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Ethikerin Buyx weist Markus Lanz zurecht: "Das ist keine Neiddebatte"


Impf-Talk bei "Markus Lanz"
Ethikerin Buyx weist Lanz zurecht: "Das ist keine Neiddebatte"

Eine TV-Kritik von Nina Jerzy

30.04.2021Lesedauer: 4 Min.
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Alena Buyx (Archivbild): Die Medizinethikerin konterte Markus Lanz' These zu Freiheiten für Geimpfte in seiner jüngsten Sendung.Vergrößern des Bildes
Alena Buyx (Archivbild): Die Medizinethikerin konterte Markus Lanz' These zu Freiheiten für Geimpfte in seiner jüngsten Sendung. (Quelle: imago images)

"Gerechtigkeitsargumente, ernsthaft?", meint Lanz angeekelt. Ethikerin Buyx beharrt aber darauf: Noch-nicht-Geimpfte dürfen fragen, warum Geimpfte vor ihnen Bürgerrechte zurückerhalten sollen.

Die Gäste

  • Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats
  • Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionsvorsitzende
  • Silke Diettrich, ARD-Korrespondentin aus Neu-Delhi
  • Michael Meyer-Hermann, Physiker und Systemimmunologe
  • Christiane Hoffmann, "Spiegel"-Redakteurin

Es klingt logisch: Wer gegen das Coronavirus immunisiert ist, fordert die in der Pandemie eingeschränkten Bürgerrechte zurück, um sich zum Beispiel nach Belieben mit anderen Geimpften zu treffen. Ganz so eindeutig ist die Sache aber nicht, meinte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, am Donnerstagabend bei "Markus Lanz". "Die knallharten Einschränkungen – Beispiel: Quarantäne – die werden fallen", nannte sie einen auch aus ethischer Sicht einfach gelagerten Fall, was sich bei vollständig geimpften Personen, die vermutlich noch nicht geschützte Menschen nicht oder kaum gefährden, verändern wird. Keine starken Freiheitseinschränkungen wie das Tragen einer Maske könne hingegen auch Geimpften noch eine Weile zugemutet werden. Der Bereich dazwischen aber, da wird es für sie aus ethischer Sicht kompliziert, was Lanz erwartungsgemäß auf die Palme brachte.

"Das rechtliche Argument wird natürlich sein: Da gibt es keine Handhabe, das zu verbieten", sagte Buyx mit Blick auf Kontaktbeschränkungen für Menschen mit vollem Impfschutz. Und gab zu bedenken: "Aber da darf man schon auch gesellschaftliche und auch ethische oder Gerechtigkeitsargumente ins Feld führen." "Gerechtigkeitsargumente, ernsthaft?", erwiderte Lanz mit dem angeekelten Gesichtsausdruck, der seine Mimik immer stärker zu prägen scheint. "Moderierend" war bei seinem verbalen Gegenangriff auch noch kaum etwas. "Wie klein macht man sich denn als Mensch, einen billigen Neideffekt zu entwickeln, nur weil sich 75-Jährige zum Abendessen treffen?", unterstellte er seinem Gast.

Buyx weist Lanz zurecht

"Aber das ist doch kein billiger Neideffekt", erklärte die Ethikerin geduldig in einem Tonfall, den sie womöglich auch bei ihren quengelnden Kindern anschlägt. "Ich gönne es ihnen auch von ganzem Herzen", sagte sie mit Blick auf Lanz' Seniorengruppe. "Aber man muss sich klarmachen, dass viele Menschen ihren ebenfalls auch grundrechtlich unterfütterten Anspruch auf eine Impfung für die Priorisierung zurückgestellt haben. Das haben wir alle gemacht. Ich kann zumindest nachvollziehen, dass man dort doppelt Nachteil empfindet, wenn man nicht nur nicht geschützt ist, sondern eben auch weniger machen kann." Wie man persönlich zu der Frage stehe, sei das Eine. Diese Position könne aber nicht einfach ignoriert werden: "Das ist wirklich keine Neiddebatte, dass man das den 60-Jährigen nicht gönnt." "Ich sehe das auch so", sagte "Spiegel"-Journalistin Christiane Hoffmann dem sichtlich enttäuschten Gastgeber.

