"Kurden rotzen das Magazin leer"
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Wie kΓ€mpft man gegen einen Feind, der Angst und Schrecken verbreitet? In vier Wochen wollen die Kurden das von der Bundeswehr lernen. Ein Blick in das "Kurdistan Training Coordination Center" (KTCC).
Der Feind lauert im Haus nebenan. Zwei Etagen, Fenster ohne Glas, auf dem Dach kΓΆnnten sich ScharfschΓΌtzen verschanzt haben. Der Auftrag des deutschen Oberfeldwebels ist klar: "Das GebΓ€ude mit zwei Sturmgruppen nehmen", befiehlt er dem kurdischen ZugfΓΌhrer Mohammed, einem Mann mit kantigem Gesicht, der etwas unschlΓΌssig schaut. Der Bundeswehr-Soldat spricht langsam, deutlich, aber mit entschiedenem Ton. Im Krieg muss jede Anweisung passen.
Wenig spΓ€ter stΓΌrmen die kurdischen Peschmerga auf das GebΓ€ude zu, erobern den ersten Stock, dann den zweiten. Der Angriff lΓ€uft schleppend, aber immerhin: Das Ziel ist erreicht. Der Oberfeldwebel ist trotzdem nicht zufrieden. "FΓΌr den ersten Durchgang nicht schlecht", sagt er. "Aber einiges muss sich noch verbessern." WΓ€re dies keine Γbung, sondern ein echter Angriff gewesen, hΓ€tte so mancher der Peschmerga sein Leben verloren.
Denn der Feind der Kurden ist nicht nur gut organisiert, sondern auch unerbittlich: Seit Monaten verbreitet die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak Angst und Schrecken. Im Norden und Westen des Landes beherrschen die Extremisten riesige Gebiete. FΓΌr die Kurden, die in ihren nordirakischen Gebieten groΓe Autonomie besitzen, geht es im Kampf gegen den IS um die eigene Existenz.
Training in Ruinen
Damit sie fΓΌr diesen Krieg gerΓΌstet sind, bilden Soldaten aus Deutschland und anderen Nationen in der kurdischen Hauptstadt Erbil Peschmerga-KΓ€mpfer aus. Als TrainingsgelΓ€nde dient das "Kurdistan Training Coordination Center", ein verlassenes Baugebiet mit leeren HΓ€usern, die niemals fertiggestellt wurden. Die MΓ€nner um ZugfΓΌhrer Mohammed gehΓΆren zur zweiten Gruppe von Kurden, die die vierwΓΆchige Ausbildung durchlaufen. Wenn die fast 500 KΓ€mpfer an diesem Donnerstag bei einer Zeremonie ihre Zeugnisse erhalten, sollen sie das groΓe Einmaleins der KriegsfΓΌhrung beherrschen.
An Willen mangelt es den Kurden nicht. "Die Arbeit mit ihnen ist vΓΆllig unkompliziert", sagt der Leiter der deutschen Trainingsgruppe, ein Oberleutnant aus Bayern, dessen Name wie die der anderen Bundeswehrausbilder nicht an die Γffentlichkeit soll - zu groΓ ist die Angst vor Angriffen von IS-Extremisten. "Die Peschmerga sind hoch motiviert und sehr praktisch orientiert", sagt der 26-JΓ€hrige.
Zudem besitzen die Peschmerga groΓe Erfahrung. Die etwa 35 MΓ€nner, die von den Deutschen ausgebildet werden, kommen direkt von der Front und sind gute SchΓΌtzen, auch wenn viele mit geflickten Kalaschnikows in den Krieg ziehen. Doch die Kurden kennen vor allem den Kampf als Miliz in den nordirakischen Bergen. Von einer Schlacht im offenen Feld, von HΓ€userkΓ€mpfen in engen StraΓen, von einer GroΓoffensive, wie sie gegen den IS geplant ist, wissen sie wenig.
"Kurden rotzen das Magazin leer"
Ein Ausbilder formuliert es flapsig: "Wenn die Kurden angreifen, legen sie sich auf einem HΓΌgel in eine Reihe und rotzen das Magazin leer." Den Schutz vor dem Feuer des Feindes vernachlΓ€ssigen sie. Der Oberleutnant ist ΓΌberzeugt: "Wenn die Kurden ihren Eigenschutz stΓ€rken, kΓΆnnten sie 70 bis 80 Prozent weniger Verluste haben."
Das gilt auch fΓΌr den Umgang mit SprengsΓ€tzen, die die IS-KΓ€mpfer verstecken, wo immer sie auftauchen. Sie zu finden und zu entschΓ€rfen ist zentraler Teil der Peschmerga-Ausbildung. FΓΌr die SprengsΓ€tze nutzen die IS-KΓ€mpfer hochmoderne Technologie mit Funk- und Handy-ZΓΌndern. "Das sind richtige TΓΌftler", sagt der Oberleutnant.
Schlechte FΓΌhrung
Das grΓΆΓte Problem, das die Bundeswehrsoldaten sehen, ist jedoch ein anderes: mangelnde FΓΌhrungsqualitΓ€ten der Peschmerga. Unteroffizieren und Offizieren fehlt es an der FΓ€higkeit, eine Lage zu analysieren und daraus die richtigen SchlΓΌsse zu ziehen. Wann wird der Feind wo mit welchen Waffen angegriffen? "Die Kurden sollen lernen, Verantwortung zu ΓΌbernehmen und Entscheidungen zu treffen", sagt Oberstleutnant JΓΌrgen Bredtmann, Sprecher der Bundeswehr in Erbil.
Die Peschmerga hΓΆren bei jeder Ausbildungseinheit aufmerksam zu, auch als der Oberfeldwebel nach dem Sturm des Hauses die Fehler anspricht. "Sehr, sehr gute" Trainer seien die Deutschen, schwΓ€rmt ein Kurde und lΓ€chelt. Die WertschΓ€tzung beruht auf Gegenseitigkeit. Der bayerische Oberleutnant will auf den Kampfeswillen und Mut der Peschmerga nichts kommen lassen: "Wenn die Kurden einen Raum erobern wollen, dann kΓΆnnen sie ihn auch zurΓΌckgewinnen."