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Hannover: Wirbel um "Doktorspiele"-Raum für Sexualaufklärung von Kita-Kindern


Kita in den Schlagzeilen
Ein "Doktorspiele"-Raum und ein Ex-Mitarbeiter unter Missbrauchsverdacht

  • Patrick Schiller ist t-online Regio Redakteur in Hannover.
Von Patrick Schiller

Aktualisiert am 04.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Kinderhände und ein Regenbogen sind an einer Kita zu sehen. (Symbolbild)Vergrößern des Bildes
Kinderhände und ein Regenbogen sind an einer Kita zu sehen. (Symbolbild): Die Kontroverse um eine Kita in Hannover dauert an. (Quelle: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa/Symbolbild/dpa-bilder)

Ein geplantes Konzept in einer Awo-Kita hat bei den Eltern für Empörung gesorgt. Es sah einen Raum für "Doktorspiele" vor. Doch auch andere Vorfälle in der Kita werfen Fragen auf.

Ein geplantes Konzept zur frühkindlichen Aufklärung in einer Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt (Awo) hat heftige Diskussionen ausgelöst. Ein Kindergarten in Hannover wollte einen separaten Raum für "Doktorspiele" einrichten, in dem die Kinder sich selbst und andere Kinder "streicheln und untersuchen" können sollten. Zunächst hatte "Bild" über die Pläne berichtet. Die Awo hat den Alleingang mittlerweile gestoppt und sich klar von dem Vorhaben distanziert.

Dennoch wirft der Vorgang Fragen auf. Und er verunsichert sowohl Awo-Mitarbeiter als auch Eltern. Zudem tauchen immer mehr Ungereimtheiten auf, die einzelne Mitarbeiter der betreffenden Kindertagesstätte in einem fragwürdigen Licht erscheinen lassen.

Raum für kindliche Neugier am eigenen Körper – und an anderen

Das Konzept der Awo-Kita sah einen separaten Raum vor, in dem Kinder ihre Neugier bezüglich des eigenen Körpers und dem anderer Kinder ausleben können sollten. Nacktheit sollte ausdrücklich nicht verboten sein. Jedes Kind sollte selbst entscheiden, "ob und mit wem es körperliche und sexuelle Spiele spielen will", hieß es in einem Brief, den die Kita-Leitung an die Eltern verschickt hatte.

Das Kultusministerium war aufgrund eines Elternbriefs auf das Konzept aufmerksam geworden und informierte daraufhin das Landesjugendamt, das das Vorhaben aufgrund möglicher Kindeswohlgefährdung umgehend ablehnte.

Awo distanziert sich von umstrittenem Konzept

Awo-Vorstandsvorsitzender Dirk von der Osten distanziert sich in einer Stellungnahme von dem Konzept der Kita: "Das Schreiben wurde nicht mit der Fachberatung der Awo Region Hannover e.V. abgestimmt oder von ihr genehmigt und stellt die Ansichten der Awo Region Hannover e.V. nicht korrekt dar." Es gebe auch keine Räume, in denen Kinder zu Nacktheit oder Körpererkundungsspielen aufgefordert oder motiviert würden. Die Planung solcher Räume stehe auch nicht zur Debatte – im Gegenteil: Auch die eigenen Mitarbeiter seien nach der bisherigen Medienberichterstattung verunsichert.

Die Eltern der betroffenen Kita wurden bereits in einem Schreiben informiert, dass das Konzept nicht umgesetzt wird, berichtet die "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ). Die Awo will nun sachliche und fachliche Informationen erstellen und diese sowohl in Elternbriefen als auch bei Elternabenden in den Einrichtungen bereitstellen. Verunsicherte Eltern haben zudem die Möglichkeit, den Betreuungsvertrag zu kündigen.

Die Kindertagesstätten in Niedersachsen sind nach einer Reform des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG) aus dem Juni 2021 dazu verpflichtet, bis zum 31. Juli 2023 ein neues Kinderschutzkonzept zu erarbeiten. Das soll den Schutz der Kinder vor Gewalt innerhalb der Einrichtungen gewährleisten und ist wesentliche Voraussetzung für die Erteilung der Betriebserlaubnis ab August dieses Jahres.

