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Weinbau: So profitieren deutsche Winzer von der Klimakrise


Zwischen Katastrophe und Chance
Wie deutsche Winzer von der Klimakrise profitieren


23.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Weinlese im Landkreis Ludwigsburg (Symbolbild): Nach Ansicht des Deutschen Weininstituts zählen die deutschen Winzer bisher noch zu den Gewinnern des Klimawandels.Vergrößern des Bildes
Weinlese im Landkreis Ludwigsburg (Symbolbild): Nach Ansicht des Deutschen Weininstituts zählen die deutschen Winzer bisher noch zu den Gewinnern des Klimawandels. (Quelle: Karsten Schmalz/imago-images-bilder)

Steigende Temperaturen und Wetterchaos bedrohen Weinregionen weltweit – auch in Deutschland. Doch der Temperaturanstieg macht hier gleichzeitig möglich, was lange undenkbar war.

Nase, Stirn und Wangen von Till Neumeister glühen. Er hat sich bei der Weinlese der vergangenen Wochen das eingefangen, was er bei seinen Trauben vermeiden will: Sonnenbrand. Dabei ist das noch eine der kleineren Herausforderungen, mit denen er als Weinbauleiter des sächsischen Staatsweingutes Schloss Wackerbarth umgehen muss.

Zu viel Sonne und hohe Temperaturen in der Wachstumszeit der Pflanzen, zu warme Winter gefolgt von spätem Frost und die zunehmende Gefahr von lokalen Starkregenfällen und Hagel – der Klimawandel macht es den deutschen Weinbauern schwer. Doch er birgt auch Chancen.

"Mit den Wetterbedingungen ist es inzwischen ein bisschen wie im Lotto", sagt Neumeister und knipst mit seiner Ernteschere vertrocknete Rieslingbeeren aus einer Weintraube. Man müsse jederzeit auf alles vorbereitet sein.

Nach dem Austrieb droht der Frost

Anfang April hieß das für ihn: Nachtschicht bei Minusgraden. Denn ohne manuell entzündete Frostschutzkerzen wäre das junge Grün der Reben in einigen Lagen des Weinguts erfroren. Auf 25 Hektar mussten Neumeister und sein Team kleine Weinbergfeuer entfachen, auf einer Fläche so groß wie 35 Fußballfelder.

Spätfröste im Frühjahr sind zwar keine neue Erscheinung – die warmen Winter und die entsprechend frühe Knospenbildung der Weinreben allerdings schon. In diesem Jahr kamen die meisten Weinbaugebiete in Deutschland einigermaßen glimpflich davon. In Frankreich, wo der Wein im April schon deutlich weiter ausgetrieben war, sorgten die arktischen Frühlingsnächte für eine "landwirtschaftliche Katastrophe", wie der französische Agrarminister Julien Denormandie es nannte. Dort zerstörte der Spätfrost in einigen Anbaugebieten bis zu 90 Prozent der diesjährigen Ernte.

"Natürlich sind das Folgen des Klimawandels", sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut beim Gedanken an den jüngsten und gleichzeitig zehnten zu warmen Winter in Folge. Die Fixpunkte des Weinjahres bestätigten die Erkenntnisse von Meteorologen und Klimaforschern.

Besonders reife Beeren in heißen Jahren

"Seit 1988 passiert der Austrieb immer öfter früher als im Durchschnitt, auch die Blüte und die Lese. Insgesamt haben wir seit Ende der 80er-Jahre schon einen Temperaturanstieg von über einem Grad." Für die Winzer sei die globale Erderwärmung daher schon deutlich länger Thema als für die Politik, so Büscher.

Allerdings nicht nur im Schlechten: wegen der wärmeren Witterung ist die Vollreife der Trauben längst kein Thema mehr. So waren 2018 und 2020, laut Deutschem Wetterdienst die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, durchaus "sehr gute Weinjahre", sagt Büscher. "Da mussten die Winzer teils sogar aufpassen, dass die Trauben nicht überreif wurden."

