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Rotenburger Landrat löscht Twitter-Account: "Toxisch"


Lokalpolitiker löscht Twitter-Account
"Du lässt konstant Negatives in dein Leben – das ist toxisch"

Von Steffen Koller

14.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Kein Bock mehr auf Twitter: Rotenburgs Landrat Marco Prietz hat seinen Account gelöscht, will nichts mehr mit den "Nerd-Diskussionen" auf der Plattform zu tun haben.Vergrößern des Bildes
Kein Bock mehr auf Twitter: Rotenburgs Landrat Marco Prietz hat seinen Account gelöscht, will nichts mehr mit den "Nerd-Diskussionen" auf der Plattform zu tun haben. (Quelle: Tobias Koch)

Rotenburgs Landrat Marco Prietz hat es satt und löscht seinen Twitter-Account. Was hat den Politiker dazu bewogen und wie lebt es sich ohne "Gezwitscher"?

Zehn Jahre ist es her, dass sich der Landrat des Kreises Rotenburg (Wümme), Marco Prietz, einen Twitter-Account angelegt hat. Zehn Jahre, in denen er selbst nicht viel postete, jedoch die zahlreichen Diskussionen auf der Plattform verfolgte. Diskussionen, die er als abstoßend empfand, die ihn erschreckt haben – und letztlich auch etwas mit ihm gemacht haben. Anders als es der Begriff "soziales Medium" suggeriere, "ist dort nichts sozial", sagt Prietz.

Während er anfangs bei Twitter nur mal "reinschnuppern" wollte, nutzte er während des vergangenen halben Jahres die Plattform aktiv. Er postete zwar wenig, "beobachtete" vielmehr und wollte die Mechanismen verstehen, die hinter der Plattform stecken. Der tägliche Nachrichtenüberblick, ein Informationsschnipsel hier, eine Meldung dort – dafür schien die Plattform bestens geeignet.

Schnell habe Prietz jedoch für sich entschieden: "Als Person will ich mich da nicht mehr tummeln." "Rau und aggressiv" habe er den Umgangston in den einzelnen Diskussionen wahrgenommen, "selten jedoch einen ernsthaften Austausch" über politische, gesellschaftliche oder auch Themen des täglichen Lebens erlebt.

"Kann negativen Mist nicht mehr ertragen"

In einem Post, den er am 4. Januar auf Instagram veröffentliche, begründete er seinen Rückzug vom Mikroblogging-Dienst unter anderem damit, dass er "so viel negativen Mist nicht ertragen" könne. Seine Lebenszeit sei ihm zu schade, um sie für die "digitalen Saalschlägereien" zu verschwenden, die dort regelmäßig stattfinden würden.

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In seinem Post zieht Prietz zudem einen Vergleich, der das Verhalten vieler, aber "nicht aller!", widerspiegele: "Als junger Besucher einer Zeltfete wurde ich mal Zeuge, wie sich zwei Frauen vor der Fischbude gegenseitig mit ihrem Bismarck-Brötchen beworfen haben. Im Vergleich zu Twitter hatte diese Auseinandersetzung intellektuellen Tiefgang." Er fühle sich nun "sauber" und von "einer Last befreit", schreibt er weiter.

Der 34-jährige CDU-Politiker, der im September 2021 zum Rotenburger Landrat gewählt wurde, sieht die Gründe für die ausufernden Diskussionen nicht nur bei den Nutzern selbst, auch das System, die Algorithmen des Programms, würden dazu führen, dass Diskurse häufig nur in "Filterblasen" stattfänden. Filterblasen, in denen viele Nutzer und Nutzerinnen "gefangen" seien, sich gegenseitig "pushen" und bestätigen würden.

Kommunikation über klassische Medien

Eine zielführende Gesprächskultur vermisste er in den allermeisten Fällen: "Nur sehr selten habe ich dort einen ernsthaften Austausch erlebt", sagt Prietz. Das liege seiner Meinung nach auch im Aufbau des Nachrichtendienstes: 280 Zeichen dürfen Posts maximal haben – komplexe Themen würden so auf wenige Sätze reduziert, eine echte Diskussion sei dadurch nur schwer möglich. "Nur wer das Krasseste postet, wer am lautesten schreit, wird gehört." Das führe dazu, dass es "sofort Beleidigungen" gebe und Diskussionen "sehr, sehr persönlich werden".