Kinderschutzexperten kritisieren Idee

Auch der Kinderschutzexperte Jörg Maywald kritisiert die Idee eines Körpererkundungsraums. Wenn es um derartige Konzepte in Kitas gehe, dann gehe es immer darum, Körperneugier von Kindern achtsam zu begleiten, sagte der Soziologe und Pädagoge der "HAZ". "Dafür einen eigenen Raum einzurichten, fände ich seltsam." Maywald weiter: "Was eben nicht im Fokus stehen sollte, sind Vorstellungen, die Erwachsene von Sexualität haben." Interesse am Körper sei bei allen Kindern vorhanden, es könne aber nur darum gehen, sie von erzieherischer Seite mit Regeln zu begleiten.

Kitas müssten sicherstellen, dass es nicht zu Grenzüberschreitungen oder Übergriffen unter Kindern komme. Der Experte betonte: "Körpererkundung und sexuelle Bildung müssen in der Kita nicht allein über Berührungen stattfinden. Man kann dazu zum Beispiel auch Bilderbücher nutzen."

Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Katrin Große-Wortmann hatte sich ebenfalls in der Zeitung kritisch zu dem Konzept geäußert. Ihrer Ansicht nach sollte Aufklärung vor allem in der Familie und später in der Grundschule im Sexualkundeunterricht stattfinden. "In keinem Kindergarten braucht es einen 'Sexraum'", sagte Große-Wortmann der "HAZ".

Ex-Mitarbeiter unter Missbrauchsverdacht

Inzwischen soll bei der Polizei in Hannover eine Strafanzeige wegen Kindeswohlgefährdung gegen die Leitung und Mitarbeiter der Kita eingegangen sein. Bereits am Montag sollte ein Prozess gegen einen früheren Erzieher der Kita vor dem Amtsgericht beginnen. Dem 28-Jährigen wird unter anderem sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie der Besitz kinder- und jugendpornografischen Materials vorgeworfen.

Weil eine wichtige Zeugin jedoch im Ausland war, wurde der Prozess vorübergehend eingestellt. Eine Sprecherin des Amtsgerichts bestätigte t-online, dass der Mann bei der Awo beschäftigt war, laut "HAZ" an ebenjener Kita, die später das Konzept für den "Doktorspielraum" erstellt hatte. Die Übergriffe des Mannes sollen allerdings bereits zwischen 2018 und 2022 stattgefunden haben – vor der Erstellung des neuen Konzepts also, wie auch der Awo-Sprecher bestätigte.

Awo-Kitas in Hannover müssen Konzept überarbeiten

Das Landesjugendamt hat indes alle Awo-Kitas in Hannover dazu aufgefordert, ihr pädagogisches Konzept und das Kinderschutzkonzept mit externer Beratung umgehend zu überarbeiten. Die Awo bestätigte in ihrer Stellungnahme eine entsprechende Überarbeitung mit der Aufsichtsbehörde und externen Beratern. Das Jugendamt soll zudem regelmäßig über den Fortschritt informiert werden.

Die Awo will zudem Maßnahmen ergreifen, um Bedenken der Eltern aller Einrichtungen hinsichtlich der Sicherheit ihrer Kinder auszuräumen. Neben einer Telefonnummer für besorgte Eltern werde ein direkter Dialog mit den Eltern der betroffenen Kita geführt.

Verwendete Quellen
  • welt.de: ""Es gibt den Begriff der Körpererkundungsspiele. Aber sexuelle Spiele … nee""
  • haz.de: ""In keinem Kindergarten braucht es einen Sexraum": Kinderpsychiaterin aus Hannover kritisiert "Doktorspiele" in Kita"
  • bild.de: "Kita-Raum sollte "sexuelle Spiele" ermöglichen!"
  • haz.de: "Raum für "Doktorspiele" geplant: Landesjugendamt geht gegen Kita in Hannover vor"
  • Telefonische Anfrage bei der Pressestelle des Amtsgerichts Hannover
  • haz.de: "Awo-Kita in Hannover: Verfahren gegen Erzieher wegen sexuellen Missbrauchs"
  • awo-hannover.de: Stellungnahme der Awo Region Hannover vom 3. Juli 2023
  • E-Mail-Austausch und Telefonat mit der Pressestelle der Awo Region Hannover
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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