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Humor in Deutschland: Kein Witze über Minderheiten!


Keine Witze über Minderheiten!

  • Lamya Kaddor
Eine Kolumne von Lamya Kaddor

08.03.2019Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Karnevalisten in Köln: Es kommt sehr wohl darauf an, wer einen Witz erzählt, meint Kolumnistin Lamya Kaddor.Vergrößern des Bildes
Karnevalisten in Köln: Es kommt sehr wohl darauf an, wer einen Witz erzählt, meint Kolumnistin Lamya Kaddor. (Quelle: J. Krick/Future Image/imago-images-bilder)

Keine Witze über Intersexuelle. Keine über Muslime oder Juden. Unsere Kolumnistin Lamya Kaddor hat sich Gedanken darüber gemacht, ob Deutschland wirklich eine spaßbefreite und total verkrampfe Gesellschaft ist.

Vorweg: Jeder in Deutschland darf Witze über jeden machen. Aber jeder in Deutschland darf sich auch darüber ärgern! Wir haben Meinungsfreiheit. Und Meinungsfreiheit gilt für Witze und für Kritik an Witzen gleichsam. Es gibt also keinen Grund dafür, sich zu empören, dass Menschen ihren Unmut über einen Witz von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kundtun, antisemitische Karnevalswagen in Belgien anprangern oder die Entscheidung einer Hamburger Kita in Ordnung finden, das Tragen von Indianer-Kostümen und andere stereotype Verkleidungen zu thematisieren.

Problematisch sind weniger die Appelle, bei Witzen über Minderheiten vorsichtig zu sein. Problematisch ist vielmehr das Untergangsszenario-Geheul, das darüber angestimmt wird. Schlimm sind jene, die andere Menschen sofort als spaßbefreite Tugendwächter, elitäre Spießer oder total verkrampft beschimpfen, weil die es wagen, das kolonialistische Erbe Deutschlands und rassistische Strukturen kritisch zu beäugen – selbst im Karneval.

Minderheiten auf die Karnevalsbühnen

Wenn jemanden solche Reaktionen ach so sehr stören, hätte ich da einen Vorschlag: Wer unbedingt Witze über Minderheiten hören will, soll Vertreter von Minderheiten in die Karnevalssitzungen einladen. Wie wäre es denn mal damit? Eine Inter*-Person könnte Witze über Inter*-Personen machen, ein Muslim über Muslime, oder ein Jude über Juden; gerade erst hat sich in Köln ein jüdischer Karnevalsverein neu gegründet, nachdem die Nazis dessen Vorgänger ausradiert hatten.


Es ist wie mit dem Wort "Nigger" in den USA. Wenn ein Afroamerikaner es zum Spaß nutzt, ist es etwas anderes, als wenn das jemand tut, dessen Ahnen die Vorfahren des als "Nigger" bezeichneten tatsächlich versklavt hatten. Zum Rassismus gehört immer die Frage: Wer spricht da über wen? Die Sprecherposition ist von Bedeutung: Wenn sich ein Minderheiten-Vertreter abfällig über eine Mehrheit äußert, hat das eine andere Qualität, als wenn ein Mehrheiten-Vertreter sich abfällig über eine Minderheit äußert; erst recht, wenn Vertreter dieser Minderheit im Alltag bekanntermaßen Probleme mit Diskriminierung haben.

Es kommt auf das Machtgefälle an

Auch bei dummen Sprüchen und Witzen kommt es auf das Machtgefälle zwischen denjenigen an, die sich über jemanden lustig machen, und denjenigen, auf deren Kosten der Spaß geht. Ich frage mich, warum gerade Menschen, die so viel auf Tradition geben und Angst etwa vor sprachlicher Bereinigung von Büchern Karl Mays oder Astrid Lindgrens schüren, so selektiv sind, wenn es um Humor geht. Satiren, Parabeln oder auch Büttenreden haben ganz traditionell einen eindeutigen Sinn: Sie dienten dazu, den Schwächeren die Möglichkeit zu geben, sich über die Obrigkeit beziehungsweise die Mächtigeren lustig zu machen. Heinz Greul schreibt in seiner Kulturgeschichte des Kabaretts so treffend: "Der Witz ist die Waffe des Unterlegenen."


Wenn eine Annegret Kramp-Karrenbauer, eine der mächtigsten Frauen dieses Landes, dämliche Witze über die Lebensbedingungen intersexueller Menschen macht, verkehrt sie diese Tradition haargenau ins Gegenteil. Sie spottet über die Bedürfnisse von Personen, die mit der Dritten Option gerade erst in Deutschland einen ersten Schritt nach vorn gemacht haben. Von daher ist es vollkommen nachvollziehbar, dass sie in einer offenen und rassismuskritischen Gesellschaft Kritik dafür erntet. Es gäbe so viele andere Mächtige, über die sich AKK hätte lustig machen können, und niemand hätte sich daran gestört. Wenn Herrschende diesen Gegenwind nicht ertragen können oder wollen, dann gilt für sie schlicht: Keine Witze über Minderheiten!

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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