t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeRegionalHamburg

Amoktat in Hamburg auf Zeugen Jehovas: Die vergebliche Suche nach dem Buch des Täters


Täter erschoss sieben Menschen
Polizei suchte Buch des Amokläufers vergeblich auf Google

  • Gregory Dauber
  • Carsten Janz
Von Gregory Dauber, Carsten Janz

Aktualisiert am 15.03.2023Lesedauer: 3 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer (links) neben Innensenator Andy Grote (SPD) (Archivbild): Kannte die Waffenbehörde das Buch des Amokschützen oder nicht?Vergrößern des Bildes
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer (links) sitzt neben Innensenator Andy Grote (SPD): Viele Fragen blieben auch nach der Pressekonferenz offen. (Quelle: Marcus Brandt/dpa-bilder)

Nach dem Amoklauf in Hamburg gehen die Ermittlungen weiter. Viele Fragen zum Täter sind noch offen. Der Polizeipräsident stellt sich hinter die Waffenbehörde.

Fünf Tage nach der Amoktat bei den Zeugen Jehovas in Hamburg werden sechs Verletzte noch im Krankenhaus behandelt. Bei einem von ihnen bestehe akute Lebensgefahr, sagte der stellvertretende Leiter des Hamburger Staatsschutzes, Uwe Stockmann, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Zwei Stunden lang mussten sich auch Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer viele teils unbequeme Fragen stellen lassen. Auf nicht alles hatten die Behördenvertreter eine Antwort.

Bei der Tat hatte Philipp F. am Donnerstagabend sieben Menschen getötet, vier Männer, zwei Frauen und ein ungeborenes Mädchen. Anschließend tötete er sich selbst. Insbesondere der Umgang mit warnenden Hinweisen aus einem anonymen Schreiben, das die Polizei am 24. Januar erreicht hatte, wirft Fragen auf. Meyer wollte jedoch keine Verfehlungen seitens der Waffenbehörde einräumen.

Hamburger Waffenbehörde soll ihre Möglichkeiten ausgeschöpft haben

"Die Waffenbehörde hat im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten gehandelt und diese ausgeschöpft. Damit sage ich vor dem Hintergrund der grausamen Tat und dem Wissen von heute jedoch nicht, dass wir an dieser Stelle auch alles richtig gemacht haben. Das getan zu haben, was rechtlich möglich ist, muss nicht gleichzeitig und automatisch das Richtige sein. Ich kann jedenfalls meiner Waffendienststelle, die als Behörde nach Recht und Gesetz gehandelt hat, keinen Vorwurf machen", sagte Meyer in seinem Statement zu Beginn.

In dem anonymen Hinweisschreiben war seinen Angaben zufolge auf das Buch hingewiesen worden. Die Beamten hätten bei einer Google-Recherche aber lediglich den Namen des Täters und den Suchbegriff "Buch" eingegeben und dabei kein Ergebnis erhalten, weil sie den Titel des Buches nicht gekannt haben sollen. t-online konnte den Quellcode der Seite einsehen, die mittlerweile vom Netz genommen wurde. Daraus ergeben sich Belege, dass schon am 12. Oktober eine Unterseite mit dem Titel "The Thruth about" angelegt worden war – so beginnt auch der Titel des Buches. Zudem war auf der Webseite eine Pressemitteilung zur Buchveröffentlichung zu finden, datiert auf den 3. Januar 2023.

Buch von Philipp F. war seit Ende Dezember bei Amazon erhältlich

Warum die Beamten der Waffenbehörde trotz der Hinweise auf der Webseite nicht mehr Informationen zu dem Buch sammeln konnten, blieb am Dienstag offen. Die Listung beim Onlinehändler Amazon sei nach Angaben des Unternehmens am 20. Dezember erfolgt, sagte Meyer. Seine Beamten hätten den Amazon-Eintrag bei ihrer Google-Recherche jedoch nicht gefunden. Die Webseite an sich habe einen seriösen Eindruck gemacht und keinen Anlass zu Bedenken gegeben.

"Die Mitarbeiter der Waffenbehörde sind keine Osint-Rechercheexperten, sondern sie haben das im Rahmen ihrer Möglichkeiten getan." Osint steht für sicherheitsrelevante Informationen, die aus frei verfügbaren Quellen stammen. Laut Meyer hätten "Experten" mittlerweile bestätigt, dass eine Suche nach den Begriffen zum damaligen Zeitpunkt keine Ergebnisse zum Buch des Täters geliefert hätte – "zumindest nicht direkt". Das Buch liege dem LKA mittlerweile vor und werde analysiert, sagte Staatsschutz-Chef Stockmann.

Innensenator Grote: Richtig, kritisch zu hinterfragen

Es sei richtig, "dass wir nach einer solchen Tat kritisch hinterfragen: Hat die Waffenbehörde hier alles richtig gemacht? Das ist ja naheliegend", sagte Innensenator Grote. "Nach allem, was ich bisher gehört habe, habe ich keinen Anlass, an der Bewertung zu zweifeln, dass hier ordentlich und gut gearbeitet wurde." Die Waffenbehörde sei eine Verwaltungs- und keine Ermittlungsbehörde.

Wären die Inhalte des Buches der Waffenbehörde bekannt gewesen, hätten weitere Maßnahmen wie eine fachärztliche Begutachtung eingeleitet werden können. Einen anderslautenden Medienbericht vom Dienstagmorgen dementierte Meyer. Das anonyme Hinweisschreiben sei jedoch keine ausreichende Tatsache im Sinne des Waffengesetzes, da es sich dabei um "subjektive Einschätzungen" handle, sagte Meyer. "Man hat ihn aufgesucht und nichts festgestellt, was auf eine psychische Erkrankung hindeutet." Meyer räumte ein, dass es sich bei den Beamten, die F. zu Hause besuchten, um normale Vollzugsbeamte ohne psychologische oder psychiatrische Fachkenntnis gehandelt habe.

Staatsschutz: Philipp F. war Einzeltäter

Der Staatsschutz wolle vor allem die Frage nach dem Warum klären. Philipp F. sei ein Einzeltäter gewesen, der psychische Auffälligkeiten aufweise – eine fachmedizinische Einschätzung liege jedoch noch nicht vor, betonte Stockmann. Es gebe keine Anhaltspunkte für seine Einbindung in Täterstrukturen oder rechtsextremistische Netzwerke, sagte der Vizechef des Staatsschutzes.

Den Ermittlern zufolge wurden nach der Tat insgesamt 60 Waffenmagazine gefunden, die Philipp F. zugeordnet werden konnten. Bei einer sogenannten Aufbewahrungskontrolle bei dem 35-Jährigen durch zwei Polizeivollzugsbeamte am 7. Februar waren es noch deutlich weniger. Wo er sich die Magazine besorgte, sei noch Gegenstand der Ermittlungen.

Verwendete Quellen
  • Teilnahme an der Landespressekonferenz am 14. März 2023
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Eigene Recherche zur Webseite von Philipp F.
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website