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Chef-Atomlobbyist über Lindners Forderung: "Diesen Traum darf niemand haben"


Chef-Atomlobbyist
"So weit würde ich in meinen dunkelsten Fantasien nicht gehen"

  • Annika Leister
InterviewVon Annika Leister

Aktualisiert am 06.08.2022Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
ESSENBACH, GERMANY - JULY 12: The Kernkraftwerk Isar nuclear power plant stands on July 12, 2022 near Essenbach, Germany. Germany's federal coalition government is considering letting Germany's remaining three nuclear power plants, including the Isar 2 reactor, which are supposed to shut down by the end of this year, to continue operating a short time longer in order to help bridge a possible energy shortfall this coming winter.Vergrößern des Bildes
Kernkraftwerk Isar 2: Der Meiler ist eines der drei letzten am Netz verbliebenen Akw in Deutschland. (Quelle: Lukas Barth/getty-images-bilder)

Kann uns Atomkraft aus der Energiekrise retten? Ralf Güldner erklärt Potenzial, Grenzen und warum er manche Forderungen der Politik gerade für absurd hält.

Die Nuklearkatastrophe von Fukushima brachte 2011 die Wende: Die Bundesregierung beschloss den Atomausstieg, Ende dieses Jahres sollen nun auch die letzten drei Meiler vom Netz gehen. Doch die Folgen von Putins Krieg in der Ukraine drohen Deutschland in eine tiefe Krise zu stürzen. Soll man die AKW also weiterlaufen lassen?

Ralf Güldner ist stellvertretender Vorsitzender des Kerntechnik Deutschland e.V., des wichtigsten Verbandes für Hersteller und Anwender von Atomkraft. Er erklärt hier, unter welchen Bedingungen eine Laufzeitverlängerung überhaupt Sinn ergibt – und was dafür nötig wäre.

t-online: Herr Güldner, ärgern oder freuen Sie sich eigentlich, wenn Sie auf die aktuelle Debatte um die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke blicken?

Ralf Güldner: Ich freue mich sicherlich nicht, weil der Hintergrund sehr ernst ist. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, aber auch die Bedrohung unserer Gesellschaft, zum Beispiel durch den Gasmangel – das sind keine Gründe zur Freude.

Über Jahre aber war die Atomkraft im politischen Betrieb verpönt, zuletzt hat sich nur die AfD noch für sie eingesetzt. Jetzt wollen die FDP und die Union sie auch zurück – und sogar Grünen-Wähler sind einem sogenannten Streckbetrieb einer Umfrage zufolge nicht mehr abgeneigt. Ist das Opportunismus?

Im Moment ist das Pragmatismus. Sogar jene, die jahrelang die Kernenergie bekämpft haben, sehen sich nun gezwungen, über Laufzeitverlängerungen nachzudenken. Ich wage aber nicht auf eine späte Einsicht zu hoffen.

Bis zu sechs Prozent des deutschen Stroms werden noch von Atomkraftwerken generiert, früher waren es mehr als 30 Prozent. Hart errungene Abkommen und jahrzehntelange Ausstiegspläne aus der Atomkraft müssten jetzt über den Haufen geworfen werden. Sind sechs Prozent das wert?

Das ist schwer zu beantworten. Man muss die gesamte Gemengelage sehen: Wir steuern voraussichtlich auf eine echte Mangelsituation beim Gas zu und müssen uns gut überlegen, wofür wir es noch einsetzen. Im Übrigen: Dass man die Gasverstromung komplett abstellen kann …

Wie FDP-Finanzminister Christian Lindner es zurzeit fordert…

… das ist ein Traum, den niemand ernsthaft haben darf. Gerade bei den Stadtwerken haben wir Gaskraftwerke, die eine wichtige Doppelfunktion erfüllen: Sie liefern im Winter Elektrizität und Wärme. Wenn wir die abschalten, verlieren wir beides. Das wird nicht funktionieren.

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Ein bisschen Gas im Strom wird also bleiben. Aber zurück zur Atomenergie: Kann sie überhaupt helfen?

Was uns von der Atomenergie geblieben ist, kann sicher nicht das Problem lösen. Aber sie kann einen Beitrag leisten, Entlastung schaffen – und das sollte man zumindest in die Berechnung miteinbeziehen. Es gilt dabei, sehr viele Faktoren zu beachten: den Klimaschutz, für den es sicher nicht das Beste wäre, wenn Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz gehen. Oder die hohe Last für Verbraucher und die Pflicht zur Solidarität mit unseren europäischen Nachbarn.

