Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Entkriminalisierung Sollte Schwarzfahren künftig straffrei sein?

Wer in der Region Hannover wiederholt ohne Fahrschein erwischt wird, kann dafür ins Gefängnis kommen. Ist das sinnvoll? Ein Streitgespräch.
Schwarzfahren ist in der Region Hannover eine Straftat. Wer ohne Fahrschein in Bus oder Bahn erwischt wird, muss ein erhöhtes Beförderungsentgelt von 60 Euro zahlen. Wer das nicht zahlen kann oder wiederholt ohne gültiges Ticket erwischt wird, dem droht eine Verurteilung wegen "Erschleichen einer Leistung" nach Paragraf 265a aus dem Strafgesetzbuch (StGB) und eine Ersatzfreiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.
Die Fraktion Linke/Piraten in der Regionsversammlung fordert, dass die Hannoverschen Verkehrsbetriebe (Üstra) in Zukunft auf Strafanzeigen verzichten: Schwarzfahren soll nicht länger als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Über den Antrag wird in der nächsten Sitzung des Verkehrsausschusses am 16. Juni beraten. Doch was spricht für eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein? Und was dagegen?
Sollte Schwarzfahren entkriminalisiert werden?
Gefängnisstrafen für Armut? Ungerecht, entwürdigend – und zu teuer für alle Steuerzahler
Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer sind menschlich verwerflich und ökonomisch unsinnig. Es ist bitter und ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, wenn sich Menschen kein Ticket für den ÖPNV leisten können. Und es ist ungerecht und entwürdigend, wenn diese finanziell schwachen Menschen dann auch noch ins Gefängnis müssen – weil sie arm sind.
Obdachlose, Arbeitslose und psychisch schwer kranke Menschen: Das ist laut der Initiative "Freiheitsfonds" die große Mehrheit der Menschen, die wegen Schwarzfahrens in Haft müssen. Sie können sich die Tickets schlicht nicht leisten, und die 60 Euro schon gar nicht. Statt Hilfe bekommen sie Handschellen. Und nicht nur das: Wer im Gefängnis sitzt, droht den Wohnsitz zu verlieren, wird stigmatisiert und wird es wohl danach noch schwerer haben, einen Job zu finden. Menschen, die ohnehin schon am Boden sind, wird es noch schwerer gemacht, wieder aufzustehen.
Schwarzfahren zu entkriminalisieren wäre nicht nur gut im Sinne der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit: Es wäre auch im Sinne eines jeden Steuerzahlers. Denn: Im Jahr werden Millionen von Steuergeldern für Gefängnisinsassen ausgegeben. Ein Hafttag für eine Person kostet bis zu 218 Euro. Pro Jahr müssen 9.000 Menschen bis zu einem Jahr in die Strafanstalt, weil sie keinen Fahrschein hatten. Da lässt sich leicht ausrechnen, wie viel der Staat sparen könnte, wenn Schwarzfahren keine Straftat mehr wäre.
Doch dafür würde es nicht ausreichen, Schwarzfahren von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Denn am Ende droht Betroffenen dennoch eine Haftstrafe – nur heißt sie statt "Ersatzfreiheitsstrafe" dann "Erzwingungshaft". Es braucht eine vollständige Abschaffung des Paragrafen 265a. Die ohnehin überlastete Justiz hätte dadurch weniger Arbeit und es würden weitere Kosten für die Allgemeinheit gespart. Die Verkehrsbetriebe müssten dann eben, wie alle Privatunternehmen, das Geld selbst eintreiben.
Mehrere deutsche Großstädte haben es bereits erkannt: Eine Abschaffung der Strafverfolgung würde Geld sparen, die Justiz entlasten – und finanziell schwache Menschen vor weiterer Diskriminierung schützen. Worauf wartet Hannover?

Schwarzfahren ist ein Betrug an der Gemeinschaft
Wer schwarzfährt, zahlt nicht – fährt aber trotzdem mit. Das ist nicht so harmlos, wie es klingt. Schließlich finanziert sich der öffentliche Nahverkehr ungefähr zur Hälfte über Ticketverkäufe. Wer kein Ticket löst, belastet somit indirekt alle Fahrgäste, die ehrlich zahlen. Und das mit Vorsatz. Deshalb ist es richtig, dass das sogenannte Schwarzfahren als Straftat gewertet wird.
Fahren ohne Fahrschein verursacht schon jetzt einen großen finanziellen Schaden für die Verkehrsbetriebe in Deutschland. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schätzt die Einnahmeverluste bundesweit auf bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr. Werden die Strafen gelockert, geht der Abschreckungseffekt verloren. Das könnte zu noch mehr Schwarzfahrten führen – und damit zu weiteren Einnahmeausfällen. Langfristig beeinträchtigt das die Qualität und Finanzierung des Nahverkehrs. Oder es führt zu teureren Tickets. Die Leidtragenden sind dann erneut die Ehrlichen, die ihren Fahrschein bezahlen.
Mit dem Verzicht auf eine Strafverfolgung sollen laut Antrag der Fraktion Linke/Piraten vor allem arme Menschen geschützt werden. Das ist ein richtiger und wichtiger Gedanke. Allerdings verkennt er das Grundproblem. Denn es bringt nichts, die negativen Konsequenzen des Schwarzfahrens für Menschen zu verringern, die sich kein Ticket leisten können. Vielmehr sollte ihnen der Zugang zu Sozialtickets ermöglicht werden. Gerechtigkeit heißt nicht, Fehlverhalten zu legalisieren – sondern soziale Probleme gezielt zu lösen.
Zudem wird bei einer solchen Entkriminalisierung mit zweierlei Maß gemessen: Wer einen Apfel aus dem Supermarkt ohne zu zahlen mitnimmt, muss mit einer Strafanzeige rechnen. Aber wer den ÖPNV ohne zu zahlen nutzt, soll künftig nur mit einer Ordnungswidrigkeit durchkommen? Das könnte einen Präzedenzfall schaffen.
Deshalb ist es richtig, dass jedem, der fürs Mitfahren nicht zahlen will, eine Strafanzeige droht. Die Politik sollte sich nicht auf eine Entkriminalisierung des Schwarzfahrens konzentrieren – sondern sich vielmehr um einen leichteren Zugang zu Mobilität für die Ärmsten kümmern.
Teilen Sie Ihre Meinung mit
Welche Meinung zum Thema haben Sie zum Thema? Schreiben Sie eine E-Mail an lesermeinung@stroeer.de
Teilen Sie Ihre Meinung mit
Welche Meinung zum Thema haben Sie? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de
- Meinungen der Redakteurinnen