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Krieg in Nahost | Berliner Rabbi überrascht: "Islam ist ein großes Vorbild"


Trotz der Lage in Nahost
Berliner Rabbi: "Der Islam ist ein großes Vorbild"


Aktualisiert am 02.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Vor der t-online-Kamera sprechen Rabbiner Andreas Nachama, Imam Kadir Sancı und Pfarrer Gregor Hohberg unter anderem über den Krieg in Nahost. (Quelle: t-online)

Sie gehören unterschiedlichen Religionen an, doch der Glaube an die Menschlichkeit eint sie. t-online sprach mit drei Glaubensvertretern über den Krieg in Nahost, ihre Haltung zu Pro-Palästina-Protesten und darüber, was ihnen derzeit Hoffnung gibt.

Über Religion streiten sie nie, sagen Rabbiner Andreas Nachama, Imam Kadir Sancı und Pfarrer Gregor Hohberg, die gut gelaunt zum Gespräch mit t-online erscheinen. Ihr Verhältnis wirkt freundschaftlich. Im Dreiergespräch sind sie geübt, seit zwölf Jahren führen sie ihren interreligiösen Trialog. Jetzt scheint ihre friedliche Verbindung, die sie in die Welt tragen wollen, wichtiger denn je.

Nachama, Sancı und Hohberg sind Geistliche, die sich im "House of One" am Petriplatz in Berlin-Mitte engagieren. Noch ist das "House of One" kein richtiges Haus. Zwar wurde 2021 der Grundstein gelegt, aber derzeit ist es eine Baustelle, hinter der sich die Idee für ein deutschlandweit einzigartiges Projekt verbirgt.

So soll das "House of One" von außen aussehen.
So soll das "House of One" von außen aussehen. (Quelle: "House of One")

"House of One"

Das "House of One" ist ein interreligiöses Dialog- und Bauprojekt, das von Gregor Hohberg (Pfarrer), Kadir Sancı (Imam) und Tovia BenChorin (Rabbiner) ins Leben gerufen wurde. 2028 soll das Gebäude fertig gebaut sein.

Das "House of One" soll drei separate Gebetsräume unter einem Dach vereinen – eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee. Eine Begegnungsstätte soll die drei Gebetsräume miteinander verbinden. Angesichts des Krieges im Nahen Osten klingt die Initiative fast utopisch, fast naiv – oder?

Gesellschaft muss Andersdenkende aushalten

Imam Sancı schläft seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel schlecht, erzählt er t-online. Nachts liege er manchmal wach und denke an die Opfer des Krieges – auf beiden Seiten. "Anders kann ich die Situation nicht verkraften", sagt der Geistliche.

Rabbi Nachama geht es ähnlich. Er gibt die Hoffnung auf Frieden zwar nicht auf, "aber in der jetzigen Situation ist es schon schwer, daran zu glauben, das muss ich zugeben. Es ist eine schwierige Situation, keine Frage. Jedes Opfer ist eines zu viel", sagt Nachama und hält einen Moment inne.

Der Krieg im Nahen Osten macht sich auch in Berlin bemerkbar. "Das zeigt einmal mehr, dass die Welt viel kleiner geworden ist", sagt Imam Sancı. Man dürfe den Krieg nicht den Menschen in den betroffenen Regionen überlassen, sondern müsse die Probleme auch vor der eigenen Haustür verhandeln, fordert der Religionswissenschaftler. Dabei müsse die Empathie beiden Seiten gelten.

"Ich verstehe, dass das Angst macht", sagt Pfarrer Hohberg zu den Ausschreitungen auf den Straßen Berlins. Dennoch plädiert er dafür, als Mehrheitsgesellschaft "großherzig" auf den Reflex der Menschen zu reagieren, die auch hierzulande einen Bezug zu Israel oder Palästina haben. "Ich glaube, das ist etwas, was unsere Gesellschaft aushalten muss", sagt der Pfarrer t-online.