Insgesamt sieht der Experte die deutschen Weinbauern als Gewinner des Klimawandels; zumindest noch. "Die Einschätzung, ob die Vorteile oder Nachteile für unsere Weinbauern überwiegen, wird durch die zunehmenden Wetterextreme von Jahr zu Jahr schwieriger." Die wärmeren Temperaturen hätten außerdem neue Schädlinge in viele Anbauregionen eingeschleppt – krankheitsübertragende Zikaden, die bis dato viel weiter südlich zu Hause waren. Ein Hoffnungsschimmer angesichts der Erwärmung: das Potenzial für neue Rebsorten. Vor allem für rote.

Die Weinvielfalt wächst mit dem Klimawandel

Till Neumeister testet dieses Jahr gleich zwei davon. Neben der Neuzüchtung Pinotin, die besonders pilzresistent ist und so besser mit wechselhaftem Wetter klarkommen soll, wachsen seit Mai versuchsweise auch Gamay-Stöcke auf Schloss Wackerbarth.

„Wir wollen die Chance der wärmeren Temperaturen nutzen, um diese alte französische Rebsorte in unseren Weinbergen anzubauen“, so Neumeister. Schon im Mittelalter habe es die französischen Reben zeitweise im Elbtal gegeben. Jetzt seien sie zurück. Er erhofft sich davon „sächsische Spitzenrotweine, wie wir sie heute aus dem Beaujolaise oder Burgund kennen.“ 80.000 Euro ist dem Staatsweingut der Versuch mit den zwei neuen Rebsorten wert.

Für Weinexperte Ernst Büscher ist das kein Wunder: "Gerade Sachsen ist eine Region, die beim Weinbau noch mit am meisten vom Klimawandel profitieren kann." Lange galt die sächsische Weinstraße als eines der nördlichsten Anbaugebiete der Welt.

In ihrem kontinental-kühlen Klima fühlten sich bisher vor allem Sorten wie Riesling, Grauburgunder und Gewürztraminer wohl. Doch mit den steigenden Temperaturen wachsen die Möglichkeiten, besonders für weitere hochqualitatve Rotweine.

Durch die wärmebedingte Verschiebung der Weinbauzonen bis zum Jahr 2030 dürften nicht nur weite Teile Niedersachsens, Nordhessens, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts zu Weinregionen werden. Auch die potenzielle Vielfalt der Rebsorten dürfte zunehmen. Schon in wenigen Jahren könnten südlich von Berlin so bereits die roten Sorten Pinot Noir und Cabernet Franc gedeihen, prognostiziert auch das Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

Merlot aus der Pfalz und Rheinhessen

Wem das zu weit hergeholt scheint, den verweist Ernst Büscher darauf, dass einige experimentierfreudige deutsche Winzer sich bereits um spanische Tempranillo-Weinstöcke kümmern. Richtig gut geht es hier laut Büscher auch jetzt schon den ursprünglich südfranzösischen Rotweinreben Cabernet Sauvignon und Merlot, von denen je 450 Hektar und 790 Hektar in Deutschland wachsen.

Erst seit 1997 darf Merlot überhaupt in der Bundesrepublik angebaut werden. Die meisten Flächen, auf denen er wächst, liegen in der Pfalz und in Rheinhessen. "Das sind durchaus spannende Weine, die auch international bereits konkurrenzfähig sind", so Weinexperte Büscher.

Bis es auf Schloss Wackerbarth zum Zwiebelkuchen auch ein Glas Gamay Noir gibt, wird aber noch etwas Zeit vergehen. Drei Jahre dauert es, bis ein neu aufgerebter Weinstock genug Beeren produziert, dass sich die Ernte lohnt. "Mindestens drei Jahre!", schiebt Till Neumeister hinterher. Er will sich bei diesem Versuch lieber noch nicht so genau festlegen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Weinbauleiter Till Neumeister auf Schloss Wackerbarth
  • Gespräch mit Ernst Büscher, Pressesprecher des Deutschen Weininstituts
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