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Bremens Kliniken am Limit: Intensivschwestern berichten – "Mitarbeiter ausgebrannt"


Situation an Bremer Kliniken
Intensivschwester: "Die Leute sind überlastet ohne Ende"

Von t-online, stk

Aktualisiert am 19.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Intensivstation eines Krankenhauses (Symbolfoto): Angestellte Bremer Kliniken arbeiten am Limit.Vergrößern des BildesIntensivstation eines Krankenhauses (Symbolfoto): Angestellte an Bremer Kliniken arbeiten am Limit. (Quelle: IMAGO/Christoph Reichwein)
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Corona, Stress, Ferienzeit: Die Situation an den Bremer Kliniken spitzt sich zu. Zwei Intensivschwestern berichten aus ihrem Alltag.

Sie machen ihren Job gerne, betonen sie. Immer wieder sei es ein schönes Gefühl, wenn schwerkranke Patienten gesund die Station verlassen. Ihre Arbeit sei abwechslungsreich, ihre Arbeit sei interessant, genau deshalb hätten sie diesen Beruf einst gewählt. Doch viele Krankenpflegende an Bremer Kliniken können nicht mehr. Ihnen geht die Kraft aus – und das nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie. Die sei nur "das i-Tüpfelchen".

Im Gespräch mit t-online schildern zwei Intensivkrankenschwestern aus Bremen, wie sie ihren Alltag erleben. Einen Alltag, in dem es mittlerweile weniger um die eigentliche Pflege gehe als vielmehr um die Organisation freier Betten. Ein Alltag bestimmt von Stress, von massiven Krankheitsausfällen innerhalb der Belegschaft – und von der Aussicht, dass das alles in naher Zukunft auch nicht besser wird.

Beide Frauen, die ihren Namen aus Furcht vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht nennen wollen, der Redaktion jedoch bekannt sind, betonen, dass die personelle Schieflage in den Kliniken nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie bestehe. "Diese Probleme gibt es schon lange. Schon vor Corona mussten wir regelmäßig Betten sperren", sagt eine der Frauen. Bis heute habe sich daran so gut wie nichts geändert.

"Situation sehr angespannt"

"Wir sehen mit Sorge auf die stark steigenden Infektionszahlen", sagt auch Karen Matiszick, Pressesprecherin der Gesundheit Nord (Geno) t-online. Der Klinikverbund vereint vier Bremer Krankenhäuser: das Klinikum-Mitte, das Klinikum-Ost, das Klinikum Links der Weser (LdW) und das Klinikum-Nord. In allen vier Krankenhäusern sei die Personalsituation "derzeit tatsächlich sehr angespannt." Auch sie macht klar: "Das ist aber auch in den vergangenen Wochen nicht grundlegend anders gewesen."

Viele Mitarbeiter befänden sich aufgrund einer Corona-Infektion in Isolation, zurzeit seien es rund 200, es gebe aber auch Zeiten, da fielen 300 Angestellte aus. Insgesamt beschäftigt die Geno etwa 8.000 Mitarbeiter, davon rund 3.000 in der Berufsgruppe der Pflege und etwa 1.000 Ärzte. Hinzu komme momentan die Urlaubszeit sowie "der ohnehin herrschende Fachkräftemangel in der Pflege".

Weniger Personal auf der einen Seite, immer mehr Patienten, die mit den Folgen schwerer Corona-Infektionen auf die Stationen kommen, auf der anderen. Dieser Mix führe dazu, dass "die Belastung für unsere Kliniken dauerhaft hoch" sei, sagt Matiszick. In den vergangenen Wochen und Monaten habe es deshalb "keine Phase der Entspannung" gegeben.

Erste Operationen werden verschoben

In der Konsequenz müssten erste Operationen verschoben, Betten aus dem System genommen und Patienten in andere Krankenhäuser verlegt werden. Da alle vier Kliniken als "Akutkrankenhäuser" eingestuft sind, sei die Zahl der verschobenen OPs "eher gering". "Notfalleingriffe oder Krebsoperationen werden nicht verschoben". Wann überhaupt wieder mit einer Entspannung der Situation zu rechnen sei, könne man "angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen derzeit nicht voraussehen", sagt Matiszick.

Patienten einfach in andere Kliniken bringen, wenn die eigene Station voll ist? Klingt simpel, ist in der Realität aber meist nicht umsetzbar. Das berichten zumindest die Krankenschwestern, mit denen t-online sprechen konnte. Seit Jahren, so schildern es die Frauen, sei es stets das gleiche Prozedere: Sei die eigene Station voll, reiche ein kurzer Blick in den Computer, um zu wissen, dass in der ganzen Stadt regelmäßig nur ein Intensivbett frei sei. Ärzte würden seit Jahren ihren eigentlichen Aufgaben kaum noch nachkommen können, weil "die nur noch damit beschäftigt sind, freie Betten zu finden".

