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9-Euro-Ticket in Berlin: Warum es boomt – und trotzdem scheitern wird


"Zuckerl für die Bürger"
Warum das 9-Euro-Ticket in Berlin boomt – und trotzdem erfolglos bleiben wird

InterviewVon Antje Hildebrandt

02.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Bahnverkehr am Limit (Symbolfoto): Wieviel Neukunden verträgt die Berliner S-Bahn?Vergrößern des Bildes
Bahnverkehr am Limit (Symbolfoto): Wie viele Neukunden verträgt die Berliner S-Bahn? (Quelle: stefan zeitz/imago-images-bilder)

Wolfgang Fastenmeier ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie. Er glaubt nicht, dass Berlin dem Traum der Grünen von einer autofreien Stadt mit dem 9-Euro-Ticket näher kommt.

t-online: Herr Fastenmeier, Sie fahren regelmäßig mit Bussen und Bahnen, wenn Sie in Berlin sind. Welche Note geben Sie dem Öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt?

Wolfgang Fastenmeier: Ich würde ihm eine Zwei geben. Berlin hat ja ein recht gut ausgebautes öffentliches Verkehrssystem, etwa im Gegensatz zu München. Der Verkehr ist hauptstadtkonzipiert. Die Straßen sind gut ausgebaut.

Sie würden dem Berliner ÖPNV eine Zwei geben?

Ja, okay, die U2 ist eine echte Bummelbahn und es ist schwierig, eine objektive Note zu geben. Aber verglichen mit München schneidet Berlin deutlich besser ab.

Die Berliner sind wesentlich strenger. Kaum etwas regt die Leute so auf wie der ÖPNV. Woran liegt das eigentlich?

(lacht) Möglicherweise ist das eher eine Mentalitätsfrage.

Trotzdem ist der Ansturm auf das 9-Euro-Ticket gewaltig. Dabei haben schon viele Berliner ein Monats- oder Jahresticket für den ÖPNV. Gewinnen die Verkehrsbetriebe damit neue Kunden?

Das glaube ich eher nicht. Das ist eher eine Reaktion auf die ökonomische Krise und insofern ein "Zuckerl" für die Bürger. Es liegt nicht am Preis, ob der ÖPNV als attraktiv wahrgenommen wird oder nicht. Es gibt drei Faktoren, die für Neukunden wichtig sind.

Zum Beispiel?

Ein guter ÖPNV muss pünktlich sein, die Anschlüsse müssen erreicht werden, die Stationen bequem erreichbar sein. Es mag komisch klingen, aber auch das Wetter sollte gut sein.

ÖPNV-Nutzer sind Schönwetterfahrer?

Könnte man so sagen.

Als Berlinerin bekomme ich etwas Angst, wenn ich mir vorstelle, dass die ohnehin schon vollen Züge im Sommer vielleicht noch voller werden dank des 9-Euro-Tickets. Warum tun sich Menschen das an?

Die Frage ist, ob das tatsächlich so eintritt. Sich ein 9-Euro-Ticket zu kaufen, ist das eine, zu entscheiden, an welchem Tag ich zu welchem Zweck wohin fahre, ist das andere. Gutes Wetter kann auch negativ erlebt werden. Wenn es zu heiß ist, überlegen sich viele Leute, ob sie mit der U-Bahn fahren. Dann ist es voll und eng und kaum auszuhalten. Das schreckt dann eher ab.

Dann brauchen wir einen milden Sommer, damit das 9-Euro-Ticket ein Erfolg wird?

Meine These ist: Die Leute, die das 9-Euro-Ticket anzieht, und die Leute, die sich durch volle Züge abschrecken lassen, halten sich in etwa die Waage.

In Internetforen verabreden sich vor allem jüngere Leute, um ein bisschen herumzureisen, zum Beispiel nach Sylt. Ist das nicht der eigentliche Vorteil dieses Tickets, dass man für wenig Geld durchs ganze Land reisen kann?

