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Hamburg: Frau nimmt Obdachlosen auf – nach fast 20 Jahren auf der Straße


Frau nimmt ihn auf
Obdachloser bekommt nach fast 20 Jahren eine Wohnung

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 21.12.2022Lesedauer: 3 Min.
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Christian und Julia packen sein Gepäck in ihr Auto: Der 40-Jährige lebte fast 20 Jahre auf der Straße.Vergrößern des Bildes
Christian und Julia packen sein Gepäck in ihr Auto: Der 40-Jährige lebte fast 20 Jahre auf der Straße.

Kurz vor Weihnachten kommt er endlich runter von der Straße: Eine Frau nimmt einen ihr bislang unbekannten Obdachlosen auf – bedingungslos.

Als Christian seine ersten Taschen in den Kofferraum packt, huscht ein vorsichtiges Lächeln durch sein Gesicht. Der 40-Jährige wirkt sonst schüchtern, mit vorsichtigem Blick und leiser Stimme. Fast 20 Jahre hat er alleine auf der Straße gelebt. Im Hamburger Schnee packt er an diesem Donnerstag seine Sachen, womöglich um ein neues Leben zu beginnen. Julia hat sich bereit erklärt, ihn in einer ihrer Ferienwohnungen in der Lüneburger Heide einziehen zu lassen. Kostenlos und ohne jegliche Bedingungen.

"Wir brauchen mehr so Chancengeber wie Julia", sagt Max Bryan, der die beiden zusammengebracht hat. Bryan war selbst obdachlos, vor genau zehn Jahren sprach ihn eine Fremde an und nahm ihn auf. Heute hilft er mit seiner Initiative "Hilfe für Hamburger Obdachlose" anderen Menschen, die auf der Straße leben. "Ganz viele Leute haben Berührungsängste. Für Christian haben wir mehr als 300 Personen, Vereine und Unternehmen angeschrieben, um eine Wohnung zu finden oder eine Fläche, auf der er sicher sein Lager aufschlagen kann."

Laut NDR gelten in diesem Jahr fast 20.000 Menschen in Hamburg als wohnungslos, dazu zählen auch Geflüchtete ohne eigene Wohnung. In keiner anderen Stadt ist die Zahl der Wohnungslosen auf 100.000 Einwohner so groß. Auf der Straße leben laut einer Studie von 2018 etwa 2.000 Menschen.

Hamburg: Obdachloser bekommt eigene Wohnung – viele bleiben auf der Straße

"Die Situation in Hamburg ist katastrophal. Es gibt viel zu wenig Notunterkünfte", sagt Bryan. Nach Angaben der Hamburger Sozialbehörde gebe es mehr als 1.000 Plätze im städtischen Winternotprogramm. "Die Menschen haben Klischees: Alkohol, Drogen und psychische Probleme gibt es natürlich, aber doch nicht bei allen." Christian sei ein Einzelgänger, der im Leben viel Pech gehabt habe und in sich gekehrt lebe. "Ich bürge für ihn", sagt Bryan.

"Jeder hat seinen eigenen Kopf, die Menschen unterstützen sich zu wenig", sagt Christian. "Wir müssen mehr aufeinander zugehen und das Menschliche wieder finden." Er hat schon viel Ablehnung erfahren, wurde angegriffen und beklaut. Sein Hab und Gut passt in ein Zelt, einen Einkaufswagen und ein mobiles "Kälte-Iglu", das er vor einem Jahr von Max Bryan bekommen hatte. Für andere Obdachlose ist Bryan noch auf der Suche nach geeigneten Flächen – mehr als Gespräche gebe es bislang aber nicht.

Auf Facebook von Wohnungssuche erfahren

Die Nachricht, dass es nun eine Wohnung für ihn gebe, habe Christian "ganz locker aufgenommen". Es wirkt, als habe er noch nicht realisiert, was ihm an diesem verschneiten Donnerstag passiert. "Ich bin jetzt auf dem Sprung", seine Augen funkeln. Mit seiner neuen Vermieterin Julia fährt er in die Lüneburger Heide. "Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, bin gespannt wie das wird." Auf Julias altem Bauernhof, mitten im Naturpark, soll es Pferde geben.

Julia hat auf Facebook von Christians Gesuch erfahren. Aus ihrem Angebot für den Obdachlosen will sie keine große Sache machen. "Warum nicht? Wenn man etwas hat, kann man es teilen", sagt sie. Schon ihre Eltern hätten Obdachlose aufgenommen. "Das ist für mich nichts Unbekanntes. Es sind Menschen wie alle anderen auch, die vielleicht etwas mehr Unterstützung brauchen. Ich sehe da kein Problem."

Christian bekommt eigenes Bad und eigene Küche

Auf Christian wartet ein eigenes Zimmer mit Bad und Küchenzeile in der Pension von Julias Familie. "Ich gehe da erst mal mit ganz niedrigen Erwartungen ran. Wenn er Kontakt möchte, bin ich dafür offen. Wenn er für sich sein möchte, ist das völlig in Ordnung", sagt sie. "Wenn wir andere Pensionsgäste bekommen, wissen wir auch nicht vorher, wer da kommt." Wie lange Christian dort bleiben wird, ist noch offen. "Wir schauen mal, wie sich das entwickelt", sagen die beiden bei ihrem ersten Treffen.

"Das ist wirklich sehr wichtig, dass Christian da seine Privatsphäre bekommt", sagt Max Bryan. Für Menschen, die auf der Straße leben, sei enger Kontakt mit anderen oft nicht einfach. In städtischen Unterkünften gebe es kaum Rückzugsmöglichkeiten. "Da entstehen schnell Konflikte. Nach so langer Zeit muss man sich auf dieses neue Leben erst mal einstellen." Auch er habe damals "Glück gehabt", von einer Fremden so viel Vertrauen zu bekommen. "Ich war im Warmen, wurde bekocht, das war riesig." Seit 2012 musste Bryan nie wieder auf der Straße leben.

Bevor Christian sein Lager im Schanzenviertel zusammenpackt, wirkt er unschlüssig. "Was darf ich alles mitnehmen?", fragt er Julia. "Das musst du entscheiden", sagt sie ihm. Zusammen packen sie seine Taschen in den Kombi und Christian ist voller Tatendrang. "Pass auf dich auf", sagt er mir zum Abschied.

Verwendete Quellen
  • Anfrage bei der Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration
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