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"Wir machen Deutschland kaputt"
Die Bevölkerung schrumpft, doch die BetonwĂŒste wuchert weiter: Aus Wiesen und WĂ€ldern werden Neubaugebiete und Logistikzentren. Jörg-Andreas KrĂŒger, PrĂ€sident des Nabu, warnt vor Problemen.
Wenn die Bagger anrollen, ist es lĂ€ngst zu spĂ€t. Noch immer werden riesige NaturflĂ€chen in Deutschland trockengelegt, zugeschĂŒttet und zu Bauland gemacht.
Tag fĂŒr Tag geht dadurch eine FlĂ€che verloren, die so groĂ ist, dass die Hektarzahl nicht ausreicht, um das AusmaĂ des Schadens zu begreifen: 70 FuĂballfelder werden tĂ€glich zur BetonwĂŒste. Das betrifft nicht nur Ackerland, sondern vielfach auch besonders schĂŒtzenswerte Gebiete, in denen gefĂ€hrdete Tier- und Pflanzenarten Zuflucht finden.
Noch knapp 30 Jahre lang soll Natur zu Beton werden
Schon im vergangenen Jahr wollte die Bundesregierung den "FlĂ€chenfraĂ" deshalb auf 30 Hektar pro Tag begrenzen. Das entsprĂ€che immerhin noch rund 40 FuĂballfeldern.
Inzwischen wurde das Ziel verschoben; die Reduzierung ist nun fĂŒr 2030 angepeilt. Ganz will man den FlĂ€chenverbrauch in der Bundesrepublik aber weiterhin erst ab dem Jahr 2050 stoppen.
Als PrĂ€sident der gröĂten deutschen Umweltschutzorganisation Nabu bereitet das Jörg-Andreas KrĂŒger groĂe Sorge. Im Interview mit t-online erzĂ€hlt er, wieso der Negativpreis des Nabu dieses Jahr an ein Projekt in Norddeutschland geht und weshalb der Bauboom auch eine Gefahr fĂŒr den Menschen ist.
t-online: Herr KrĂŒger, Sie sind kurz nach Weihnachten mit einem Dinosaurier im Koffer nach Emden gereist. Gehört das zur Stellenbeschreibung des Nabu-PrĂ€sidenten?
Jörg-Andreas KrĂŒger: Das war immerhin der Dino des Jahres! Wir verleihen diesen Negativpreis seit 1993 an Projekte, die schwere Folgen fĂŒr die Umwelt haben. FĂŒr 2021 hat Emden die fast drei Kilo schwere Auszeichnung besonders verdient: ein kleiner Umweltsaurier fĂŒr eine groĂe Umweltsauerei.
Was ist denn in Ostfriesland los?
Die Stadt Emden hat ein groĂes Neubaugebiet ausgewiesen, obwohl die Einwohnerzahl sich seit Jahrzehnten kaum Ă€ndert. Sie geht sogar leicht zurĂŒck.
Der BĂŒrgermeister versucht also, mit Speck MĂ€use zu fangen: MĂŒhevoll will er so neue Familien anlocken, die sonst nicht kommen wĂŒrden. Und das alles zulasten von Natur und Landschaft.
Ohne in die Natur einzugreifen, lÀsst sich aber nichts bauen.
Sicher, allerdings ist das Baugebiet in Emden-Conrebbersweg dafĂŒr besonders schlecht geeignet. Einerseits liegt es einen Meter unter dem Meeresspiegel, was einen Riesenaufwand fĂŒr den Hochwasserschutz bedeutet. Andererseits sind dort viele stark gefĂ€hrdete Vogel- und Pflanzenarten zu Hause. Statt aus der FlĂ€che ein Naturschutzgebiet zu machen, werden jetzt auf zwei Dritteln des Bodens HĂ€user gestellt, die niemand wirklich braucht.
Wie viel schlauer geht es im Rest der Bundesrepublik zu?
Gerade das ist das Problem: Emden ist kein Einzelfall. Fast jede Kommune plant weitere FlĂ€chenversiegelung, ĂŒberall in Deutschland wuchern die Siedlungen. Dazu kommen die nötigen Verkehrswege und die Infrastruktur fĂŒr Energie, Wasser und Abwasser. TĂ€glich verschwinden in Deutschland 50 Hektar Natur, indem FlĂ€chen zubetoniert, asphaltiert oder gepflastert werden.
Wie lange kann das so weitergehen?
Eigentlich schon gestern nicht mehr. Wir mĂŒssen einfach anerkennen: Die FlĂ€che ist begrenzt. Deutschland bekommt Platzprobleme, irgendwann ist das Land dicht.
Das kann man sich kaum vorstellen â vor allem mit Blick auf dĂŒnn besiedelte Landstriche.
