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Hamburger Frauenärztin alarmiert: "Müssen Schwangere mit Wehen abweisen"


Gesperrte Kreißsäle
"Wir müssen Schwangere mit Wehen abweisen"


Aktualisiert am 21.12.2022Lesedauer: 3 Min.
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Eine erschöpfte Pflegerin sitzt auf einem Flur (Symbolbild): Das deutsche Gesundheitssystem ist stark belastet.Vergrößern des Bildes
Eine erschöpfte Pflegerin sitzt auf einem Flur (Symbolbild): Das deutsche Gesundheitssystem ist stark belastet. (Quelle: Westend61/Clique Images/imago-images-bilder)

Die Kliniken in Deutschland sind überfüllt. Eine Frauenärztin schlägt jetzt Alarm: Die Situation könne schnell lebensbedrohlich werden.

Die Lage in Hamburgs Krankenhäusern wird immer schwieriger. "Wir müssen Schwangere mit Wehen abweisen, weil wir keine freien Kapazitäten mehr haben", berichtet Oberärztin Rebekka Westphal im Gespräch mit t-online. Die Frauenärztin hatte vor wenigen Tagen einen ergreifenden Hilferuf auf Instagram gepostet und damit viel Aufmerksamkeit bekommen.

"Wir hängen schon (mehr als) halb über dem Abgrund", schrieb Westphal auf ihrem privaten Profil. Der Beitrag hat schon weit mehr als 3.000 Reaktionen hervorgerufen, wurde auch auf Twitter geteilt. "Wir müssen derzeit etwa alle zwei Tage unseren Kreißsaal für mehrere Stunden sperren", berichtet sie t-online auf Nachfrage. Die Hochschwangeren müssen dann an andere Kliniken verwiesen werden – doch hier sieht es meist nicht besser aus. "Ist unser Kreißsaal nicht gesperrt, nehmen wir häufig Frauen aus anderen Kliniken auf, wenn diese keine Kapazitäten haben. Wir schicken also hochschwangere Frauen durch ganz Hamburg, je nachdem, welcher Kreißsaal der Stadt noch Kapazitäten hat."

Hamburg: Nicht alle Kreißsäle können ausreichend versorgt werden

Das Problem: Wie in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung fehlt Personal, die Krankheitswelle verschärft den Mangel. "Wenn wir auf der Nachsorgestation keine Betten mehr haben, können wir natürlich auch keine neuen Frauen zur Geburt aufnehmen", erklärt die Oberärztin einer großen Hamburger Frauenklinik. Teilweise können frisch gebackene Mütter für eine Nacht in den Kreißsälen "geparkt" werden. "Wir haben ja genügend Betten, aber zu wenig Personal, um diese auch zu versorgen." In diesem Jahr hätten rund 20 Pflegerinnen gekündigt, Ersatz gibt es auf dem Arbeitsmarkt kaum.

Selbst Frauen, die vorab für eine Geburt angemeldet waren, kann aufgrund der aktuellen Lage nicht immer ein Platz garantiert werden. Westphal schätzt, dass allein in ihrer Klinik bis zu 20 Schwangere pro Monat abgewiesen werden müssen, weil die acht vorhandenen Kreißsäle nicht genutzt werden können. "Das ist ein furchtbarer, zusätzlicher Stress in einer für die gebärenden Frauen absoluten Ausnahmesituation, die eigentlich viel Vertrauen braucht und dazu noch sehr intim ist", sagt Westphal, die selbst Mutter ist.

Zu wenig Zeit für optimale Versorgung selbst bei Notfällen

Sie fürchtet, dass die Lage im Gesundheitssystem immer angespannter, wenn nicht sogar lebensbedrohlicher wird. "Bei Notfällen muss in kürzester Zeit triagiert werden, also entschieden werden, wer als Erstes versorgt wird." Die Prozesse in Krankenhäusern seien zwar standardisiert und die Kollegen gäben ihr Bestes, es sei aber schlichtweg zu wenig Zeit für die optimale Versorgung. "Das ist einfach nicht zu schaffen", sagt sie. Besonders gefährlich werde es, wenn die Symptome bei Ankunft nicht eindeutig zuzuordnen sind. "Wenn eine Blutvergiftung beispielsweise als Dehydration diagnostiziert wird, können verlängerte Wartezeiten sehr schnell lebensbedrohend werden."

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Erst in diese Woche wurde in Hamburg schnell klar, wie dramatisch die Lage in der Notfallversorgung ist: Wegen vereister Straßen und vieler Unfälle kamen die Rettungsdienste nicht hinterher, eine Turnhalle wurde kurzerhand zum Triage-Zentrum umfunktioniert. Lesen Sie hier mehr dazu.

"Das ist das Grundrezept für einen Burnout"

"Wir sind alle durch die letzten Jahre total überarbeitet", sagt Westphal zur Stimmung in den Krankenhäusern. Aus ihrer Sicht seien die Pflegekräfte noch stärker betroffen. "Ärzte bekommen immerhin mehr gesellschaftliche und finanzielle Wertschätzung. Die Kombination aus Überarbeitung und unzureichender Anerkennung ist leider das Grundrezept für einen Burnout", sagt sie, die ihren Beruf trotz allem liebe. "Wir müssen die ursprüngliche Bedeutung unseres Berufes wiederfinden und das ist menschlich und gemeinsam nah an den Patienten sein."

Auch privat habe die Lage in den Krankenhäusern negative Folgen: "Mein Mann arbeitet in einer Notaufnahme und wir sehen uns fast nur noch, wenn wir uns unsere Kinder übergeben", sagt Westphal. Seit Wochen gehe das so. "Wir und viele andere im Gesundheitswesen brennen für ihre Berufe, werden gerade aber verbrannt."

Ärztin forder mehr Personal, auch wenn das mehr koste

In ihrem Instagram-Beitrag stellt Westphal schließlich die Frage: "Wird es nicht Zeit, dass wir laut werden, richtig laut?" Wie das aussehen könnte, weiß sie aber nicht, wie sie t-online gesteht. "Ich will für meine Patientinnen, die bestmögliche Ärztin sein. Proteste oder Streiks müssen weh tun, die Patienten sind aber trotzdem da und brauchen Hilfe", beschreibt sie ihr moralisches Dilemma. "Außerdem fehlt mir und sicher vielen anderen die Kraft, so etwas zu organisieren."

Lösungen wie einfach mehr Geld zu zahlen, würden zu kurz greifen. "Die systemischen Probleme sind einfach viel zu groß und zu vielseitig", sagt sie. Ein wichtiger Anfang wäre jedoch, deutlich mehr Personal zu haben – auch wenn das mehr koste. "Natürlich ist Wirtschaftlichkeit irgendwo wichtig, die Privatisierung der Kliniken hat aber leider zu keinem Wettbewerb um bessere Bedingungen für alle geführt."

Verwendete Quellen
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