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Eine ganz ähnliche Dynamik entwickelte sich, als der wieder umgehend aufgebrachte Lanz Katrin Göring-Eckardt vorwarf, die Grünen würden ihm vorschreiben wollen, wie viel Zucker er künftig zu sich nehmen dürfe. Er bezog sich auf das Wahlprogramm der Grünen. Die wollen, dass sich die Menschen gesünder ernähren und deshalb die Lebensmittelindustrie verpflichten, Zucker, Salz und Fett in ihren Produkten zu reduzieren. "Sie dürfen süßes Zeug essen. Sie müssen nur wissen, dass es da drin ist. Sie können dann gern einen weiteren Löffel Zucker rein tun, wenn Sie es gern noch süßer hätten", erwiderte die Chefin der grünen Bundestagsfraktion. "Machen Sie es jetzt nicht so banal", fühlte sich Lanz angegriffen. Göring-Eckardt versuchte es mit Argumenten: "Es geht darum, das System zu verändern und nicht den individuellen Menschen umzuerziehen. Das sind zwei verschiedene Sachen." "Das ist Umerziehung, wenn ich das nicht kriege", nörgelte Lanz.

Der Moderator bekam an diesem Abend ungewohnt viel Gegenwind, was ihm sichtlich nicht gefiel. Ob es daran lag, dass drei der fünf Anwesenden im Hamburger Studio Frauen waren? Am Ende kam ihm auch noch Infektionsforscher Michael Meyer-Hermann abhanden. Der Systemimmunologe vom Braunschweiger Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung verglich den Kampf gegen die Corona-Pandemie mit dem Kampf gegen die Klimakrise. In beiden Fällen müssten gewohnte Verhaltensweisen geändert und Freiheiten eingeschränkt werden, sagte er anknüpfend an die Zucker-Diskussion. "Nur in diesem Fall geht es nicht um eine Pandemie, sondern es geht um den Erdball. Wir haben einen ganz anderen Einsatz."

Experte: Indien sollte uns eine Warnung sein

Zu Beginn von "Markus Lanz" hatte ARD-Korrespondentin Silke Diettrich über die verzweifelte Lage in Indien berichtet. "Was wir jetzt sehen, ist die ganze Fratze dieses blöden Virus", meinte Meyer-Hermann. Der Erreger sei unerbittlich und breite sich sofort aus, sobald man ihm Raum gebe. "Das ist etwas, was wir uns merken sollten, wenn wir hier der Meinung sind, dass wir hohe Inzidenzen tolerieren könnten", mahnte der Wissenschaftler. Er hatte bereits im Oktober 2020 die Ministerpräsidentenkonferenz vor einer unkontrollierten Ausbreitung des Erregers gewarnt und war von den dann beschlossenen Maßnahmen enttäuscht worden.

Ein halbes Jahr später zeigte sich der Physiker nahezu fassungslos von dem Kurs der Politik. "Wir machen einen grundsätzlichen Fehler: Dass wir jede Hilfe, die von außen dazu kommt (Impfungen, warmes Wetter) ausgleichen mit Öffnungen", sagte er. Auf diese Weise schwanke der Inzidenzwert stets um die Marke von 100, sinke aber nicht. Denn dann würden die Einschränkungen ja wieder gelockert, was wiederum die Zahlen nach oben treibe. "Das kostet die Gesellschaft unglaublich viel: wirtschaftlich, bildungstechnisch, psychosozial. Auf allen Ebenen verlieren wir mit dieser Taktik, die das Ganze in die Länge zieht", kritisierte der Experte. "Wir können das natürlich auf Ewigkeit auf 100 lassen. Aber das ist ja keine Lösung dieses Problems."

Was ihm vor allem nicht in den Kopf will, ist die Anhebung des Grenzwerts von einst 35 auf 100. "Wir erzeugen mit den gleichen Maßnahmen den gleichen gesellschaftlichen Schaden", sagte Meyer-Hermann. "Aber es gibt einen massiven Unterschied: Wir haben dreimal so viel Tote. Ich verstehe es nicht. Ich komme nicht dahinter." Er warnte davor, in der Debatte um die Rückgabe von Freiheiten und ähnlichem das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. "Das ist das große Missverständnis in dieser Pandemie: Es sind nicht die Maßnahmen, die die Gesellschaft kaputtmachen. Es ist das Virus, das die Gesellschaft kaputtmacht."

Verwendete Quellen
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