Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Nahost-Konflikt Jetzt geht es um mehr als Gaza

Der US-Präsident will Frieden in Gaza stiften und den Nahen Osten neu sortieren. Tatsächlich scheint plötzlich Undenkbares denkbar zu sein. Aber wie verhält sich Benjamin Netanjahu dazu?
Benjamin Netanjahu und Donald Trump sind so etwas wie Brüder im Geiste. Beide verbindet die intensive Hinwendung zur Autokratie, wozu der Primat der Regierung über die Gerichtsbarkeit gehört. Beide pochen auf das Recht des Stärkeren.
Irgendwann werden wir auch erfahren, wie es dazu kam, dass der widerstrebende US-Präsident doch noch gemeinsam mit Israel einen kurzen Krieg gegen den Iran führte. Der israelische Ministerpräsident hätte ihn gerne fortgesetzt, aber daran hinderte ihn dann Donald Trump.
Es ist schon ein seltsamer Vorgang: Israel ringt den USA das Mitmachen ab und muss sich dann vom Weitermachen abbringen lassen.
Heute besucht Netanjahu mal wieder Washington. Er kennt sich in den USA aus. Er wuchs in Cheltenham im Staate Pennsylvania auf und spricht astreines amerikanisches Englisch. In seinen vielen Jahren als Premierminister sah er schon etliche Präsidenten kommen und gehen. Sowohl Barack Obama als auch Joe Biden ließ er seine Geringschätzung spüren und setzte sich über ihre Einwände und Mahnungen hinweg, etwa die Siedlungen im Westjordanland einzustellen. Mit Donald Trump ist das Verhältnis leichter und zugleich schwieriger.
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Leichter, weil sie sich im Denken und Handeln nahe sind, dazu im Alter: Trump ist 79, Netanjahu bald 76. Schwieriger, weil Trump den Nahen Osten befrieden möchte, woran Netanjahu nicht unbedingt gelegen ist, um es milde auszudrücken.
Seit gestern wird in Katar wieder über Gaza verhandelt. Es geht erneut um 60 Tage Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln. Soviel wir wissen, leben noch 20 der armen Menschen, die seit dem 7. Oktober 2023 in der Gewalt der Hamas sind. Mindestens 31 sind als Geiseln gestorben oder umgebracht worden. Ein Abkommen ist überfällig, was denn sonst.

Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Netanjahu wird in die Geschichte als Besieger der Feinde Israels eingehen
Eigentlich liegt Frieden nach so vielen Kriegen und so viel Gewalt nahe. Israel ist jetzt die Vormacht in dieser Region. Iran, auf Hegemonie bedacht, ist auf sich selbst zurückgeworfen. Die Mullahs müssen im eigenen Land um ihre Theokratie fürchten, weil sich der Mossad im Land bewegte wie Fische im Wasser. Dem Regime sind zudem die leichtgängigen Vorfeldorganisationen abhandengekommen. Die Hisbollah: im Kern getroffen. Die Hamas: gejagt in Gaza und außerhalb.
Was man auch immer von Netanjahu persönlich halten mag, er wird in die Geschichte als Besieger der Feinde Israels eingehen. Aber wie lange hält der günstige Zustand an?
Wieder ist es so, dass es auf Donald Trump ankommt. Er versteht es, als Zentralgestirn andere um sich kreisen zu lassen. Auch wenn Prognosen, seine Person betreffend, mit Vorsicht zu genießen sind, scheint er doch darauf aus zu sein, an seine Mission der Deals im Nahen Osten anzuknüpfen.
Netanjahu und Trump werden heute im Weißen Haus ihr gemeinsames Werk hochleben lassen, den Angriff auf den Iran und die Demütigung des Regimes. Ob überhaupt und für wie lange das Atomprogramm zurückgeworfen wurde, bleibt allerdings ein Rätsel. Jedenfalls liegt den Mullahs offenbar daran, die Verhandlungen mit den USA wieder aufzunehmen.
Um zu überleben, brauchen sie Luft zum Atmen, aber Trump möchte Sanktionen nur dann reduzieren, wenn sie auf die Anreicherung von Uran verzichten. Ob sich der Iran dagegen weiterhin zur Wehr setzt?
Das neue Syrien will keinen Ärger mit Israel
Zu den neuen Machthabern in Syrien hat Trump schon Verbindung aufgenommen. Auch ihnen ist an der Aufhebung der Sanktionen gelegen. Wahrscheinlich schickt der amerikanische Präsident seinen Freund Steve Witkoff nach Damaskus, um einen Deal auszuloten.
Aus israelischer Sicht kommt es im Fall Syrien aber auf anderes an, auf Sicherheit. Etwa 1.000 Quadratkilometer Land hat die Armee seit dem Sturz des Assad-Regimes besetzt. Viele Angriffe flog die Luftwaffe, die syrische Marine ist versenkt und Militärflughäfen unbrauchbar. Gegenschläge blieben aus. Das neue Syrien will keinen Ärger mit Israel, sagt Präsident Ahmed al-Scharaa.
Zu den Vorschlägen des US-Präsidenten gehört ein formaler Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien. Diplomatischer Austausch wäre die Folge. Käme es wirklich dazu, wäre ein historischer Fortschritt erreicht.
Auch im Libanon hat sich die Situation dramatisch verändert. Die Hisbollah übergab im Süden ihre Stellungen und Depots an die libanesische Armee. Israel beharrt jedoch auf vollständiger Entwaffnung im ganzen Land, genauso wie eine Mehrheit der Libanesen. Der neue Staatschef Joseph Aoun dringt ebenfalls auf das Gewaltmonopol des Staates. Auch im Libanon könnte sich Historisches ereignen.
Das Ausmaß möglicher Veränderungen hängt von Gaza ab
Kriege haben den Nahen und Mittleren Osten verändert. Wenn man die Erfahrung mal zurückstellt und bereit zu Illusionen ist, könnte sich daraus Folgendes ergeben: Israel nimmt diplomatische Beziehungen zu Saudi-Arabien auf. Im Libanon setzt sich die zivile Führung durch. Iran, auf bessere Beziehungen zum Westen hoffend, schließt ein Atom-Abkommen mit den USA ab. Syrien bleibt auf dem Weg zu einem anderen Land.
Das Ausmaß möglicher Veränderungen hängt allerdings von Gaza ab. "Israel hat den notwendigen Bedingungen für einen Friedensschluss zugestimmt", sagte Donald Trump zur Einstimmung auf Netanjahus Besuch. Man würde es gerne glauben. Israel insistiert darauf, dass die Hamas ihre Waffen ausliefert und die Führung ins Exil geht. Nur dann ist die Armee bereit, aus Gaza abzuziehen.
Die Hamas gibt zu erkennen, dass sie auf die Führung in Gaza verzichtet, sich aber nicht auf Abgabe der Waffen einlassen will. So ist der Stand der Dinge, den der US-Präsident ändern möchte. Nur mit einer Einigung über Gaza könnte es im Nahen und Mittleren Osten vorangehen. Ohne sie stockt der mögliche Prozess der Veränderung.
Die Interessen von Donald Trump und Benjamin Netanjahu sind diesmal nicht identisch. Wer aber setzt sich durch – der amerikanische Präsident, der wenigstens im Nahen Osten als Friedensstifter auftreten will, oder Benjamin Netanjahu, der dem Frieden nicht traut?
Kaum zu glauben, aber in diesem Fall muss man wohl auf Trumps Seite sein.
- Eigene Überlegungen