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Extrem sparsam: Hannoveraner lebt als Frugalist


Leben als Frugalist
"Mich macht der ganze Plunder nicht glücklich"

Von dpa
Aktualisiert am 15.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Oliver Noelting betreibt den Blog frugalisten.Vergrößern des BildesOliver Noelting (Archivbild): Er betreibt den Blog "frugalisten.de". (Quelle: Joana Schlutter/dpa)
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Überall muss derzeit gespart werden. Wie man damit trotzdem glücklich leben kann, zeigt der Familienvater Oliver Noelting – und er hat ein konkretes Ziel.

Oliver Noelting fährt am liebsten Skateboard oder Fahrrad, ernährt sich vegetarisch und kauft Kleidung, Möbel und Technik meist gebraucht. Auch mit Partnerin und inzwischen zwei kleinen Töchtern bewahrt der 34-Jährige aus Hannover seinen extrem bescheidenen Lebensstil aus der Studentenzeit bei. Warum schränkt er sich so ein? "Ich habe gar kein Gefühl von Verzicht oder Einschränkung", betont der schlaksige Software-Entwickler bei einem Treffen in einem Café am Stadtwald Eilenriede. "Sparen ist nicht das Hauptziel. Ich will ein möglichst erfülltes Leben führen."

Konkret bedeutet dies: Zeit für gemeinsame Erlebnisse mit Familie und Freunden statt langer Bürotage, Dinge selber machen, statt sich berieseln zu lassen. Sein Ziel: Mit 40 Jahren so viel Geld zurückgelegt zu haben, dass er theoretisch in Rente gehen könnte.

Frühe Rente durch finanzielle Unabhängigkeit

Einblicke in seinen Alltag gibt Noelting seit Ende 2015 im Internet auf "www.frugalisten.de". Die Bezeichnung Frugalisten entwickelte er 2013 gemeinsam mit seinem Kumpel in einer Studenten-WG in Bremen; es sollte ein Wort sein, das nicht nach Frührente, invalide oder arbeitslos klingt. Sie seien beide Fans von Pete Adeney alias Mr. Money Mustache gewesen, erzählt Noelting. Er ist der bekannteste Vertreter der amerikanischen "Fire"-Bewegung. "Fire" steht für "financial independence, retire early", übersetzt "frühe Rente durch finanzielle Unabhängigkeit". Inzwischen gibt es unter deutschsprachigen Finanz-Influencern einige, die sich selbst als Frugalisten bezeichnen und teils auch Anlagetipps geben.

Seine Webseite sei werbefrei und nicht-kommerziell, betont Noelting. Hier werden keine ETFs zur Geldanlage angepriesen, vielmehr zeigt der Skateboard-Fan zum Beispiel seine neue, jetzt 69 Quadratmeter große Wohnung. 2016 schilderte er, wie er es schafft, monatlich nur 100 Euro für Lebensmittel auszugeben. Inzwischen seien es allerdings 191 Euro, wie er sagt. Einmal im Monat überträgt Noelting seine Ein- und Ausgaben in ein digitales Haushaltsbuch, eine "finanzielle Achtsamkeitsübung" nennt er das.

"Schreibe jeden Cent auf, den ich ausgebe"

"Seit neun Jahren schreibe ich jeden Cent auf, den ich ausgebe", sagt der 1,87 Meter große Brillenträger, während er beim Verlassen des Cafés schnell den Preis für seinen Cappuccino mit Hafermilch in sein altes Smartphone tippt – 30 Euro hat er letztes Jahr für das Gerät aus dem Jahr 2016 ausgegeben. "Ich will ein Gammel-Handy haben, das ein bisschen langsamer ist." So werde er nicht durch Apps abgelenkt und müsse auch keine Angst haben, dass sein Smartphone kaputtgehe. Der Verzicht auf jegliche Art von Statussymbolen verschafft Noelting Freiheit.

Momentan ist er in Elternzeit, um sich gemeinsam mit seiner Freundin Joana um das vier Monate alte Baby und die dreijährige Tochter zu kümmern. Zuvor arbeitete er wöchentlich 24 Stunden als angestellter Software-Entwickler und maximal 5 Stunden freiberuflich. Von seinem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 2.300 Euro legte er stets etwa 1.200 Euro zurück. Sein Vermögen ist inzwischen auf rund 190.000 Euro angewachsen. Schon mit 40 Jahren finanziell unabhängig zu sein, ist nicht mehr sein Hauptziel. Denn: "Jetzt sind die Kinder klein und süß, da will ich möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen."

Wunsch nach Freiheit und Hinwendung zur Familie

Der Trendforscher Eike Wenzel hat bereits 2012 in dem Buch "Wie wir morgen leben werden" die Gruppe der Frugalisten beschrieben. Allerdings definierte er sie im Unterschied zu Noelting als Menschen mit geringen finanziellen Mitteln, die Wert auf Nachhaltigkeit legen. Derzeit gebe es in unserer Gesellschaft eine sehr starke Tendenz, unabhängig zu werden, sagt der Gründer des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ) in Heidelberg. Das sei bis an den rechten Rand zu beobachten. Seit der weltweiten Finanzkrise 2008 sieht der Wissenschaftler ein wachsendes Misstrauen in die klassischen Institutionen, gepaart mit dem starken Wunsch nach Freiheit.

Bei Frugalisten wie Noelting kommen nach Wenzels Einschätzung mehrere Tendenzen der jungen Generation zusammen: das Ende der industriellen Arbeitsgesellschaft, der Trend zur Selbstoptimierung und die Hinwendung zur Familie. Auch die Überlegung, dass es mehr als Materielles gebe, und Spiritualität spielten eine Rolle.

"Mich macht der ganze Plunder nicht glücklich"

Aus Sicht von Oliver Noelting war vor allem das Web 2.0 ein Motor für die Frugalismus-Bewegung, also die Möglichkeit, über YouTube und soziale Medien seine eigene Lebensweise zu präsentieren sowie Gleichgesinnte zu suchen und sich mit ihnen auszutauschen. Der Blogger sieht auch in der griechischen Philosophie, vor allem bei den Stoikern, Elemente des Frugalismus. Lebensfreude sei nicht durch Produkte und Dienstleistungen zu erkaufen. "Mich macht der ganze Plunder nicht glücklich", sagt er.

Für Noelting ist Frugalismus die ideale Lebensform in Zeiten von Pandemie, Inflation und Energiekrise. "Natürlich merken wir auch, dass alles teurer wird. Aber durch unsere Lebensweise ist am Ende des Monats immer noch Geld da, das wir sparen können."

Die Lebensphilosophie sei die richtige, um in Zeiten von Klimawandel, Krieg und Energiekrise gut zurechtzukommen, meint auch Florian Wagner. "Im ersten Jahr als angestellter Ingenieur 2018 habe ich gemerkt, dass ich mit jeder Gehaltserhöhung mehr ausgebe, aber dadurch nicht glücklicher bin", sagt der 35-Jährige aus Stuttgart. Dann habe er die Frugalismus-Bewegung entdeckt, seine Ausgaben hinterfragt, sein Leben geändert. 2019 erschien sein Buch "Rente mit 40". Inzwischen verdient Wagner, der die Internetseite "www.geldschnurrbart.de" betreibt, sein Geld nach eigenen Angaben ausschließlich online.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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