Warum nicht? Bei der Wahl der Verkehrsmittel geht es ja nicht nur um die rationale Abwägung: Was ist jetzt besser? Was ist umweltfreundlicher? Da spielen Emotionen und Motivationen eine große Rolle oder auch Gewohnheiten. Viele nutzen das Auto gewohnheitsmäßig. Deshalb hat der ÖPNV nur in bestimmten Bereichen Vorteile. Es gibt da eine klare Aufteilung.

Die Leute fahren mit dem ÖPNV lieber zur Arbeit, aber in der Freizeit nutzen sie lieber das Auto?

Zum Beispiel. Die große Ausnahme sind Kultur- oder Sportveranstaltungen, weil die eher in innerstädtischen Bereichen liegen oder gut erreichbar sind. Vor jedem innerstädtischen Stadion gibt es eine U-Bahn-Station. Oder Konzertkarten werden mit ÖPNV-Tickets gekoppelt. Das sind natürlich große Anreize.

Das heißt, die Politik sollte nicht das eine gegen das andere ausspielen, weil viele Leute sowohl den ÖPNV als auch ein Auto benutzen?

Genau, die Frage ist bloß: Wo will ich hin? Habe ich etwas zu transportieren? Habe ich mehrere Wege hintereinander? Dann ist eher das Automobil gefragt. Wenn ich nur von A nach B will, ist der ÖPNV oft zeitsparender. Da stehen Sie nicht im Stau.

Die Grünen wollen Berlin zur autofreien Stadt machen. Wäre es da nicht konsequenter gewesen, den ÖPNV für drei Monate zum Nulltarif anzubieten?

Das frage ich mich auch. Was sollen diese neun Euro? Das ist eher ein symbolischer Betrag. Warum ist der ÖPNV nicht überhaupt umsonst, das würde ihn a) attraktiver machen und es wäre b) auch gerechtfertigt, denn die Bereitstellung von Infrastruktur ist eine staatliche Hoheitsaufgabe, die mit Steuergeldern finanziert wird. Für andere Bereiche wie den Finanzsektor werden großzügige Subventionen vergeben, aber beim ÖPNV wird jeder Euro dreimal umgedreht.

Stattdessen gibt es für Autofahrer jetzt auch noch einen Tankrabatt. Konterkariert das nicht das Ziel, die Leute zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen?

Das ist eine politische Frage. Ob man sich für das eine oder andere Verkehrsmittel entscheidet, entspringt nur zu einem geringeren Teil finanziellen Überlegungen. Die Motivation und die Verfügbarkeit von privaten Pkws spielt da eine größere Rolle.

In kaum einem anderen Land der Welt wird das Auto so gehätschelt wie in Deutschland. Welche Funktion erfüllt es eigentlich noch außer der, Menschen von A nach B zu bringen?

Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, kann ich bestimmte Eigenschaften ausleben. Defensiv sein, sportlich sein, aggressiv sein, Pilot sein. Und dann vermittelt das Auto natürlich Privatheit und Autonomie. Es verschafft auch soziale Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe.

Die Autos werden immer größer. Bei den SUVs hat man den Eindruck, das sind eigentlich rollende Wohnzimmer.

Das gilt nicht nur für SUVs. Und die soziale Anerkennung kann auch eine nur eingebildete sein.

Wie kann man die beiden Welten der Autofahrer und der grünen Verfechter des ÖPNV in Berlin miteinander versöhnen?

Ich stelle mir das schwierig vor. Das Ziel autofreie Stadt ist keine realistische Perspektive. Wenn ich nur mit Verboten und Abschreckungen agiere, ohne dass ich eine Alternative schaffe, dann ist klar, dass hier Widerstand entsteht.

Und das 9-Euro-Ticket eignet sich nicht als Alternative?

Nein, nur weil es nur neun Euro kostet, macht es die grundsätzlichen Nachteile des ÖPNV nicht wett.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie
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