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Räumung der Liebig 34 in Berlin: Mit wie viel Randale muss man rechnen?


Besetzte Häuser in Berlin
Wenn Anarchos Amok laufen

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

08.10.2020Lesedauer: 4 Min.
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Die Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain: Das Haus war seit der Wende von Aktivisten besetzt.Vergrößern des Bildes
Die Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain: Das Haus war seit der Wende von Aktivisten besetzt. (Quelle: Bildgehege/imago-images-bilder)

Es ist so was wie ein Showdown: Am Freitag will die Berliner Polizei eines der letzten Häuser, die nach der Wende in der Hauptstadt besetzt worden waren, räumen. Wie viel Gewalt muss man befürchten?

Unter den vielen Geschichten aus der Wendezeit gibt es eine Geschichte, die bei den Feierlichkeiten am Samstag unerwähnt blieb. Sie spielt sich in Berlin ab, genauer gesagt im Norden von Friedrichshain, einem alten Arbeiterviertel, das heute sehr angesagt ist. Dort stehen zwei Häuser, an denen die Zeit vorübergegangen ist. Sie sehen noch nach Ost-Berlin aus, vernarbt, vergilbt, versehrt. Das eine Haus hat die Adresse Rigaer Straße 94, das andere steht gegenüber in der Liebigstraße 34.

Beide Häuser sind Berühmtheiten in Berlin. Beide sind ein Politikum. Beide Häuser sind besetzt und verrammelt. In beiden wohnen Leute, die sich als Anarchisten verstehen, für die Gewalt aber mittlerweile zum selbstbestimmten Leben gehört. Dass in der Umgebung regelmäßig größere Autos brennen, könnte ein Zufall sein, muss aber nicht.

In den Häusern wohnen Illegale

Nun tickt die Uhr für das Haus in der Liebigstraße 34. Am Freitag um 7 Uhr morgens soll es geräumt werden. Da kann man nur beklommen sein. Als vor Jahren 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße geräumt wurden, tobten tagelang Straßenkämpfe zwischen 500 Autonomen und 3.000 Polizisten. Gut möglich, dass wieder Barrikaden brennen und Hubschrauber kreisen.

Niemand weiß, wie viele Menschen in den Häusern wohnen. Illegale sind darunter, sagt die Szene selber, ohne zu sagen, wer und was damit gemeint ist. "Gentri Fickt Euch alle" haben sie an die Fassade gesprayt, daneben steht "Kill BND-Cops Now". Im Blog des "anarcha-queer-feministischen Hausprojekts" steht dieser Satz: "Auf den Staat und seine heuchlerischen Spielregeln scheißen wir. BRD – Bullenstaat – wir haben dich zum Kotzen satt."

Berlin ist eine große Stadt, ein Magnet für allerlei Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen hier leben wollen. Als die Mauer noch stand, war West-Berlin billig, Häuser standen leer, ließen sich besetzen. Die Generation der Häuserbesetzer von damals geht jetzt in Rente.

Die heutige Generation tummelt sich vorzugsweise im Osten. Darunter sind wieder linke Romantiker und Liebhaber der Anarchie, die von einem selbstbestimmten Leben träumen. Sollen sie, dürfen sie. Große Städte müssen manchmal auch widerwillig tolerant sein. Die Hafenstraße in Hamburg war so ein Experiment, das aufs Ganze gesehen glimpflich verlief.

Die Nachbarschaft leidet unter den Besetzern

Als die DDR implodierte, wurden in Ost-Berlin ganze Häuserzeilen besetzt: von Studenten, Künstlern, Kreativen, Anarchos. Nach einiger Zeit endeten Auseinandersetzungen häufig mit Mietverträgen und damit waren die Besetzungen legalisiert. In der Liebigstraße 34 versuchten die Bewohner im Jahr 2008 sogar das Haus einer Erbengemeinschaft abzukaufen, aber den Zuschlag bekam ein Immobilienhändler namens Gijora Padovicz. Immerhin schlossen die Parteien einen Gewerbemietvertrag auf zehn Jahre.

Vor zwei Jahren lief der Vertrag aus. Die Mieter zahlten nicht mehr, zogen aber nicht aus. Von da an ging das Experiment endgültig in seine Gewaltphase über.

Zwei Häuser sind nicht viel. Sie können aber ihre Umgebung ärgern, einschüchtern, vertreiben. Inzwischen sind in der Liebigstraße etliche neue Wohnblocks entstanden, hell, ganz nett. Allenfalls Mittelstand, keineswegs Kapitalisten wohnen hier. Die Besitzer wählen die Grünen und die Linke; einer der Hausmeister war früher selber Hausbesetzer. Aber die militante Szene hält sie für Büttel des Systems und so beschießen sie die Fensterscheiben mit Stahlkugeln, bewerfen sie mit Pflastersteinen und besprühen die Hauswände mit Hassparolen.


Chaos ist ihr Lieblingsbegriff und weil Chaos ein Synonym für Dunkelheit ist, haben sie vor kurzem an den Laternen die Kabel herausgerissen und sorgten somit für die Dunkelheit, in der sie Barrikaden bauen und ein Feuer vor den beiden Häusern entzünden konnten.

Berlin ist nicht nur eine große Metropole, Berlin ist auch die Metropole der großen Wurschtigkeit. Das Haus in der Liebigstraße gehört zum Bezirk Kreuzberg/Friedrichshain. Der hat eine grüne Bürgermeisterin und einen grünen Baustadtrat, der aus politischen Gründen von Maßnahmen gegen die besetzten Häuser absieht. Vor vier Monaten verabschiedete die Bezirksverordnetensammlung mit der Mehrheit aus Grünen und Linken eine Resolution gegen die Räumung, denn hier sei "ein einzigartiger Schutzraum für Frauen und Lesben ohne diskriminierende patriarchale Strukturen" entstanden.

Ziemlich zynisch, ziemlich wirklichkeitsfremd

Ehrlich jetzt? Ziemlich zynisch. Ziemlich wirklichkeitsfremd. Die Leute in der Liebigstraße betrachten sie als ihre Schützlinge, die sie protegieren, egal, ob sie andere diskriminieren, egal, wie viel Gewalt sie üben. Und so schieben diese Politiker jede Verantwortung von sich, bekunden Solidarität und werden vermutlich am Freitag andere für die Exzesse schuldig sprechen, wenn es welche geben sollte: die Polizei, die Gerichte, den Senat – hauptsache, sie sind fein heraus.

Kurzer Exkurs: Was wäre in Berlin los, wenn aus den Fenstern in der Liebigstraße schwarz-weiß-rote Fahnen hingen und militante Rechte die Straße für sich beanspruchten, Barrikaden bauten und mit Stahlkugeln schössen?

Mit Recht würde der rechte Spuk schnellstens beendet. Und mit Recht wird am Freitag das völlig aus dem Ruder gelaufene linke Experiment in der Liebigstraße beendet.

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