Sicher, in Mecklenburg-Vorpommern wird man wohl auch in drei Jahrzehnten noch freie FlĂ€che finden. Aber beispielsweise in Baden-WĂŒrttemberg, Rheinland-Pfalz und NRW wird es ganz schön eng. Wir mĂŒssen den FlĂ€chenfraĂ stoppen.
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Was passiert, wenn das nicht gelingt, wenn es weiter neue Lagerhallen fĂŒr den Onlinehandel braucht und alle weiter vom Eigenheim im GrĂŒnen trĂ€umen?
Dann verlieren wir dadurch in den kommenden 30 Jahren eine FlĂ€che von der GröĂe des Saarlandes. Pflanzen und Tiere mĂŒssen fliehen oder werden vernichtet. Der Boden kann seine Aufgabe nicht mehr erfĂŒllen, weil das Wasser auf den versiegelten FlĂ€chen nicht richtig versickert. Der Grundwasserpegel sinkt, was DĂŒrreschĂ€den verstĂ€rkt und Trinkwassermangel verschĂ€rft. Bei Starkregen steigt die Ăberschwemmungsgefahr. In den StĂ€dten werden die Sommer heiĂer, weil Kaltluftschneisen zugebaut werden. Hier steht viel auf dem Spiel.
Ab 2050 will die Bundesregierung dafĂŒr sorgen, dass keine zusĂ€tzlichen FlĂ€chen mehr verbraucht werden. Wie viel Hoffnung macht Ihnen das?
Wir machen Deutschland dadurch kaputt, dass wir alles zubauen. Das ist nicht erst in 30 Jahren ein Problem. Mit jeder neuen BauflÀche frisst sich der Mensch in die Natur hinein, wÀhrend in vielen InnenstÀdten GebÀude leer stehen.
Jedes Jahr entstehen mehr als 100.000 neue Ein- und ZweifamilienhÀuser in Deutschland, wÀhrend die Bevölkerung mittelfristig schrumpft. Sind also die HÀuslebauer schuld?
Na ja, das ist eine Wohnform, die bei uns unglaublich tief verwurzelt ist. Vor allem in kleinen und mittleren StÀdten und in lÀndlichen Gebieten. Deswegen eskaliert die Debatte rund ums "HÀuslebauen" Àhnlich schnell wie der Streit um Tempolimit oder SUV-Verbot.
Wenn Neubaugebiete in die Vergangenheit gehören sollen, was ist die Alternative?
Wir mĂŒssen unsere InnenstĂ€dte nachverdichten. Und zwar auf eine attraktive Art, die den Leuten Lust macht, dort zu wohnen.
Das heiĂt?
DachstĂŒhle ausbauen, zusĂ€tzliche Geschosse in Leichtbauweise aufstocken, ungenutzte BaulĂŒcken fĂŒllen. Kurz: in die Höhe statt in die Breite gehen. Und dabei nicht nur in Wohneinheiten, sondern auch in LebensqualitĂ€t denken. Nachhaltige Quartiersentwicklung muss öffentliche PlĂ€tze wieder zu schönen Treffpunkten macht, grĂŒne Oasen in der Stadt erhalten, verschiedene Generationen zusammenbringen, gĂŒnstige und grĂŒne MobilitĂ€t fĂŒr alle ermöglichen. DafĂŒr brauchen die StĂ€dte aber auch UnterstĂŒtzung von Bund und LĂ€ndern.
Das klingt vor allem nach einer Aufgabe fĂŒr BauĂ€mter und BĂŒrgermeister. Wie können einzelne Personen und Familien etwas gegen den FlĂ€chenfraĂ tun?
Wichtig ist vor allem die Entscheidung, wie man selbst wohnen möchte. Wie viele Quadratmeter brauche ich wirklich? Muss ich mir ein neues Haus auf die grĂŒne Wiese stellen oder saniere ich einen Altbau? Habe ich Lust auf Gartenarbeit rund ums klassische Einfamilienhaus oder reicht auch ein schöner Balkon? An diesen persönlichen Lebensentscheidungen hĂ€ngt viel dran.
Aber eben nicht alles.
Ja, da ist es so wie beim Klimaschutz. Nur die HĂ€lfte meines eigenen CO2-FuĂabdrucks habe ich direkt darĂŒber in der Hand, wie ich wohne, heize, unterwegs bin und mich ernĂ€hre. Der Rest sind strukturelle Entscheidungen, die andere fĂŒr mich treffen. Ăhnlich ist es beim FlĂ€chenverbrauch. Und darauf macht der Dino des Jahres aufmerksam. Ab jetzt auch im Emdener Rathaus.
Herr KrĂŒger, vielen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch.