ja etwas davon."
"Wir haben ja etwas davon" β das ist der SchlΓΌssel, der die Feldheimer ΓΌberzeugte. Das sagen Neye, die Raschemanns, das bestΓ€tigt auch BΓΌrgermeister Michael Knape. Auch die grΓΆΓten Skeptiker sind durch dieses "Quid pro Quo"-Prinzip heute befriedet: Die Bauern kassieren Pacht fΓΌr die FlΓ€chen, auf denen die WindrΓ€der stehen und profitieren auf ihren energieintensiven HΓΆfen besonders von den gΓΌnstigen Preisen. "Sie verstehen sich jetzt eben als Land- und Energiewirte", sagt Raschemann. Auch das Wild habe sich rasch an die Anlage gewΓΆhnt. Die HochstΓ€nde der JΓ€ger stehen schon lange mitten im Windpark.
Mehr als eine Million Euro teuer
Neben dem Windpark besitzt Feldheim eine Hackschnitzelheizung, zwei groΓe Pufferspeicher, eine Biogas- und eine Power-to-Heat-Anlage. Rund 140.000 Euro haben die Feldheimer selbst bezahlt, 830.000 Euro haben sie an FΓΆrdermitteln eingesammelt.
Der Stromkonzern blockierte
So leicht die Feldheimer zu gewinnen waren, so kritisch beΓ€ugten das Land und die groΓen Energiekonzerne das Projekt. Zu gut weiΓ das nur Michael Knape. Der Mann mit den wachen blauen Augen ist seit 25 Jahren BΓΌrgermeister in der Gemeinde Treuenbrietzen, zu der Feldheim gehΓΆrt. Von Beginn an fΓΌhrte er mit den Raschemanns die Energierevolution auf dem Dorfe an.
Harte Γberzeugungsarbeit mussten die drei VorkΓ€mpfer auf Landesebene leisten. Denn die Vorbehalte waren groΓ: Eine bankrotte Kommune, die Anlagen im Wert von mehr als einer Million Euro anschaffen will? Knape und die Raschemanns versicherten: Wir kriegen das hin, mit den Einlagen der Feldheimer und Subventionen von Bund und EU. Das Land stellte ihnen schlieΓlich einen Blankoscheck aus: Macht, was ihr wollt β wenn ihr scheitert, geht das auf eure Kappe.
Knape ist dankbar fΓΌr diese Chance β und ΓΌberzeugt, dass UnabhΓ€ngigkeit im Energiesektor ohne mehr Mut zu Experimenten nicht zu schaffen ist. "Die Energiewende mit Erneuerbaren ist fΓΌr ganz Deutschland nur mit vielen, vielen dezentralen Projekten wie hier zu machen", sagt er. "Es gibt eben kein Riesen-Windrad, das ganz Deutschland versorgen kΓΆnnte." Politiker, findet Knape, mΓΌssten den BΓΌrgern dafΓΌr aber auch viel hΓ€ufiger mehr zutrauen. "Die sind nΓ€mlich oft viel schlauer, als sie denken."
In Feldheim setzte man sich mit vereinten KrΓ€ften auch gegen den groΓen Energiekonzern durch, der das Dorf zuvor versorgte. Der nΓ€mlich weigerte sich einfach, den Feldheimern das Strom- und WΓ€rmenetz fΓΌr ihre von Γl und Gas freie Energieversorgung zu ΓΌberlassen. Die Feldheimer pfiffen drauf. Sie buddelten kurzerhand das ganze Dorf um und verlegten neue Leitungen zu jedem Haus.
NΓ€chstes Vorhaben: eine autarke Stadt
Der Konzern, der die Feldheimer so hart abwatschte, bereute seine Entscheidung rasch: Nach ein paar Jahren meldete er sich β und wollte einsteigen, teilhaben am Erfolg, erzΓ€hlt BΓΌrgermeister Knape. Er lacht: "Da kann ich nur sagen: Gorbatschow!" Soll heiΓen: Wer zu spΓ€t kommt, den bestraft das Leben.
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Von der Buddelei ist in Feldheim schon lange nichts mehr zu sehen. Malerisch liegt der Ort da, kleine EinfamilienhΓ€user reihen sich aneinander wie auf einer Perlenkette. Im Zentrum des Dorfes steht nun das "Neue Energienforum", wo die Raschemanns, Knape und ehrenamtliche Mitstreiter Politikern, Presse und Schulklassen erklΓ€ren, wie Energie-UnabhΓ€ngigkeit gelingen kann.
Warum aber ist nicht ganz Treuenbrietzen autark, warum haben nicht lΓ€ngst Gemeinden in ganz Deutschland das Konzept importiert? Es komme ganz auf die Bewohner an, sagt Knape. Nicht ΓΌberall sei die Bereitschaft zu experimentieren so groΓ wie hier. Er findet das nicht dumm oder Γ€rgerlich. Der Wunsch der Gemeinde sei zu akzeptieren. "Wer Dinge erzwingen will, wird scheitern", ist sich der BΓΌrgermeister sicher.
Michael und Doreen Raschemann stimmen zu β und trΓ€umen doch schon wesentlich grΓΆΓer. Als nΓ€chstes Projekt, sagt der Bauingenieur, wollen sie gern eine Stadt autark machen. Feldheim, nur in groΓ. Nur der Ort fehlt ihnen noch, in dem die Unvereingenommenheit so groΓ ist wie in Feldheim.
- Eigene EindrΓΌcke und Beobachtungen in Feldheim