Um dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern, werde immer mehr Personal aus dem Ausland auf Bremer Intensivstationen geholt. Grundsätzlich sei dieses Vorgehen auch zu begrüßen, doch im Alltag entstünden häufig zusätzliche Probleme, berichten die Intensivschwestern: Zu Sprachbarrieren kämen ganz andere Abläufe hinzu, eine andere Ausbildung, kulturelle Unterschiede. Schnell würden so "Routineaufgaben zur Herausforderung." Sei die Einarbeitung der Fachkräfte aus anderen Ländern erst einmal abgeschlossen, seien viele auch wieder weg.

"Da fragt man sich: Wo führt das hin"?

Viele Kollegen, ob nun aus dem Ausland oder nicht, drehten ihrem einstigen Arbeitgeber den Rücken zu. Häufig geschehe das nicht freiwillig, sondern aus der Not heraus. Viele Zeitarbeitsfirmen würden einfach besser bezahlen und Arbeitsmodelle anbieten, "wo man auch mal durchatmen kann", sagt eine Schwester. Ständiger Stress durch immer weiter steigende Patientenzahlen bei immer kleiner werdender Belegschaft, kaum bis keine Pausen und obendrauf Masken, die täglich, je nach Schicht und bei körperlichen Höchstleistungen bis zu zehn Stunden getragen werden müssen. "Da fragt man sich: Wo führt das hin?"

Trotz aller Liebe und Hingabe zum Beruf seien "viele Mitarbeiter einfach ausgebrannt." Immer häufiger bekämen die Krankenschwestern von ihren Kollegen zu hören: "Ich kann das nicht mehr, ich mach das nicht mehr." Schichtleitungen müssten täglich neue Dienstpläne ausarbeiten, immer auf der Suche nach dem einen Mitarbeiter, der noch einspringen kann. "Normale Krankheitsfälle können heute so gut wie gar nicht mehr ausgeglichen werden."

Auch ein Blick auf die offiziellen Zahlen zeigt: Viel dramatischer dürfte die Situation nicht werden. Nach den täglichen Berechnungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI) sind in Bremen und Bremerhaven zurzeit von insgesamt 160 Intensivbetten 150 belegt (Stand 18.7.2022). Vergangene Woche waren es sogar noch mehr, da gab es zwischenzeitlich nur zwei bis vier freie Betten, die neben Corona-Patienten auch für Herzinfarkt-Patienten, Krebsleidende oder Unfallopfer bereitstanden.

Bremerhaven: Hospitalisierungsrate fast verdreifacht

Ebenfalls stark angestiegen sind die Hospitalisierungsraten in beiden Städten: Lag der Wert für Bremerhaven am vergangenen Freitag noch bei 3,52, befindet er sich mit Stand vom 18. Juli 2022 bei 10,57. Der Wert für Bremen wird mit 3,88 angegeben. Die steigenden Zahlen der Neuinfektionen und Krankenhauseinlieferungen treffen auch im Bremerhavener Klinikum Reinkenheide auf ausgedünntes Personal. Aktuell, so Pressesprecher Henning Meyer zu t-online, liege der Krankenstand bei rund zehn Prozent. Etwa 200 der insgesamt rund 2.000 Angestellten befänden sich in Isolation.

"Plan- oder verschiebbare Eingriffe sowie Behandlungen", sagt Meyer, "müssen derzeit mitunter zurückgestellt werden, wenn auch in deutlich geringerem Maße als etwa zur Osterzeit." Medizinisch notwendige Eingriffe und Notfälle könnten jedoch weiter behandelt werden. "Die Lage ist aus unserer Sicht insgesamt angespannt", die Entwicklung der kommenden Tage und Wochen sei nur schwer abschätzbar.

Etwas entspannter, wenn auch "anspruchsvoll", sei die Lage am Diako Bremen. Fünf bis zehn Prozent der rund 1.000-köpfigen Belegschaft seien derzeit krank, Operationen würden nicht verschoben. Ein weiteres großes Krankenhaus, das Rot-Kreuz-Krankenhaus in der Neustadt, äußerte sich auf Anfrage von t-online nicht zur aktuellen Personalsituation.

Trotz regelmäßigen Beteuerungen aus der Politik, man arbeite an einer Verbesserung der Lage, sehen die beiden Intensivschwestern pessimistisch in die Zukunft. Ihre Stationen hätten innerhalb kürzester Zeit mehrfach Kündigungen von Kollegen erreicht, die Personaldecke werde somit immer dünner. "Die Leute sind krank ohne Ende. Die Leute sind überlastet ohne Ende. Die Leute haben keinen Bock mehr!"

Übrigens: Auf den seit lange versprochenen Corona-Bonus für Angestellte in Krankenhäusern warten die Intensivschwestern bis heute. "Es bleibt spannend – in jeder Hinsicht."

Verwendete Quellen
  • Presseanfrage Gesundheit Nord
  • Presseanfrage Diako Bremen
  • Presseanfrage Klinikum Bremerhaven Reinkenheide
  • Eigene Recherchen
  • Gespräche mit Intensivkrankenschwestern
  • Daten des DIVI vom 18.07.2022
  • Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz
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