Eigentlich müssten die deutschen AKW Ende Dezember vom Netz. Im "Streckbetrieb", der derzeit diskutiert wird, können sie noch bis zu 80 Tage länger laufen, ihre Leistung muss dafür aber schon sehr viel früher gedrosselt werden. Sie generieren so insgesamt gar nicht mehr Energie, sondern liefern sie nur länger. Wie viel Sinn macht das überhaupt?

Die Netzbetreiber müssen beurteilen, ob es ihnen hilft, wenn wir die Leistung strecken. Bis März oder April könnte die Reaktivität der Brennelemente noch ausreichen, allerdings sinkt ihre Leistung. Der Beitrag, den die AKW zur Stromerzeugung liefern könnten, liegt dann deutlich unter fünf Prozent. Aber er könnte genau im möglicherweise kritischen Zeitraum kommen, wenn es kalt ist, wenn wir Wetterlagen mit wenig Wind und Sonne haben, wenn das Gas fehlt.

Sie klingen nicht begeistert.

Wenn man wirklich Zeit gewinnen will, dann sollte man über eine Nachladung mit frischen Brennelementen nachdenken. Dann können die Atomkraftwerke für zwei oder drei weitere Winter mit voller Kraft über die Krise hinweghelfen. Das ändert auch nichts am gesellschaftlichen Konsens in Deutschland, dass wir aus der Atomkraft aussteigen wollen.

Die FDP haben Sie da auf Ihrer Seite. Sie würde gerne neue Brennstäbe besorgen und die AKW-Laufzeit bis 2024 verlängern. Doch die Sorge vor neuen Abhängigkeiten ist groß und Russland auch bei Brennelementen ein großer Anbieter. Wo könnte Deutschland einkaufen?

Russland ist bei Weitem nicht der Hauptanbieter auf dem Markt. Die Brennelemente beziehen deutsche Kraftwerke in der Regel von der US-amerikanischen Firma Westinghaus oder dem französischen Unternehmen Framatome. Die haben Fabriken in Deutschland, in Frankreich und Schweden. Uran kommt aus den verschiedensten Ländern dieser Erde. Große Lieferanten sind Kanada und Australien. Wir sind in keiner Weise auf Russland angewiesen.

Wie lange dauert es, neue Brennelemente zu besorgen?

Optimistisch: 12 Monate. Realistisch: 15 Monate.

Wenn man unter so großem Zeitdruck einkauft, mit welchen Preisen muss man auf dem Markt dann rechnen?

Es wäre sicher teurer als bei einer normalen Beschaffung. Die Auswirkungen auf die Stromerzeugungskosten wären aber gering. Da macht der Brennstoff bei der Kernkraft nur einen kleinen Prozentsatz aus. Viel kostspieliger sind die Anlagen, die aber abgeschrieben sind, und das Personal. Das ist ein wichtiges Thema: Das qualifizierte Personal muss an Bord gehalten werden.

Selbst wenn die Bundesregierung jetzt sofort auf die Suche geht, würden Brennelemente also vermutlich erst im November 2023 kommen. Ein Streckbetrieb aber würde bereits im März oder April enden. Können die Meiler so lange einfach brach liegen?

Das wäre kein Problem. Die Anlagen könnten im Winter 2023/24 einfach mit neuen Elementen wieder ans Netz gehen.

Der Ausstieg aus der Atomkraft wurde nach der Katastrophe von Fukushima beschlossen. Nun zeigt der Ukraine-Krieg ganz neue Gefahren auf: Russland hat mehrfach Atomanlagen in der Ukraine besetzt und baut so eine enorme Drohkulisse auf. Die Atombehörde warnt vor einer Situation "außer Kontrolle". Ist es vor dem Hintergrund nicht besonders absurd, dass Deutschland jetzt zurück zur Atomkraft will?

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Dass die Russen in Deutschland Atomkraftwerke besetzen, ist ein absolutes Horrorszenario – soweit würde ich aber in meinen dunkelsten Fantasien nicht gehen. Unsere Anlagen sind sehr gut geschützt und erfüllen alle Kriterien, um Auswirkungen von außen Stand zu halten, zum Beispiel auch Flugzeugabstürzen.

