Sawsan Chebli über Hass im Netz "Elon Musk ist ein gefährlicher Mann"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli wird häufig Zielscheibe von Beleidigungen im Internet. Sie erzählt, was sie aus Shitstorms gelernt hat und was sie von Europa fordert.
Sawsan Chebli ist Politikerin. Bekannt wurde sie aber auch als meinungsstarke Stimme auf Twitter. Mehr als 120.000 Follower hat sie dort. Davon sind ihr nicht alle wohlgesonnen: Immer wieder schlägt Chebli Hass und Hetze entgegen.
Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben. "Laut – Warum Hate Speech echte Gewalt ist und wie wir sie stoppen können", heißt es. Im t-online-Interview spricht Chebli über Elon Musk, Gerichtsurteile und ein europäisches soziales Netzwerk.
t-online: Frau Chebli, können Sie sich an die erste Hassnachricht erinnern, die Sie erhalten haben?
Sawsan Chebli: Nein, aber an meinen ersten Shitstorm. Ich hatte auf Facebook darüber berichtet, dass ein Gastgeber mich bei einer Veranstaltung nicht als Staatssekretärin erkannte, weil er keine so "junge" und "schöne" Frau erwartet hatte. Ich habe über den Vorfall auf Facebook geschrieben, meiner Wut über den offenkundigen Sexismus freien Lauf gelassen und dafür sehr viel Hass, Häme und antimuslimischen Rassismus abbekommen.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Es hat mich kalt erwischt. Ich war null darauf vorbereitet. Damals haben mich die Reaktionen auch persönlich verletzt. Besonders der Vorwurf, dass ich mich damit nur wichtigmachen wollen würde und "echten" Sexismus verniedlichen würde. Wenn man all das zum ersten Mal erlebt, hat man das Gefühl, dass das nie wieder aufhört.
Sie haben den Fehler also bei sich gesucht?
Ja, irgendwie schon. Ich habe mich gefragt, ob der Fall vielleicht doch zu klein war, ob ich besser hätte schweigen sollen. Obwohl ich natürlich weiß, dass Sexismus ein strukturelles Problem ist und nicht erst dann schlimm ist, wenn Frauen vergewaltigt werden.
Was war beim zweiten oder dritten Shitstorm anders?
Ich habe irgendwann gelernt, dass es den Hatern und Angreifern nicht um mich geht. Inzwischen lässt mich der Hass zwar nicht ganz kalt, aber ich lasse nicht zu, dass das Gift mich so sehr verletzt, dass ich nicht mehr aufrecht stehen kann.
Worum geht es bei Shitstorms gegen Sie aus Ihrer Sicht?
Es geht um die Werte, für die ich stehe. Das ist eine weltoffene und diverse Gesellschaft, in der alle Menschen einen Platz haben, unabhängig von Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung. Und aus Sicht der Hater verkörpere ich das perfekte Feindbild: Frau, Muslimin, Feministin. Das erklärt auch, warum in fast allen Hasstiraden gegen mich der Satz auftaucht: "Haue ab in deine Heimat." Vieles von dem Hass, den ich erlebe, ist orchestriert und organisiert. Es steckt ein System dahinter. Es geht im Kern darum, selbstbewusste, laute Frauen mit linkem Profil auszuschalten.
Zur Person
Sawsan Chebli wurde 1978 in Berlin als Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie geboren. 2001 trat sie in die SPD ein. Sie arbeitete unter anderem als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amtes und als Berliner Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.
Hat der erste Shitstorm Ihre Art zu kommunizieren verändert?
Das kam erst später. Aber er hat mich zur Feministin gemacht. Vor diesem ersten Sexismus-Shitstorm war ich der Meinung, dass eine Frau nur hart genug arbeiten muss, dann kommt sie schon weiter. Ich dachte, ich habe es ja auch geschafft. Außerdem waren es in meinem Leben vor allem Männer, die mich beruflich förderten. Frauen haben sich selten solidarisch mit mir gezeigt. Nach meinem Shitstorm habe ich sehr viel Rückendeckung von Feministinnen bekommen, allen voran von Theresa Bücker. Sie hat mir eine Welt gezeigt, die ich vorher nicht kannte und ich habe gelernt, wie wichtig es ist, aktiv nach Solidarität zu fragen. Man muss das alles nicht allein ertragen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Hass im Netz von einer lauten Minderheit komme, die Mehrheit schweige. Woran liegt das?
Oft stecken hinter Hasskampagnen richtige Netzwerke. Mit dem Einsatz von Bots und Fakeaccounts wird gezielt eine Welt geschaffen, die keine echte ist. Es ist schwer, dagegen anzukämpfen, weil wir als Demokraten nicht mit solchen Mitteln arbeiten. Und weil Algorithmen uns überwiegend Inhalte vorsetzen, die Emotionen erzeugen und polarisieren, um uns so lange wie möglich am Rechner zu halten. Spaltung, Zuspitzung und Hass funktionieren eben besser als Differenzierung und Versöhnung.