Antisemitismus hat gesellschaftliche Ursachen

"Man kann andere Positionen vertreten", zeigt auch Nachama Verständnis für das Bedürfnis der Menschen, ihre Anliegen zu artikulieren. Die Gründe für den Hass, der sich hierzulande auf den Straßen entlädt, liegen nach Ansicht des jüdischen Gelehrten aber nicht in den Religionen. Weder im Islam noch im Judentum oder Christentum werde Respektlosigkeit gegenüber Andersdenkenden gelehrt.

"Die Gesellschaft hat sich so entwickelt, dass die Position des anderen oftmals untergeht in einem Furioso. Ich warne vor solchen alleinseligmachenden Positionen", so Nachama. Konflikte eskalierten schnell. Den Menschen falle es immer schwerer, die Positionen des anderen zu akzeptieren. Statt miteinander zu reden, stünden Empörung und Aufschrei im Vordergrund, was in Gewalt münden könne, kritisiert Nachama.

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Dennoch verschließe der Historiker nicht die Augen davor, dass Antisemitismus in arabischen Ländern an Kinder weitergegeben wird. Dagegen anzukämpfen, sei dann in Deutschland ein langwieriger Prozess. "Wenn das nicht so wäre, würde unser Projekt doch gar keinen Sinn ergeben, gar nicht wichtig sein", unterstreicht Nachama die Bedeutung des "House of One". Man müsse Wege finden, einander die Hand zu reichen – egal wie schwierig die Ausgangslage sei, so der Geistliche.

"Diese Offenheit zu leben, ist natürlich im Konkreten ziemlich anstrengend", räumt Pfarrer Hohmann ein. Dennoch ist er davon überzeugt, dass sogar diejenigen, die als "Krawallmacher" gelten, erreicht werden können – "wenn man sich mit denen in Ruhe hinsetzt, ihnen zuhört und respektvoll begegnet".

"Der Islam ist ein großes Vorbild"

Die Lösung für ein friedlicheres Zusammenleben könnte laut Rabbiner Nachama sogar im Islam selbst liegen. "Gerade der Islam ist ein großes Vorbild", so der Historiker. Dabei bezieht sich der Rabbiner auf das Osmanische Reich. Das damalige Herrschaftsgebiet galt als transethnischer und transnationaler Staat, in dem Menschen aus sehr vielen verschiedenen Kulturen in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften lebten.

"Ich plädiere dafür, die Grenzen möglichst unsichtbar zu machen, aber nicht die Religionen zu verwässern", so der Geistliche. Utopisch sei das nicht. In der Geschichte gebe es viele Beispiele dafür, dass sich verfeindete Völker annähern können. Auch Europa sei jahrhundertelang ein "Schlachtfeld" gewesen.

Menschen werden den Nahostkonflikt lösen

"Ich bin wahnsinnig hoffnungsvoll", sagt auch Hohberg, der selbst in der DDR aufgewachsen ist und mit dem Fall der Mauer eine friedliche Revolution erlebt hat. "Es wird immer wichtig sein, dass es viele sind, die für die Idee von Gewaltfreiheit und Frieden aufstehen", weiß der Geistliche.

In Zeiten wie diesen hilft vielleicht nur der Glaube an ein Wunder. Nachama glaubt lieber an die Kraft der Menschen selbst. "Die Weltgeschichte besteht immer aus unerwarteten Wendungen", so der Rabbiner. "Ich setze darauf, dass sich der Nahostkonflikt löst, weil Menschen auf Ideen kommen, mit denen sie die Spirale der Gewalt durchbrechen können", sagt er.

Sancı, Hohberg und Nachama leben mit ihrer Vision des "House of One" tagtäglich, wovon Menschen in anderen Teilen der Welt träumen – verständnisvoller Austausch, Toleranz, Frieden. Die drei verschließen ihre Augen nicht vor der Realität. Sie wissen, wie es um die Welt steht. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Weg zu Gott gefunden, aber gemeinsam stehen sie für alle Menschen, die an eine friedliche Zukunft glauben.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Andreas Nachama, Kadir Sancı und Gregor Hohberg
  • house-of-one.org
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