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Wolfsdilemma in Niedersachsen: "Tiere haben die Scheu vorm Menschen verloren"


Land ringt mit Wolfsproblem
"Die Wiese sah aus wie ein Schlachtfeld"


Aktualisiert am 28.01.2022Lesedauer: 5 Min.
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René Krüger mit einem neugeborenen Lamm (Montage mit Wolf): Der Schäfer sorgt sich um seine Tiere, die schon mehrmals vom Wolf attackiert wurden.Vergrößern des Bildes
René Krüger mit einem neugeborenen Lamm (Montage mit Wolf): Der Schäfer sorgt sich um seine Tiere, die schon mehrmals vom Wolf attackiert wurden. (Quelle: Wagner/Kristin Hermann/imago-images-bilder)

Die Wölfe kehren nach Niedersachsen zurück. Und mit ihnen der Streit zwischen Wolfsschützern und Landwirten. Auch in der Politik brodelt es. Ein Besuch vor Ort.

Die Bilder seiner toten Tiere verfolgen René Krüger bis heute. Bis zu 1.500 Schafe und Lämmer lässt er normalerweise von der Landesgrenze Bremen bis zum Hafen Sandstedt grasen. Ende des Jahres wurde seine Herde gleich zweimal von einem Wolf attackiert: 36 Schafe wurden dabei auf der eingezäunten Weide gerissen, mehr als 30 Tiere gelten als verschollen.

"Die Wiese sah aus wie ein Schlachtfeld, überall lagen tote oder verletzte Schafe", erinnert sich der Pächter der Deichschäferei Wersabe (Landkreis Cuxhaven).

Für den 43-Jährigen sind die beiden Vorfälle eine Katastrophe, wirtschaftlich wie emotional. "Man baut zu einigen Tieren eine Bindung auf", sagt er. Zwar bekomme er die toten Schafe vom Land Niedersachsen ersetzt.

"Doch ich habe durch die Risse alle Schafe vier Wochen früher in den Stall geholt, was zusätzliche Kosten bedeutet. Außerdem haben mehrere Tiere ihre Lämmer durch den Schock verloren. Auf diesen Verlusten bleibe ich sitzen."

Niedersachsen investierte 400.000 Euro in Elektrozäune – ohne Erfolg

Dabei hätten die Angriffe eigentlich verhindert werden sollen. Krügers Zäune (1,20 bis 1,40 Meter) sind Teil eines Pilotprojektes. Das Land Niedersachsen habe alleine für seine Elektrozäune knapp 400.000 Euro investiert. Doch die beiden Wölfe, die mittlerweile per DNA-Probe nachgewiesen wurden, ließen sich davon nicht abhalten.

Seit den Rissen schlafe der Schäfer unruhig. Aktuell sind alle seine Schafe im Stall, täglich begleitet der 43-Jährige mehrere Lämmer auf die Welt. "Doch mit dem Kopf bin ich schon im Frühjahr und überlege, wie wir die Tiere besser schützen können", sagt er. Zusammen mit dem Deichverband und dem niedersächsischen Umweltministerium will er über weitere Herdenschutzmaßnahmen beraten. "Ich bin nicht prinzipiell gegen den Wolf, aber ich bin für meine Schafe. Wölfe, die sich ständig Orten nähern und Nutztiere reißen, müssen entnommen werden", findet er.

Immer mehr Wölfe im Bundesland

Die Zahl der Wölfe in Niedersachsen steigt kontinuierlich. Ende Januar waren es laut niedersächsischem Wolfsmonitoring 39 Wolfsrudel, ein Wolfspaar und zwei Einzelwölfe. Die Tiere sind streng geschützt, nur auffällig gewordene Wölfe dürfen mit behördlichen Ausnahmegenehmigungen geschossen werden. Die Ausbreitung der Raubtiere sorgt immer wieder für Streit.

Auch in der Politik. Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) plädierte in der Vergangenheit für eine Art Obergrenze für Wölfe und hofft darauf, dass künftig der Abschuss problematischer Tiere erleichtert wird. Naturschützer kritisieren dagegen die Wolfspolitik der rot-schwarzen Landesregierung.

Auch im Emsland ist die Situation angespannt. Dort sorgten zuletzt Schilder für Schlagzeilen, die dort ansässige Jäger in Eigenregie anbrachten, um Anwohner vor dem Tier zu warnen. "Vorsicht! Hier ist ein Wolfsgebiet!", steht auf den Tafeln, die unter anderem in Werpeloh hängen. Daneben sind ein Wolf und Verhaltensregeln gedruckt. Waldbesucher sollen Kinder an der Hand halten, Hunde an der Leine führen und nur in der Gruppe wandern oder joggen.

