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Hamburg | Schüsse auf Zeugen Jehovas: Philipp F. versteckte Wahn nicht


Acht Tote in Hamburg
Diese Inkompetenz hat Leben gekostet

  • Gregory Dauber
MeinungVon Gregory Dauber

Aktualisiert am 14.03.2023Lesedauer: 3 Min.
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Beschädigte Glasscheibe am Gebäude der Zeugen Jehovas:Vergrößern des Bildes
Beschädigte Glasscheibe am Gebäude der Zeugen Jehovas: Hier erschoss Philipp F. sieben Menschen und tötete sich anschließend selbst. (Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa)

Der Amokläufer und Ex-Zeuge-Jehovas Philipp F. versteckte seinen Wahn nicht. Die Behörden hätten nur richtig hinschauen müssen.

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer musste heute eine unbequeme Wahrheit aussprechen: Die ihm zugeordnete Waffenbehörde hat versagt. Natürlich hat er das so nicht gesagt – es war aber das, was viele Anwesende sich wohl gedacht haben, als Meyer versuchte zu erklären, was seine Behörde zum späteren Amokläufer Philipp F. versuchte herauszufinden. Die zuhörenden Medienvertreter blickten sich fassungslos an.

Ein anonymes Schreiben zog Ende Januar die Aufmerksamkeit der Waffenbehörde auf sich. In diesem Schreiben wurde vor Philipp F. gewarnt: Er sei gefährlich und weigere sich, wegen psychischer Probleme einen Arzt aufzusuchen. In dem Brief, dessen Verfasser weiterhin unbekannt ist, ist auch die Rede von einem Buch, das F. geschrieben haben soll.

Hamburger Behörde hat Warnung nicht ernst genug genommen

Am Tag nach seiner Tat bekam die Öffentlichkeit erschütternde Einblicke in F.s Gedankenwelt: Das Buch strotzt vor Antisemitismus, historischer Verwirrung und Frauenhass. Das Werk eines religiösen Extremisten. t-online war das erste Medium, das vertieft über die Inhalte des Manifests berichtete. Heute weiß auch der Polizeipräsident, dass F. niemals hätte eine Waffe besitzen dürfen. Wie seine Behörde nach dem anonymen Hinweis versucht haben will, das Buch aufzuspüren, macht sprachlos.

Meyer stellt sich vor seine Mitarbeiter. Gute Chefs machen das so. Darüber, dass die Sachbearbeiter nicht in der Lage waren, ein bei Amazon vertriebenes Buch bei Google zu finden, kann er aber nicht hinwegtäuschen. Schließlich seien sie keine Rechercheexperten, sagt er. An wenigen Stellen der Pressekonferenz im Rathaus blitzt eine möglicherweise andere Wahrheit durch: Etwa dann, wenn Meyer davon spricht, dass das Buch "auch nach längerem Runterscrollen auf der Seite" nicht zu finden gewesen sei.

Polizeipräsident sieht Fehler eher bei anonymem Hinweis

Der Polizeipräsident betont stattdessen mehrfach, wie wenig hilfreich anonyme Hinweise an die Polizei seien. Andere Wege des Hinweisgebers wären wünschenswert gewesen. Absurd: Meyer versucht fünf Tage nach der Tat, die acht Menschenleben kostete, die Verantwortung zu verschieben.

Allen anderen stellt sich die Frage, was bei der Waffenbehörde tatsächlich gelaufen ist. Ist die Internetkompetenz der Beamten wirklich so schlecht, dass man von ihnen nicht simple Google-Suchen erwarten kann? Haben sie so oberflächlich die Website des Amokläufers angeschaut, dass sie nicht auf eindeutige Hinweise auf das Buch gestoßen sind? Die heiße Spur war ihnen auf dem Silbertablett präsentiert worden, jetzt muss detailliert aufgeklärt werden, warum sie verloren ging.

Die eklatanten Mängel im Umgang mit dem Waffenbesitzer Philipp F. offenbaren den Handlungsbedarf, den es höchstwahrscheinlich nicht nur in der Hamburger Waffenbehörde gibt. Es kann sogar gut möglich sein, dass viele Behörden nach dem anonymen Hinweis erst gar nicht so weit gegangen wären wie die Hamburger, die immerhin versucht haben, dem nachzugehen. Deswegen ist es mit der richtigen, aber altbekannten Forderung nach einer Verschärfung des Waffengesetzes nicht getan.

Dienststellen müssen kompetenter und moderner werden

Potenzielle Täter, die legal an Waffen kommen und vorher ihre menschenverachtende Weltanschauung im Internet preisgeben, müssen aufgehalten werden. Das wird mit fünfminütigen Google-Abfragen und drei Suchbegriffen nicht klappen. Jedes noch so scharfe Waffengesetz wird scheitern, solange die Dienststellen nicht effektiver, kompetenter und auch moderner werden.

Die Beamten der Hamburger Waffenbehörde wollen zu keinem Zeitpunkt Auffälligkeiten bei F. festgestellt haben – eine stinknormale Webseite mit Business-Schlagwörtern und ein freundliches Auftreten reichten aus, um alle Bedenken auszuräumen und die Kontrolleure zu täuschen.

Der Staatsschutz will nun aufklären, warum der Täter sieben Gemeindemitglieder der Zeugen Jehovas tötete. Es ist zu befürchten, dass ein Teil der Antwort lauten muss: Weil nicht genau genug hingeschaut wurde, als die Tat noch zu verhindern war.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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