Der Untertitel Ihres Buches lautet: "Warum Hatespeech echte Gewalt ist". Wird das aus Ihrer Sicht unterschätzt?
Absolut, es gilt als Nischenthema, digitale Gewalt gilt als Bagatelle. Viele haben das Gefühl, dass sie das nichts angeht. Wenn sie nicht betroffen sind, können sie sich zum Teil gar nicht vorstellen, wie gefährlich es für uns alle ist. Ich frage mich, was noch alles passieren muss, bis die Leute aufwachen. Aber auch die Politik hinkt hinterher. Teilweise werden übelste Beleidigungen von einigen Gerichten immer noch als Meinungsfreiheit deklariert.
Sie spielen auf ein Urteil des Landgerichts Heilbronn an, das es in Ordnung fand, wenn Sie als "dämliches Stück Hirn-Vakuum" bezeichnet werden.
Zum Beispiel. Es gibt aber auch den Fall von Renate Künast, die erst durch mehrere Instanzen gehen musste, bis die schlimme Beleidigung gegen sie als solche anerkannt wurde. Ich dachte, dass die Richterin in Heilbronn das als Präzedenzfall anerkennt. Da habe ich mich getäuscht, aber ich gehe natürlich in Berufung.
In vielen Behörden fehlt das Bewusstsein, dass digitale Gewalt echte Gewalt ist.
Sawsan Chebli
Wie wichtig ist Meinungsfreiheit denn in dieser Debatte?
Indem wir uns bei Hasskriminalität auf Meinungsfreiheit berufen, gefährden wir eben diese. Ich möchte in einem Land leben, in dem die Meinungsfreiheit geschützt ist und nicht der Hass. Meine Eltern kommen aus einer Region, wo Menschen im Gefängnis sitzen dafür, dass sie gegen politische Missstände und für ihre Freiheit demonstrieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen die Meinungsfreiheit instrumentalisieren, um Hass zu verbreiten.
Was erwarten Sie von der Justiz?
Die rechtliche Grundlage ist da, es fehlt die konsequente Umsetzung. In vielen Behörden fehlt das Bewusstsein, dass digitale Gewalt echte Gewalt ist. Wir brauchen hier eine stärkere Sensibilisierung. Außerdem gibt es viel zu wenig geschultes Personal.
Was halten Sie von Elon Musk?
Elon Musk ist ein gefährlicher Mann. Ich finde es ohnehin fraglich, ob einzelne Menschen wie Musk oder Marc Zuckerberg so viel Macht haben sollten. Twitter hatte Ende 2022 fast 240 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Dass ein einziger Mann dieses gigantische Netzwerk bestimmt, finde ich gefährlich.
Was hat sich an Twitter noch verändert, seit Musk am Ruder ist?
Es ging auf Twitter schon vorher sehr brutal zu. Oft wurden Beleidigungen und Hass nicht gelöscht. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass noch viel weniger Interesse daran besteht, das zu bekämpfen. Und die Entscheidung, dass der blaue Haken auf Twitter kein Merkmal zur Authentifizierung mehr ist, sondern von jedem gekauft werden kann, halte ich für brandgefährlich. Seitdem bekomme ich übrigens viel Hass von Leuten mit blauem Haken ab.
Warum verlassen Sie Twitter nicht einfach?
Twitter hat trotz allem noch einen hohen Wert als Kommunikationsplattform. Ich sehe aktuell keine Alternative. Ich habe mir dort in den letzten Jahren eine Reichweite und damit eine Wirkmacht aufgebaut, die ich nicht so einfach hergeben möchte.
Was wäre dann die Lösung?
Ich wünsche mir, dass Europa aufwacht und ein eigenes soziales Netzwerk mit demokratischen Spielregeln schafft, das nicht von amerikanischen Milliardären abhängig ist. Das Geld wäre da, aber es fehlt der politische Wille, dieses Problem endlich anzugehen.
Halten Sie es für realistisch, dass so ein Riesenprojekt wirklich funktionieren und viele Nutzer erreichen könnte?
Wir sollten zumindest nichts unversucht lassen, das Netz von den Hatern und rechten Netzwerken zurückzuerobern. So viele Menschen nutzen soziale Medien. Ich glaube, dass viele sich eine Plattform mit demokratischen Spielregeln wünschen. Eine Plattform, auf der Streit und Debatte erwünscht sind, aber blinder Hass keinen Platz hat.
Danke für das Gespräch, Frau Chebli.
- Interview mit Sawsan Chebli