Jäger: "Die Tiere haben die Scheu vor dem Menschen verloren"

Ein Besuch im Werpeloher Waldgebiet zeigt: Dort trauen sich aktuell nicht mehr viele Menschen hin. Das gesamte Gebiet ist am Wochenende verlassen, nicht ein Spaziergänger ist zu sehen. Am naheliegenden Ortsrand bestätigen zwei Anwohnerinnen diesen Eindruck. Mutter und Tochter meiden das Waldgebiet schon länger. "Früher sind wir dort häufig gewesen, aber der Respekt vor dem Tier ist mittlerweile zu groß", sagen sie.

Ein paar Kilometer weiter liegt Wippingen. Das Dorf wurde 2021 bundesweit bekannt, weil Wölfe am Ortsrand eine 800-Kilo-Kuh und mehrere Rehe rissen. Es folgte eine Anti-Wolf-Demo. Jäger Bernd Gerdes ist nach eigenen Angaben dem Wolf schon häufiger im Wald begegnet. "Die Tiere haben die Scheu vor dem Menschen verloren", sagt der Wippinger. Angst habe er zwar keine, dennoch wünsche er sich, dass das Thema mehr Beachtung findet und Wölfe dort konsequent geschossen werden, wo es Probleme gibt.

Eine andere Anwohnerin teilt diese Einschätzung nicht. Sie freue sich über die Rückkehr der Wölfe und hält den anhaltenden Protest für überzogen. Mit ihrer Meinung sei sie im Dorf jedoch in der Unterzahl.

Wolf wird zum politischen Thema

Politisch ist die Diskussion um den Umgang mit dem Wolf derzeit in vollem Gange. So reichte der Naturschutzbund (Nabu) kürzlich gemeinsam mit zwei anderen Organisationen beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen die niedersächsische Wolfsverordnung ein.

Weitere Kritik gibt es seit Mitte Januar, als im Landkreis Lüneburg (Amt Neuhaus) eine junge Wölfin im staatlichen Auftrag abgeschossen wurde. Das getötete Tier stammt zwar aus dem Problem-Rudel in der Region, war aber nicht konkret in der Ausnahmegenehmigung genannt worden. Die Tierrechtsorganisation Peta hat deshalb Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg gestellt.

Auch die Grünen im Landtag haben den Vorgang scharf kritisiert. "Die tote Wölfin in Amt Neuhaus ist der fünfte Fehlabschuss in Folge", sagte der naturschutzpolitische Sprecher Christian Meyer. "Wir fordern ein sofortiges Moratorium für die irrlichternde Wolfsjagd von Umweltminister Lies."

Nach Angaben des Umweltministeriums war die Tötung des Wolfes nach dem Bundesnaturschutzgesetz rechtens. Demnach war es seit 2017 in dem Territorium des Rudels vermehrt zu Wolfsattacken auf Nutztiere gekommen. Dabei konnten laut Umweltbehörde vier verschiedene Wölfe aus dem Rudel Amt Neuhaus nachgewiesen werden – am häufigsten die beiden Elterntiere.

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Aus diesem Grund seien diese beiden Wölfe in der Ausnahmegenehmigung konkret benannt worden. Da Wölfe in der Regel im Rudel jagen, sei die Wahrscheinlichkeit allerdings sehr hoch, dass weitere, nicht nachgewiesene Tiere an den Rissen beteiligt waren. Zudem gebe es keine realistische Möglichkeit, die Einzeltiere unter Geländebedingungen zu unterscheiden, heißt es in einer Erklärung des Ministeriums.

Umweltminister verteidigt den Abschuss von Problemwölfen

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies kann die Vorwürfe gegen das Vorgehen seiner Behörde nicht nachvollziehen. "Es geht bei artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen nicht um Jagd, sondern um die Vermeidung von Schäden", sagt er t-online. "Wölfe, die sich an geschützten Weidetieren vergreifen und somit auch zunehmend die Scheu vor menschlichen Siedlungen verlieren, sind eine Gefahr für die Koexistenz.

Es ist Aufgabe staatlichen Handelns, den Artenschutz mit den übrigen betroffenen Interessen sorgsam abzuwägen. Genau dies geschieht in allen Ländern weltweit, in denen der Wolf sich wieder angesiedelt hat. Wo Probleme auftreten, müssen wir im Sinne des Artenschutzes konsequent und pragmatisch handeln."

Grünen-Abgeordnete zogen bereits wegen der Wolfspolitik vor den Staatsgerichtshof in Bückeburg. Sie lassen überprüfen, ob es verfassungsgemäß ist, dass die Landesregierung keine Details zu laufenden Abschussgenehmigungen veröffentlicht.

Die Behörde hält die Forderung nach mehr Transparenz für nachvollziehbar, will aber an ihrer bisherigen Praxis festhalten: "Solange Bedrohungen von Weidetierhaltern, Jägern und Verwaltungsmitarbeitern an der Tagesordnung sind, ist dies bedauerlicherweise nicht praktikabel und verantwortbar", heißt es dazu aus dem Umweltministerium. Die Bückeburger Richter wollen ihre Entscheidung in dieser Frage am 8. Februar verkünden.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche mit Protagonisten vor Ort
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