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Wann zur Hölle haben die Leute Zeit dafür, den ganzen Tag zu twittern?


Marco Prietz, Landrat im Kreis Rotenburg (Wümme)


Er könne verstehen, dass zum Beispiel Journalisten Twitter als ein "Art Seismografen" nutzen, um zu verstehen, was Teile der Bevölkerung beschäftige. Als Kommunalpolitiker habe er jedoch die Erfahrung gemacht, dass es andere – und vor allem nützlichere Wege – der Kommunikation gebe.

Er nutze noch ganz klassisch die Lokalpresse als Medium, kommuniziere aber auch über Instagram und Facebook mit den Menschen aus der Region. "Ich packe Neuigkeiten auch mal in den Status bei WhatsApp, es gibt viele Wege und ich erreiche die Leute auch so", ist sich Prietz sicher.

"Nerd-Diskussionen"

Diese Wege seien vor allem in einer dünn besiedelten Region wie Rotenburg "adressatengerecht" und würden die Menschen erreichen. "Twitter", sagt Prietz, "scheint mir eh so Berliner Ding zu sein." Viele politische Themen hätten in der Hauptstadt ihren Ursprung, würden auf dem Land aber nur selten Priorität genießen. Das Gender-Thema sei exemplarisch dafür: In Berlin viel diskutiert, sei das aber "keine Frage, die die breite Masse interessiert". Für Prietz seien das "Nerd-Diskussionen".

Es gehe vielmehr um Grundlegendes, wie Steuern, Altenheime und medizinische Versorgung. Vieles davon werde entweder gar nicht oder nur verkürzt bei Twitter diskutiert, deshalb auch sein Fazit: "Twitter spiegelt nicht die Lebenswirklichkeit wider."

Instagram und Facebook nutze er jedoch weiterhin, und das auch aktiv. Im Gegensatz zu Twitter, so Prietz, habe er Diskussionen dort besser in der Hand, könne längere Beiträge verfassen und mit den Menschen ins Gespräch kommen. "Eine komplette Welt in zwei Sätzen zu erklären, genau das wird Themen oft nicht gerecht."

Resonanz durchweg positiv

Am 4. Januar entsagte Marco Prietz letztlich dem Nachrichtendienst, auch wenn er selbst keinen verbalen Anfeindungen ausgesetzt war. Für diese Entscheidung habe er seitdem durchweg positive Resonanz erhalten, berichtet er. "Genau richtig gemacht!", hätten die Menschen erst kürzlich bei einem Neujahrsempfang zu ihm gesagt.

Mehr als eine Woche verbringt der Landrat nun ohne Twitter – und das tue ihm gut: "Wenn man morgens mit Twitter aufsteht und abends mit Twitter ins Bett geht, dann macht das was mit einem. Du lässt konstant Negatives in dein Leben – das ist toxisch." Für sechs Monate sei "Hetze ein ständiger Begleiter" gewesen, damit ist jetzt Schluss.

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Eine Sache hat Prietz indes bis heute nicht verstanden: Viele Politiker, insbesondere aus der Bundeshauptstadt, würden seiner Erfahrung nach täglich Dutzende Tweets absetzen und das bei einer 50-Stunden-Woche oder mehr. Er selbst stehe um etwa 6 Uhr auf, beginne um gegen 7 oder 8 Uhr mit der Arbeit und komme häufig, bedingt durch Abendtermine, nicht vor 22 Uhr nach Hause. "Wann zur Hölle haben die Leute Zeit dafür, den ganzen Tag zu twittern?"

Interessieren braucht es ihn nicht mehr, Twitter gehört für den 37-Jährigen der Vergangenheit an. Auf die Frage, ob er Twitter vermisse, antwortet Prietz: "Überhaupt nicht, kein bisschen."

Verwendete Quellen
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