Krieg, Terror und Naturkatastrophen sind nicht die einzigen Sicherheitsbedenken. Die deutschen Kernkraftwerke sind seit 13 Jahren keiner Sicherheitsüberprüfung mehr unterzogen worden. Eigentlich soll das alle zehn Jahre passieren, den letzten Termin 2019 aber hat man ausfallen lassen – sie sollten ja bald vom Netz. Wie sicher sind die Anlagen da noch?

Die periodische Sicherheitsüberprüfung alle zehn Jahre ist eine gesamtheitliche Analyse der Anlage. Die unterliegen während des Betriebs aber ständig irgendwelchen Prüfungen – durch uns, durch Revisionen, durch Behörden, Gutachter und so weiter. Kritische Anlagenteile werden immer wieder gesondert überprüft. Unsere Anlagen sind deswegen in einem hervorragenden Zustand, gut gewartet und instand gesetzt.

Bevor die Anlagen mit neuen Brennelementen ans Netz gehen, müsste aber die große Sicherheitsüberprüfung endlich gemacht werden. Aus den Ministerien heißt es: Das kann Jahre dauern.

Das kommt ganz darauf an, wie man sie organisiert und wie viel Personal man einsetzt. In den Stillstand, den wir nach einem Streckbetrieb und vor der Beladung mit neuen Brennelementen hätten, würde das auf jeden Fall reinpassen. Auch eventuell nötige kleinere Nachrüstungen könnten erledigt werden, zum Beispiel der Austausch von Ventilen oder Leiterplatten.

Konkreter, bitte: Wie schnell ist so eine Überprüfung also schaffbar?

In wenigen Wochen ist das machbar.

Gerade die Wartung und Instandhaltung sind aufwändig und sehr teuer. Nachbarland Frankreich setzt stark auf Atomstrom – und dort ist von 56 Meilern gerade die Hälfte nicht am Netz, weil sie gewartet werden muss.

Die Franzosen haben einen sehr hohen Anteil an Kernenergie im Netz. Sie hatten in den letzten Jahren Probleme, die Revisionen durchzuführen. Auch coronabedingt, weil nicht ausreichend Personal da war. Sie haben außerdem einige sehr große Nachrüstungen zu erledigen. Das war sicher nicht so geplant. Genau das aber befürchte ich für unsere Anlagen eben nicht. Die sind sehr gut in Schuss – und auch sehr viel jünger als viele Meiler in Frankreich.

Wolfram König, der Chef des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), lehnt eine Laufzeitverlängerung ab – die gesamtgesellschaftlichen Kosten seien zu hoch. Das größte Problem in dieser Rechnung: Trotz jahrzehntelanger Suche ist nach wie vor kein Endlager für den giftigen Atommüll gefunden.

Man muss dabei eines sehen: Wir haben Kernkraftwerksbetrieb in einigen Anlagen seit über 30 Jahren, wir hatten bis zu 30 Prozent Stromerzeugung am Netz. Das heißt: Wir haben bereits eine ganze Reihe abgebrannter Brennelemente, die in das Endlager entsorgt werden müssen. Wenn wir jetzt für die drei Anlagen noch einmal Brennelemente nachladen, dann sind das im Vergleich einige wenige zusätzliche Castoren. Ein kleines Add-On. Das ändert nichts an der grundsätzlichen Aufgabe: Wir brauchen ein Endlager für hochradioaktive Stoffe.

Die Aussichten sind da allerdings denkbar düster. König zweifelt sogar, dass das bis 2031 geschafft werden kann.

Trotz aller Transparenz des Verfahrens ist Widerstand der lokalen Bevölkerung zu erwarten. Ob wir bis 2031 eine definitive Endlager-Entscheidung haben, ist mehr eine gesellschaftspolitische Frage als eine technische.

Was halten Sie da von Aussagen wie der von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: Der hat kürzlich nochmals befunden, dass Bayern für ein Endlager ungeeignet sei.

Das ist platt und ärgerlich von Söder. Und das sage ich als Bayer. Kernkraft hat Bayerns Industrie weit nach vorne gebracht. Zeitweise hat sie 60 Prozent der Energie im Land geliefert. Zurzeit sind es noch 12 Prozent, mehr als im Bundesschnitt. Bayern muss sich den Konsequenzen, die jetzt aus einem Leben im Wohlstand erwachsen, stellen – wie auch der Rest Deutschlands. Und das gilt nicht erst seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Wir können nicht bei jedem Endlager, bei jeder Bahntrasse, bei jedem Windrad jahrelang massiven Widerstand bekämpfen. Das lähmt den Netzausbau, das lähmt Deutschland.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Ralf Güldner
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